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Sonnenscheins erste Frau war Marie Svoboda, von der sich Sonka 1916 hatte scheiden lassen, bei der er jedoch immer wieder in größter Not verständnisvolle Aufnahme gefunden hat und die ihn auch während seiner Haft betreute. Als Nichtjüdin ‚hatte sie mit ihrem Sohn Ivan (1912 — 1984), der nach dem Zweiten Weltkrieg den Namen Sova annahm, den Naziterror in Prag tiberlebt. Marie rettete auch das lange fiir verschollen gehaltene Manuskript des in den zwanziger Jahren in Wien begonnenen und Mitte der dreißiger Jahre in Prag vollendeten Buches ,,Terrhan“ (trhan = Vagabund), eine Verknüpfung von Prosa und Lyrik, von Poesie und Politik. Ein Panorama unseres Jahrhunderts. Ivan wurde Architekt, der zum Nationalkünstler der CSSR aufstieg und u.a. das Gedenkmuseum in Hiroshima entwarf. Zu den tödlichen kommunistischen Verleumdungen über seinen Vater schwieg er aus Angst. Auch gegenüber seiner Frau und seinen Kindern. Im österreichischen Steyr lebt eine Tochter Sovas, die mit einem Lehrer verheiratete Marie Bergmayr, bei der sich heute das nach dem Tode des Vaters übernommene Sonka-Erbe befindet. Sie hat nur dunkle Erinnerungen an den Großvater in Sträflingskleidung, den sie als Sechsjährige einmal kurz gesehen hat. Sonkas Söhne aus zweiter Ehe, die in England überlebten, haben sich anglisiert und nennen sich Spenser. Ilja, der ältere, wandelte auch seinen Vornamen um, in Jan Daniel. Mit 17 Jahren trat er freiwillig in die tschechoslowakische Exilarmee ein, war bei Dünkirchen dabei. Als er wieder nach Prag kam, war sein Vater bereits festgenommen. Er konnte jedoch mit ihm sprechen. Eine Flucht wäre möglich gewesen. Aber Sonka wollte. bleiben. In der Überzeugung, der Fall würde sich klären. Der Sohn blieb nach der Demobilisierung noch ein Jahr lang in Prag und versuchte, allerdings vergebens, die Freilassung seines Vaters zu erreichen. Seit 1953 lebt er in Kanada, ist Professor der Biochemie an der Universitätin Hamilton und soll zu den Spitzenwissenschaftlern seines Faches in der Welt gehören. Serke war bei ihm und studierte Kartons vergilbter Briefe und Schriftstücke, deren Bedeutung der Sohn selbst gar nicht voll ermessen hatte. Nach Serkes Worten ein „Panorama des Verrats Der nächste Flug führte Serke nach Israel. Längs des Toten Meers, durch das Westbank-Gebiet, durch die Wüste, bis zum See Genezareth und dann hoch in die Berge, durch blühende Landschaft, bis knapp an sey die libanesische Grenze zum Anne Frank Kibbutz SASA, wo man in Bunkern leben muß, wenn auf libanesischer Seite geschossen wird, reiste Serke, um Sonkas jüngsten Sohn, den Arzt Tomi Spenser, zu besuchen. Dieser war 18 Jahre alt, als der Krieg zu Ende war. Seinen Vater hat er nie wieder gesehen. — Heute wirkt er als Professor für Allgemeinmedizin an den Universitäten Haifa und Be£r Sheva. Als Erwachsener hat er Hebräisch gelernt. Keines seiner vier Kinder versteht seine -deutsche Muttersprache. Über die Musik holt der israelische Arzt Deutsches herein. Er spielt Klavier und Geige, musiziert mit Freunden. Liebt Bach. Und er lebt mit der Literatur seines Vaters. Aus Antiquariaten und von anderswo hat er alles zusammengetragen. Den von Hermann Bahr und Stefan Zweig gelobten Lyrikband ,,Slowakische Lieder“, mit dem besonders beeindruckenden Gedicht über ‚‚Großmutter Malke‘“. Den Gedichtband ,,Erde auf Erden“ mit einem Sonka-Porträt von Egon Schiele, und weitere und weitere Bände, von Thomas Mann und Otokar Brezina günstig beurteilt. Auf der Fahrt von Moskau nach Kosice, wo der Sonderzug mit der tschechischen Delegation haltmachte, hatte Sonka 1945 dem Außenminister Jan Masaryk ein Manuskript mit Gedichten übergeben, die nach der Befreiung in Auschwitz geschrieben worden waren. Sein. Sohn Thomas sollte für die Veröffentlichung sorgen. Masaryk brachte das Manuskript nach London. Die Botschaft übergab es dem Sohn. Einen Verleger fand der Sohn nicht. Zusätzlich bekam der Sohn noch einige, bereits in Untersuchungshaft geschriebene Gedichte. Der posthum, 1964 erschienene Gedichtband ,,Schritte des Todes“ , dessen Druck der Sohn aus eigenen Mitteln finanziert hatte, kam nie in den Handel. Es ist vielleicht nicht uninteressant, daß Robert Musil in seinem Roman ‚Der Mann ohne. Eigenschaften“ Sonka im Auge hatte, als er die Unterhaltungen mit dem jungen Sozialisten Schmeisser. beschrieb. — Bei Tomi Spenser fand Serke auch ein Rechtfertigungsschreiben Sonkas in Form von zwei Briefen an den Parteichef Rudolf Slansky und die anderen KPSpitzenfunktionäre nach 1945. Darin heißt es in Zusammenhang mit den Vorgängen nach dem Heydrich-Attentat wörtlich: ‚,... stürzte der Kommissar auf mich zu: ‘Jetzt wissen wir alles von Ihnen. Fucik hat uns informiert. Sie arbeiten mit den Kommunisten zusammen, schreiben für sie, leugnen Sie nicht’ ...“ Und eben jenes Schreiben, das von den beiden Sonka-Söhnen wegen Unkenntnis der ‚tschechischen . Sprache nicht voll begriffen worden ist, hat mit Sicherheit .-Sonkas Verurteilung besiegelt. Der Vortragsraum des Brünner Begegnungszentrums war gesteckt voll. Deutsche,: Tschechen und auch eine kleine Abordnung der jüdischen Gemeinde, Alt und Jung, Vertreter der Universität, der Akademie der Wissenschaften und anderer Institutionen. Alle lauschten aufmerksam den interessanten Ausführungen Serkes. Anschließend ergriff noch unser Ehrengast das Wort. Ein hochgewachsener Mann mit: langem schneeweißen Vollbart. Ein Mensch von körperlicher Eleganz und geistiger Noblesse. Aus dem fernen Israel angereist: Professor Tomi Spenser. Gerührt dankte er für die Einladung zu dem Vortrag über seinen unglücklichen. Vater: Er. gab jedoch auch seiner Freude Ausdruck, mit welcher Hochschätzung dichterischen Schaffens gedacht wurde, und der Überraschung, den an der Brünner Masaryk Universität als DAAD-Lektor wirkenden Dieter Wilde, der soeben eine Dissertation über den „Lyriker Hugo Sonka (Sonnenschein) aus der Mährischen Slowakei“ abgeschlossen hat, getroffen zu haben. Und das alles im Begegnungszentrum des deutschen Kulturverbandes in der Stadt Briinn, wo sein Vater Hugo Sonnenschein das Gymnasium besucht und maturiert hatte. Prof. Dr.med. Tomi Spenser (Sonnenschein) aus Israel beim Vortrag Jiirgen Serkes im Begegnungszentrum Briinn. 29