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Dorfes erschossen, im Wald, bei einem Bach. Gefunden haben ihn gegen Abend zwei Kinder, Freunde von Gerhard, die auf den Berg gingen, um ein Lagerfeuer anzuzünden. Dann kam die Polizei, wir wurden alle befragt, vor allem ich, Lenka und Peter, aber sie erklärten es als Selbstmord, und damit war die Sache erledigt. Nach einer Woche dachte niemand im Dorf mehr an Otto außer den beiden Buben, die noch erschüttert waren. „Katja“, stößt mich Lenka an, „Katja, hörst du?“ „Was ist denn, du Verrückte?“ antworte ich, denn ich bin noch schlaftrunken. Lenka sitzt neben mir auf dem Bett. Ich richte mich auf und höre zu. „Hör zu, der meine schlägt uns vor zu fliehen.“ Ich sehe sie verwundert an, nicht weil sie etwas Sonderbares redet, sondern weil das bedeutet, daß sie die ganze Zeit an Flucht gedacht hat. Einmal, auf irgendeinem rumänischen Bahnhof, war sie aus dem Waggon gesprungen und unten durchgeschlüpft; aber auf der anderen Seite hatte sie der Wachtposten erwischt. Danach hatten uns die Posten noch gröber behandelt. „Wohin soll die Flucht gehen?“ frage ich. „Er ist vor einigen Tagen irgendwohin gefahren und hat einen von seinen Leuten getroffen. Der sagte ihm, daß es bald zu Ende sein wird, suchen wird niemand mehr. Sie wollen heim nach Belgien flüchten. Für morgen sind sie verabredet. Aber allein mitihnen habe ich Angst — was ist, Katja?“ „Deshalb hast du mich jetzt aufgeweckt? Das hättest du mir später auch sagen können!“ „Ich bin so unruhig, ich kann nicht mehr schlafen!“ Doch sie legte sich wieder hin und schlief sofort ein, ich konnte nicht mehr schlafen. Bei Tag, sobald wir allein in der Küche sind, beginnt Lenka wieder von der Flucht zu sprechen. „Na, wie hast du dich entschieden?“ fragt sie. Ich schweige. Ich weiß nicht, warum ich nach Belgien flüchten sollte. Außerdem, mit Peter würde ich nicht einmal ins Paradies fliehen. „Nach schau doch, zu zweit wäre es alles besser, lustiger!“ Peter aber kommt den ganzen Tag nicht zu uns; vielleicht hält er sich an die Regeln der Verschwörung. Darum treibt er sich ständig im Umkreis seiner Scheune herum; offensichtlich trägt er etwas zusammen. Abends, als wir mit der Arbeit fertig sind, beginnt Lenka ihr Bündel zu schnüren: das braune Kleid mit dem weißen Spitzenkragen, das sie von Elsa bekommen hat, Strümpfe, zwei Hemden, den Lippenstift und einen kleinen Spiegel. Ich gebe ihr zwei Stück Seife. Obendrauf legt Lenka Weißbrot, das in Papier eingewickelt ist. Zu Peter geht sie natürlich nicht. Wir drehen das Licht ab, aber einschlafen können wir nicht. Auf einmal wird mir klar, daß das kein Spiel mehr ist und daß Lenka morgen nicht mehr da sein wird. ob wir jetzt gut oder schlecht zusammen gelebt haben, es scheint mir, daß es ohne Lenka ganz einsam sein wird. „Katja, vielleicht sehen wir uns nie wieder?“ fragt sie im Dunkeln. „Kann sein, wir sehen uns nie wieder.“ „Wenn du wieder nach Hause kommst, erzähl meiner Mutter, wie es mir da mit dir gegangen ist...“ Wir verstummen, man hört den Regen gegen das Fenster trommeln. Da plötzlich fällt mir Otto ein, wie er in den Neben hinausging, später ging er im Regen, und es ist mir, als hörte ich durch den Regen einen Schuß in der Ferne, einen zweiten, einen dritten ... doch da schlafe ich schon. Ich erwache vom Läuten des Weckers. So gerne möchte ich noch schlafen, aber es ist schon fünf Uhr. Sofort erinnere ich mich an Lenka und ihre Flucht. Das Bündel liegt noch genauso da, wie es vorher lag, und unter der Decke lugen Lenkas nackte Beine hervor. „Lenka!“ rufe ich sie. „Ah!“ Sie springt auf und sitzt sekundenlang mit offenem Mund da. Ich werde auf einmal ganz fröhlich, und der Schlaf ist wie weggewischt. „Wie spät ist es?“ fragte Lenka und beginnt sich zu besinnen. „Fünf.“ „Wirklich?“ fragt Lenka und schaut ihr Bündel an. ‚Und wo ist denn er?“ „Er wird vermutlich auch in der Scheune schlafen. Wenn es regnet, schläft man gut.“ Lenka steht auf und knüpft ihr Bündel wieder auf. Auf einem Hemd ist ein großer Fettfleck — vom Butterbrot. Lenka legt ihre Sachen wieder zuriick, offenbar ist sie gar nicht traurig. Daklopft es an der Tiir, Elsa kommt herein. Sie fragt besorgt, wo Peter ist; er soll in die Stadt fahren. Wir zucken die Achseln. Der Backofen ist nicht angeheizt, und wir müssen jetzt in aller Eile Peters Arbeit tun. „Hast du ihn nicht anklopfen gehört?“ fragt Lenka. ,,Der Teufel ist abgehauen! Und wir miissen es jetzt ausbaden! Zum Mittagessen kommt Elsa in die Kiiche und fragt nochmals, ob wir nicht wissen, wo Peter ist. Sie müßte es unverzüglich in der Kommandantur melden. Wir wissen es nicht. Doch Elsa geht nirgends hin und meldet nichts — anscheinend hat sie eingesehen, daß sich niemand mehr um Peter kümmert. An Peters Stelle kam ein Bursche, der zufällig in das Dorf geraten war. Ihm fehlten zwei Finger an der linken Hand, er war auch ziemlich beschränkt, doch seine Arbeit verrichtete er genau. Im Dorf redete man schon ständig davon, daß die Russen bald kommen würden, dann kam das Gerücht auf, es würden wahrscheinlich die Amerikaner sein. Den Bauern war es ganz gleich, wer dakommen 33