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Ungewissen Ursprungs Von Außenseitern und seltsamen Käuzen handeln die Prosastücke von Stella Rotenberg, von Leuten, die innerhalb einer — zumeist dörflichen — Gemeinschaft nicht anerkannt sind, aber dennoch ihre legitime Funktion wahrnehmen, indem sie sich ihre Würde und Menschlichkeit bewahrt haben. Gleichermaßen als Parabeln oder als Momentaufnahmen einer subjektiven Befindlichkeit lassen sich diese Miniaturen einer untergegangenen Welt begreifen, wobei dem Leser Einblicke in bestimmte Lebensumstände gewährt werden, ohne deswegen moralische Schlußfolgerungen aufzustellen. „Die Erzählungen folgen einer inneren Chronologie, während die äußeren Zeitmaße aufgehoben werden in der Gleichzeitigkeit von bäuerlicher Welt und modernen Verkehrsverbindungen. Das Dorf, Schauplatz des Geschehens, ist ein begehbarer Ort, mit seinen Häusern, seinem Tempelhügel. Die Bahnstation befindet sich in der nächstliegenden Kleinstadt, von der man zur Residenzstadt gelangt. Die Menschen leben in einem Reich, ein Anklang an die Donaumonarchie, zu dem ein loser, abstrakter Zusammenhang bestehen mag“, bemerkt Siglinde Bolbecher in ihrem Nachwort. Stella Rotenbergs Literatur ist geprägt durch eine enge Verknüpfung von Sprache mit persönlichem Erleben, intensiver als bei anderen Autoren dient die eigene Biographie als Antrieb zur Kreativität. Auch in der Emigration beharrte Stella Rotenberg, sobald sie sich literarisch äußerte, auf ihre deutsche Muttersprache, obwohl ihr jahrzehntelang weder eine Öffentlichkeit noch Publikationsmöglichkeiten zur Verfügung standen. 1916 in Wien geboren, verlor Stella Rotenberg ihre Eltern sowie einen Großteil ihrer Verwandten in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten, während ihr die Emigration nach England gelang, wo sie 1940 unter dem Eindruck der unfaßbaren Ereignisse der Shoah zu schreiben begann. Daß sie gleichzeitig zwei Ansuchen um Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung beantragt hatte, eines in den Niederlanden und eines in Großbritannien, hinterließ bei ihr lebenslang ein schlechtes Gewissen. „Es bedrängte mich oft, daß ich dadurch einer anderen die Lebensmög16 Müdigkeit“ verloren, vermag seinem Leben nun erst recht keinen Sinn mehr abzugewinnen und gerät in totale Isolation. Es war in der DDR-Literatur das erste Mal, daß das Nachwirken der Vergangenheit in die gesellschaftliche Wirklichkeit der DDR aufgegriffen, daß ein zerbrochenes Leben eines Jüdischen Überlebenden gestaltet wurde, der sich auch in der sozialistischen Gesellschaft nicht beheimatet fühlen konnte. Damit hatte Becker natürlich den Finger in eine verleugnete Wunde gelegt. Alles Jüdische war in der DDR im allgemeinen Antifaschismus integriert gewesen und eines der großen Tabus, die erst mit der Wende fielen. Dies war sicherlich mit ein Grund dafür, daß das Buch in der DDR überwiegend negativ besprochen wurde. Als Argumente dagegen mußten noch die abgedroschenen Phrasen aus der Requisitenkammer der Theorie des Sozialistischen Realismus herhalten, vom “negativen Helden“, der sich “passiv und unparteilich‘“ verhalte bis zu dem Vorwurf, Beckers Darstellung sei “nicht typisch für die sozialistische Gesellschaft“. Mit den nachgetragenen Dialogen in Der Boxer glaubte Becker endgültig mit dem Thema abgeschlossen zu haben, doch zehn Jahre später meldete es sich noch einmal vehement und klang wie eine radikalisierte Version des Vater-Sohn-Konflikts aus der “ Boxer“ -Geschichte. Bronsteins Kinder — 1986 zuerst in Westdeutschland, ein Jahr später in der DDR erschienen — greift wieder das Hineinreichen der Vergangenheit in die DDR-Gegenwart auf, und dies auf sehr drastische Weise. Eines Tages ist mir die Geschichte eingefallen, vor zehn oder fünfzehn Jahren, daß drei Überlebende eines Konzentrationslagers einen früheren Aufseher gefangennehmen und Rache an ihm üben. |...] Ich wollte also auch einer Geschichte, die ich für sehr wahrscheinlich hielt, die aber, soviel ich weiß, sich nie zugetragen hat, zum Leben verhelfen. Es kam etwas anderes hinzu: Junge Leute wollen von dieser Art Thematik mittlerweile nichts hören, von Faschismus, Krieg und Verfolgung. Und ich wollte gern aus dem Munde Jemandes erzählen, der genauso denkt: denn der Erzähler ist ja ein junger Mann dieser Generation, der nichts mit den alten Geschichten zu tun haben will. Sie interessieren ihn nicht, und wenn sie ihm begegnen, fühlt er sich von ihnen belästigt." Wie schon bei den beiden vorausgegangenen Romanen schließt auch diesmal die Handlungszeit direkt an Der Boxer an, sie reicht vom Sommer 1973 bis 1974. Handlungsort ist wie im vorigen Roman wieder Ostberlin. Noch einmal reichen die Schatten der Vergangenheit tief in die Gegenwart: Ich-Erzähler ist der achtzehnjährige Hans Bronstein. Er berichtet ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, wie er eine schreckliche Entdeckung machte: Der Vater hatte mit zwei weiteren ehemaligen KZ-Häftlingen einen früheren Lageraufseher gefangengenommen und verhörte und folterte ihn. Vater und Sohn Bronstein hatten bisher in Schweigen nebeneinanderher gelebt. Nun werden beide gezwungen, Stellung zu beziehen. Die Standpunkte sind denkbar konträr. Während der jüdische Vater sich durch die erlittene Verfolgung zur Selbstjustiz berechtigt sieht, kann der Sohn diese Überzeugung nicht nachvollziehen. Er hat zu seiner jüdischen Herkunft keine Beziehung und fühlt sich in identisch mit seinen deutschen Altersgenossen. Für die Vergangenheit und die Erfahrungen seines Vaters interessiert er sich nicht und glaubt, damit nichts zu tun zu haben. Hans wird zur Entscheidung gezwungen (“ Du solltest überlegen, zu wem du gehörst. Wenn du das beantworten kannst, erübrigen sich viele Fragen.“ !°), und er entscheidet sich für seine deutsche Identität. Die drei Romane weisen einige deutliche Gemeinsamkeiten auf. Jedesmal gibt es einen Jüngeren Erzähler, der die Geschichte oder einen gewissen Lebensabschnitt eines älteren Mannes, der ein Opfer des Nazismus geworden ist, festhält. Diese drei Erzähler lassen neben ihren eigenen Wahrnehmungen und Interpretationen immer auch die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Daraus ergibt sich die narrative Spannung aller genannten Werke. Mit den unterschiedlichen Erzählperspektiven korrespondieren die Zeitebenen, die nicht nur die vergangenen Ereignisse, sondern immer auch die Gegenwart im Moment des Erzählens reflektieren. Auffallend ist, daß die Distanz des Erzählers zunehmend wächst. Im Jakob war der Erzähler ein Beteiligter, ein direkter Beobachter. Bei Arons Geschichte versucht der Interviewer durch sein Interesse Nähe herzustellen, durch Fragen verstehen zu lernen. Hans Bronstein hingegen steht seinem Vater — obwohl er als Sohn die größte Affinität haben könnte — völlig fremd gegenüber und wahrt die große Distanz auch während des nüchternen Resümierens der Ereignisse um des Vaters Tat. In jedem der Romane geht es um das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen und um das Verhältnis von Opfer und Täter, von Schuld und Strafe. Das Opfer Jakob lügt einmal und wird damit wider Willen zu weiteren Lügen gezwungen. Aron Blank fälscht seine persönlichen Daten und wird schuldig gegenüber seinem Sohn Mark. Doch durch den Verlust des Sohnes wird er schließlich wieder zum Opfer. Und Arno Bronstein wird