OCR
würde, wenn es nur bald zu Ende wäre. Dann würden die Söhne zurückkehren, die noch am Leben waren, bald könnte der Parkplatz wieder voll sein mit den Autos . der Touristen, und alles würde seinen gewohnten Gang gehen. Lenka steht nicht mehr um fünf Uhr auf, sie schläft, solange es ihr paßt. Manchmal läßt sie einfach die Arbeit liegen und geht in den Hof hinaus, setzt sich auf die Bank und sonnt sich. Elsa nimmt es nicht zur Kenntnis und sagt nichts zu Lenka, vielleicht versteht sie nicht, daß Lenka sich bewußt gemein benimmt. Eines Morgens ruft sie uns in den zweiten Stock, in ihr Zimmer, und öffnet den Kasten: „Ich möchte euch etwas zum Abschied schenken, denn wahrscheinlich werdet ihr nicht mehr lange hierbleiben.“ Und sie schenkt uns jeder ein Kleid — Lenka ein rosafarbenes, aus halbdurchsichtigem Stoff, mir ein dunkelgrünes. „Wieder ihre milden Gaben“ , murrt Lenka beim Hinuntergehen, doch dann probiert sie es gleich an. Von dem Tag an arbeitet Lenka überhaupt nicht mehr; sie liegt auf dem Bett und bemalt sich die Lippen, oder sie geht in die Berge spazieren. „‚Ist Lena nicht ganz gesund?“ fragt Elsa. „Ja, sie ist ein bißchen krank“, erwidere ich. Versteht Elsa, oder versteht sie nicht? „Die Russen sind in Wien“, sagt sie. Das heißt, sie versteht. „, Wir müssen nach Wien fahren“ , sage ich. ,,Ja, ja, nickt Elsa, ihr seid frei, ihr könnt fahren, wohin ihr wollt.“ Am nächsten Morgen bringt Elsa unsere Dokumente. Der Gaul ist eingespannt, der Zigeuner sitzt schon auf dem Leiterwagen, er singt und schaut ins Leere. Wir holen unsere Sachen. Und da taucht Gerhard auf, in höchster Aufregung. Er rennt in den Hof und schreit wie verrückt: „Die Amerikaner, die Amerikaner!“ », Wo?“ rufen Lenka und ich wie aus einem Mund, doch Gerhard rast schon aus dem Haus zum anderen Ende des Dorfes. Kaum zehn Minuten später fuhren die Amerikaner ein, es waren nur dreißig Mann, sie waren fröhlich wie Ausflügler. Unter ihnen waren viele Schwarze, und einer von ihnen, er war lang und dürr wie eine Hopfenstange, saß auf dem letzten Auto und lachte aus voller Kehle. Dann sprang er mitten unter der Fahrt vom Wagen - er konnte einfach nicht stillsitzen. Die Bauern standen bei ihren Häusern und betrachteten mit lebhaftem Interesse die Amerikaner. 34. Ich stand mit Lenka auf der Vordertreppe, wir schauten, und Elsa wies ständig Gerhard zurecht, der mit dem Finger auf die Neger deutete. „Willkommen, ihr Verbündeten Lenka fröhlich auf Russisch. Ein Schwarzer schrie ihr etwas zur Antwort zu und machte eine unanständige Geste, und die anderen lachten dazu wiehernd auf und zeigten die weißen Zähne. 166 rief Eine halbe Stunde später kehren die amerikanischen Autos zurück, Lenka sieht es, stürzt aus dem Haus, und schon höre ich ihre freudige Stimme: ,, Katja, Katja! Mach das Fenster auf!“ Lenka hält in den Händen eine große, merkwürdige braune Schachtel. „Schau, was die Amerikaner verteilen Da sehe ich, daß das ganze Dorf auf den Beinen ist, ich sehe lachende Soldaten und Kinder, die wie Ameisen solche Schachteln in alle Richtungen wegschleppen. Lenkareißt ungeduldig die Schachtel auf: sie holt Fleischkonserven heraus, eine Tafel Schokolade, Saftkonzentrate, eine verpackte Seife, Medikamente, sogar goldfarbene Zwiebeln. Lenka bricht die Schokolade auseinander und gibt mir ein Stückchen. Es ist echte Bitterschokolade mit Butter. Gegen Mittag, nachdem alle Schachteln verteilt sind, beginnen die Amerikaner Ordnung zu machen. Sie verlautbaren, daß sie alle Internierten gemeinsam nach Wien in eine Sammelstelle bringen werden. Ich werde mit Lenka morgen früh nach Wien fahren. Ich gehe zum Bach hinaus, meine Wäsche waschen. Der Bach entspringt in den Bergen, das Wasser ist kalt und klar. Ich nehme die amerikanische Toiletteseife, aber mir ist sie nicht zu kostbar. Soll die Wäsche auch duften. Als ich fertig bin, ziehe ich mich bis zum Gürtel aus. Da knirrscht hinter mir der Kies. Ich drehe mich um und sehe am Ufer einen Schwarzen stehen, auch mit nacktem Oberkörper, und er hält in den Händen mein Nachthemd! „Oh, zum Teufel“ schreie ich auf und bedekke die Brust mit den Händen. Geh doch weg!“ Der Neger lacht und macht keine Anstalten, wegzugehen, er hält mein frischgewaschenes Hemd immer noch fest. Da bücke ich mich, hebe eine Handvoll Steinchen auf und werfe sie mit aller Kraft gegen den Neger. Der lacht nur noch mehr und schleicht sich an mich heran. Nun bekom166 me ich ernsthaft Angst, greife nach einem schweren, groBen Stein und werfe ihn. Der Stein trifft ihn am Knie. Der Neger sagt in seiner Sprache etwas sehr Böses, wie mir schient, lacht nochmals, dann schleudert er mein Hemd ins Gebüch und entfernt sich flußabwärts. Ich steige blaugefroren aus dem Wasser und ziehe mich sehr schnell an. Das Hemd ist ganz voll Schlamm. „Du Haderlump von einem Verbündeten!“ schreie ich, „Dich hat der Teufel hierhergebracht!“ Und ich beginne das Hemd nochmals zu waschen. In Elsas Gasthaus sitzen schon Soldaten und trinken ihr Bier aus den Flaschen. Sie reden laut in ihrer Sprache, nach fast jedem Satz lachen sie schallend los. Lenka sitzt noch spätabends in der Gaststube, die Soldaten bewirten sie der Reihe nach mit Bier, und Lenka sieht lustig und mit ihrem Leben völlig zufrieden aus. Als ich schlafengehe, ist ihr Bett noch leer. In der Früh gehe ich in den Hof, um die Wäsche abzunehmen, und sehe Elsa; sie steht auf der Türschwelle und hat einen eigentümlichen Ausdruck im Gesicht. Als sie mich bemerkt, dreht sie sich weg. „Frau Elsa!“ rufe ich. Und da taucht Lenka auf. Auch sie lächelt irgendwie merkwürdig. „Was ist da bei euch passiert?“ frage ich. „Die Hexe mit ihren weißen Händen!“ antwortet Lenka. „Ich habe ihr so viel Dreck geputzt diese ganze Zeit über. Und sie kann mir kein einziges Mal die Stiefel putzen!“ Ich fühle, wie mir das Blut zu Kopf steigt. Lenka stoße ich zur Seite und gehe auf unser Zimmer. Blöde Kuh, denke ich, hast du nur auf diesen Augenblick gewartet, daß du ihr einen Fußtritt geben kannst, und warum eigentlich, hat sie sich je über dich lustig gemacht, war sie deine Feindin? Hat sie nicht mit uns gemeinsam gearbeitet, während du hauptsächlich Nachtarbeit geleistet hast, mit Peter in der Scheune ... und die ganze Zeit hast du davon geträumt, daß du sie einmal zwingen wirst, deine ordinären Stiefel zu putzen ... Lenka zeigte sich nicht mehr bis zur Abfahrt, als das Lastauto vor dem Tor hupte. Ich saß im Zimmr, als Elsa eintrat und bei der Tür stehenblieb. „Frau Elsa“, sagte ich und scheute mich, ihr in die Augen zu schauen, ‚‚Sie haben sich zu uns immer so gut benommen. Danke für alles.“