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Andrea Reiter Ruth Beckermann und die jüdische Nachkriegsgeneration in Österreich In einer Rezension von Ruth Beckermanns Essayband Unzugehörig heißt es abschließend: ‚‚Erst nachdem diese jüdische Nachkriegsgeneration durch die typischen Stadien von Zionismus-Begeisterung und antifaschistischem Engagement gegangen war, konnte sie sich mit dem beschäftigen, worum es wirklich ging. Mit den Erfahrungen der Eltern und der Bedeutung der Judenverfolgung und -vernichtung für die Gesellschaft heute.“ (Heenen-Wolff 1990) Diese Aussage trifft auf Beckermanns Biographie generell zu. 1952 als Kind jüdischer Überlebender des Holocaust in Wien geboren, spürte sie schon früh den Konflikt zwischen jüdischer Privatsphäre in der Familie und der nicht-jüdischen Öffentlichkeit. Ihr Versuch, in ihre österreichische Umgebung einzutauchen, schien zunächst einem Abenteuer zu gleichen: ‚Man wollte unbedingt dazugehören und gab die Schuld an den Schwierigkeiten, die man damit hatte, den Eltern. Die Rebellion gegen das Ghetto-Dasein der Eltern, wie wir ihre Zurückgezogenheit damals nannten, begann. Ihre Lebensweise war uns peinlich.“ (Beckermann 1989, S. 119)! Später, als Teen, schärfte die Lektüre Sartres den Blick für das eigene Anderssein. Die ‚‚Reflexions sur la question Juive“ gaben der Jugendlichen die Argumente zur Bestimmung des eigenen Standortes. Ferienaufenthalte in Israel begünstigten die Ausprägung romantisch-zionistischer Ideen und einer jüdischen Identität. Die 1968er Jahre brachten eine erste Politisierung für die damals gerade 17jährige. Wie Beckermann in einem Interview bestätigt, wurde die Affiliation mit der Linken noch verstärkt durch ein späteres Ereignis, nämlich die 1976 mitgemachte Besetzung der Arena, des ehemaligen Schlachthofgeländes von St. Marx in Wien, und ihre Umwandlung in ein alternatives Kulturzentrum: Es gab ,,eine Phase nach ‘68 m ub der Teut der »Neuen Linken< wo ich meinte, inzwischen so angepaßt zu sein, daß alles Jüdische kein Problem mehr für mich wäre“ (Brettschneider 1988, S. 34). Während Intellektuelle wie Jean Amery den in der Linken aufkeimenden Antizionismus schon früh als verkappten Antisemitismus durchschauten, dauerte das Rendevouz der jüngeren Generation mit der Linken auch in Deutschland länger. In Österreich änderte 1986 der kontroversielle Präsidentschaftswahlkampf Kurt Waldheims schlagartig die Situation. Während noch für das Kind ‚‚alles, was mit der Zeit der Verfolgung zu tun hatte, mit großer Angst und Scham verbunden“ war und aus diesem Grund auch die Eltern nicht darauf angesprochen wurden, brachten die Ereignisse der achtziger Jahre ein Umdenken. Erst dann, schreibt Beckermann, „begannen wir, über solche Gefühle nachzudenken“ (Beckermann 1989, S. 129, 121). Die Zugehörigkeit war nicht mehr selbstverständlich politisch-ideologisch determiniert, sondern mußte neu erkämpft werden. Der bis dahin in Österreich nur unterschwellige Antisemitismus manifestierte sich nun offen, nicht zuletzt auf höchster Politikerebene: Der damalige ÖVPMinister Michael Graff ließ sich dazu hinreißen, den Präsidentschaftskandidaten seiner Partei zu exkulpieren, solange man ihm nicht nachweise könne, daß er sechs Juden eigenhändig umgebracht habe. Waldheims Wahlkampf, die Aufforderung, sich gegen die Einmischung des Jewish World Congress, der Waldheim der Beteiligung an Kriegsverbrechen beschuldigte, zu wehren, galt der Mobilisierung des Volkszorns, wie auch Beckermann ihn in ihrem Film Die papierene Brücke festgehalten hat. Den Eindruck der Ereignisse auf die jüdische Minderheit in Österreich beschreibt die Autorin so: „Die 1986 einsetzende antisemitische Welle rief ebenso die Erinnerung an die vielen nazistischen und antisemitischen Skandale der vergangen vierzig Jahre hervor wie an persönliche Kränkungen, zu denen die meisten Juden geschwiegen hatten. Die Frage nach jüdischer Existenz in Österreich stellt[e] sich neu.“ (Beckermann 1989, S. 110) Auch das zwei Jahre später aus Anlaß der 50. Wiederkehr des November-Pogroms, der „Reichskristallnacht“, und des Anschlusses Österreichs an das Dritte Reich begangene sogenannte Bedenkjahr bewirkte eher die Verfestigung „Wovon hat man geträumt?“ Auszug aus einem Interview Andrea Reiters mit Ruth Beckermann Reiter: In Ihrem Film ‚Die papierene Brücke“ gibt es eine Stelle, wo Sie sagen, daß Sie beim Eintauchen in das ländliche Leben im Schtetl mit Ihrem Judentum konfrontiert wurden, bzw. mit Ihrem Aufwachsen in der nicht-jüdischen Umgebung in Reichenau. Besonders im Zusammenhang mit dem Hühnerschlachten ist Ihnen das wieder bewußt geworden. Ralph Giordano meinte anläßlich des Empfangs zu seinem 65. Geburtstag am 20. März 1988 durch den Hamburger Senat, das Zugehörigkeitsgefühl habe ihn nach der Befreiung in Deutschland bleiben lassen, und es habe sich dadurch verstärkt, daß er nun im Alter geehrt werde. Können Sie damit etwas anfangen? Beckermann: Zugehörigkeit hat für mich nichts mit einem Boden oder mit einem Land zu tun. Natürlich ist die Kindheit etwas, das die stärksten Bilder in einem Menschen schafft, und diese Fahrt nach Rumänien war jaein Versuch, auch in die Kindheit meines Vaters zurückzufahren und gleichzeitig in die Geschichten, die ich als Kind gehört habe, also osteuropäische Geschichten und Erzählungen. „Die papierene Brücke“ beginnt mit der Geschichte von Hagazussa. Das ist an sich eine Hexe. Eine Figur, die auch in der feministischen Literatur vorkommt. Eine Figur, die auf einem Zaun sitzt zwischen Zivilisation und Wildnis. Die Geschichte von Hagazussa ist eine Geschichte, und die Geschichte von der papierenen Brücke ist eine andere, und ich habe die beiden verknüpft und daraus eine neue gemacht. Die Geschichte von der papierenen Brücke ist eine dieser Geschichten aus Osteuropa, die davon erzählt, daß in einem Dorf eine neue Brücke gebaut wird, eben eine Brücke aus Papier. Die Ungläubigen und die Zweifler benützen weiter die alte Brücke aus Holz und stürzen ins Wasser, und die Gläubigen, die Hoffenden, die Utopisten, wenn man es modern sagen will, gehen über die papierene Brücke ins ewige Leben. Das ist natürlich eine Geschichte, die sehr viel mit Utopien zu tun hat, mit Hoffnung. Reiter: In einem Ihrer Filme sagen Sie, daß das Leben im Land der Mörder auch positiv aufzufassen sei, als Garantie gegen das Vergessen. Beckermann: Ich bin nicht der Meinung, daß Ehrungen genügen. [...] Ich glaube, daß Zugehörigkeit viel mehr damit zu tun hat, daß man aus einem Fundus schöpft, aus eigenen Bildern und Geschichten, die wiederum sehr viel mit den Gegenden zu tun haben, in denen man aufgewachsen ist. In diesem Sinne war meine Rumänienreise einerseits eine Reise in die Kindheit und andererseits habe ich dort bei dem 19