OCR
Anmerkungen Wedekind/Becker 1 Hannes Krauss: Vor der zweiten Zukunft? Über Aller Welt Freund. In: Irene Heidelberger-Leonard: Jurek Becker. Frankfurt/M. 1992, 288-300. 2 Das ist wie ein Gewitter. Gespräch mit H. Koelbl. In: Der Spiegel, 24.3. 1997. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Jurek Becker: Vom Handwerkszeug der Schriftsteller (1990). In: Ende des Größenwahns. Frankfurt/M. 1996, 147. 6 Graf/Konietzky: Jurek Becker. (Werkheft Literatur), 69. 7 Jurek Becker: Jakob der Lügner. Berlin 1975, 7. 8 Mein Judentum. Hg.v.H.J. Schultz. Stuttgart 1978, 10-18. 9 Ebd., 12. 10 Jorge Semprun: Schreiben oder Leben. Frankfurt/M. 1995, 110. 11 Dieter Schwarzenau: Heimisch bin ich nur am Schreibtisch. Porträt Jurek Becker. In: Rheinischer Merkur, 1.4. 1983. 12 Das Vorstellbare gefällt mir immer besser als das Bekannte. Jurek Becker im Gespräch mit M. Birnbaum (1988). In: HeidelbergerLeonard, wie Anm.1, 94. 13 Jurek Becker: Der Boxer. Rostock 21977, 8. 14 Ebd., 92. 15 Das Vorstellbare gefällt mir immer besser als das Bekannte. Wie Anm.12, 94ff. 16 Jurek Becker: Bronsteins Kinder. Rostock 21989, 119. 17 Dieter Schwarzenau, wie Anm.11. 18 Das ist wie ein Gewitter, wie Anm.2. 19 Jurek Becker: Irreführung der Behörden. Frankfurt/M. 1975, 58. 20 Dieter Schwarzenau, wie Anm.11. 21 Jurek Becker: Vom Handwerkszeug der Schriftsteller. Wie Anm.5, 147-155. 22 Ebd., 152. 23 Jurek Becker: Zuriick auf den Teppich. SPIEGEL-Gespräch, 12.12. 1994. 24 Ebd. 25 Jurek Becker: Ich will kein Scharfmacher sein. In: Süddeutsche Zeitung, 30.7. 1992. 26 Das ist wie ein Gewitter. Wie Anm.2. Erich Handschuh gestorben Wir trauern um Erich Handschuh, der es durch den Kulturverein Niederhollabrunn möglich machte, daß immer wieder Theodor Kramer-Veranstaltungen im Geburtsort des Dichters stattfinden konnten. Vor Erich Handschuh hatte sich nie jemand darum bemüht. Handschuh, der immer rastlos tätige, wünschte sich einen Gedenkraum für Kramer in Niederhollabrunn: Vielleicht geht wenigstens dieser Wunsch nach seinem allzu frühen Tod, von dem wir in letzter Minute erfahren haben, in Erfüllung. 18° Bahnen und versucht seinem Leben neuen Inhalt zu geben. In einer Arbeit als Beifahrer und mit einer jungen Partnerin sucht er nach einem eigenverantwortlichen Leben. Die alten Sicherheiten sind dahin, er fügt sich nicht mehr in die Konventionen und wird zu einem Außenseiter. Deutlich erkennbar wird nun, daß die einst festen Überzeugungen von der Entwicklung zu einer besseren Zukunft tiefgreifenden Zweifeln Platz machen. Alte und neue Lebenserfahrungen und -bereiche ausleuchtend, folgt 1980 Beckers Sammlung von Erzählungen, Nach der ersten Zukunft betitelt. Kurze Geschichten, Grotesken, Parabeln zeigen noch einmal Ursachen für das Scheitern der ersten Zukunft, des Sozialismus auf. Neben diesem Blick zurück auf die verlorene Utopie finden bereits Impressionen aus den USA-Aufenthalten Niederschlag. Ein Buch der Bestandsaufnahme und Neuorientierung gleichermaßen. Verunsicherung und Niedergeschlagenheit charakterisieren den 1983 veröffentlichten Roman Aller Welt Freund. Es ist das erste Werk Beckers, dessen Handlungsort nicht mehr in der DDR liegt, doch bekommt der Ort auch keine andere Kontur, bleibt nicht gesichert. Die in schlichter, präziser Sprache geschriebene Geschichte setzt ein mit dem fehlgeschlagenen Selbstmord des jungen Nachrichtenredakteurs Kilian. Er erforscht daraufhin innerhalb einer Woche in Gesprächen und Selbstreflexionen, aus welchem Grund er sich das Leben nehmen wollte. Seine Recherche ergibt, daß er ein Opfer seines Berufs geworden ist und die täglichen unheilverkündenden Nachrichten über das Elend der Welt nicht mehr aushalten konnte. Für Jurek Becker stellten sich zunehmend die Fragen: warum schreiben, woher den Mut dazu nehmen? Die vielen Bücher, und die vielen überflüssigen Bücher in den Buchhandlungen ließen ihn als Schriftsteller immer unsicherer werden.”° Becker betrachtete als zum Handwerkszeug der Schriftsteller gehörend neben der Voraussetzung, Vorstellungen in angemessener Weise in Worten auszudrücken, die Überzeugung, mit dem Bücherschreiben einer für andere wichtigen Tätigkeit nachzugehen. Diese Art von Größenwahn — wie er es ausdrückte — könne jedoch nur haben, wer zuversichtlich sei, daß die Zukunft mit Sicherheit besser sein werde als die Gegenwart.”! Jurek Becker verlor diese Gewißheit mehr und mehr. “Der Vorrat an Zuversicht, dieser Rückenwind, ist aufgebraucht“ ?, meinte er 1990 und erklärte weiter, in dieser Situation sei das Drehbuchschreiben geradezu eine Rettung. Die literarische Entwicklung Beckers hatte eigentlich 1962 mit dem Schreiben von Filmdrehbüchern für die DEFA, die Filmproduktion der DDR, begonnen. Filmdrehbücher blieben für ihn immer eine solide Handwerksarbeit, die er gut beherrschte. (“Der Handwerker muß drauflos arbeiten, ohne andauernd auf seine Skrupel zu achten, sonst kommt er zu nichts.) Nun griff Becker nach dem Rettungsring und verfaßte ein hinreißendes Drehbuch, leicht, sprühend von Witz und Humor in den Dialogen und dabei doch nicht belanglos. Die Fernsehserie Liebling Kreuzberg machte den Schriftsteller nun auch in Österreich und in der Schweiz bekannt, wo man ihn als Schriftsteller bisher wenig wahrgenommen hatte. Liebling Kreuzberg war Jurek Beckers einziger Text, der nicht in der DDR, sondern in Westberlin angesiedelt war. Prosa zu schreiben, die in Westdeutschland spielt, ist ihm nie gelungen; da hätte er immer das Gefühl gehabt, er mische sich “in die Angelegenheiten fremder Leute ein, Die DDR hingegen habe “als Arbeitsobjekt nie aufgehört, (ihn) zu interessieren“ ”. Und so kehrt Becker auch mit seinem letzten, 1992 erschienenen Roman Amanda herzlos wieder in das DDR-Berlin der achtziger Jahre zurück. Wer den großen gesellschaftskritischen Wenderoman erwartet hatte, wurde enttäuscht. Vordergründi g handelt es sich um eine Liebesgeschichte. Aus den Perspektiven dreier Männer, mit denen sie während eines Jahrzehnts lebte, wird Amanda und die jeweilige Liebesbeziehung dargestellt. Zwei Männer sind Journalisten, einer Schriftsteller, zwei sind aus der DDR, einer aus dem Westen. Damit werden auch die gesellschaftlichen Verhältnisse beleuchtet, kurz vor dem Mauerfall allerdings blendet Becker aus. Eine Hinwendung vom Allgemeinen zum Besonderen, vom gesellschaftlich Relevanten zum Privaten? Der Selbstgerechtigkeit und dem Opportunismus der Deutschen auf beiden Seiten, in Ost und West, hält er doch noch einmal den Spiegel vor: im Drehbuch zu einer Fernsehserie über die deutsche Einheit. 1994 wurde die neunteilige Serie “ Wir sind auch nur ein Volk“ im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Daß die DDR untergegangen sei, wäre kein Verlust, denn dieser Staat hatte es nicht anders verdient, stellte er ernüchtert in seinem letzten Interview fest. Doch um die Idee, was die DDR hätte sein können, sei es schade.?° Der Autor, der in jedem der beiden deutschen Staaten so viele Jahre gelebt hatte, blieb am Ende doch nirgendwo zugehörig, ein Fremder im eigenen Land. Am 30. September 1997 jährte sich sein 60. Geburtstag.