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Nationalsozialisten, und da auch nicht allen,
sondern nur den verdientesten.“

Alle billigten diese richtige Bemerkung, und
es wurde sogleich verfügt, daß man für den
Anfang nur den Mitgliedern der nationalso¬
zialistischen Partei mit den Mitgliedsbuch¬
nummern von eins bis zehntausend jüdische
Vorfahren einschreiben sollte.

Es wurde beschlossen, die Archivare un¬
verzüglich zu kaufen.

Die Greise machten sich eilig daran, die
Goldmünzen am Tisch zusammenzuraf¬
fen, dann sangen sie im Chor und klapper¬
ten dabei mit den Münzen in ihren Ta¬
schen:

Oh Zion, erstrahle entzückt!

Wir sind ganz und gar berückt!

Ein neuer Weiser ist da!

Lamzadriza zaza!

Dann, nachdem sie einige Tanzfiguren
ausgeführt und sich die Kappen tief ins
Gesicht gezogen hatten, verschwanden
alle zusammen durch die Tür und ließen
Kallenbruck allein am leeren Tisch mit
dem Telefon und den beiden siebenflam¬
migen Kandelabern zurück.

Der Professor wollte den schnurrbartbraui¬
gen Alten rufen und ihn fragen, ob er hier¬
bleiben oder gemeinsam mit ihnen wegge¬
hen sollte, aber das Zimmer war schon leer.
Die Kerzen brannten matt, sie blinzelten
dem Professor zu und vergossen Stearin¬
tränen auf den verlassenen Tisch, auf den
Teller mit der Matze und auf den einsamen,
vergessenen Haufen Goldmetall.
Professor Kallenbruck war unbehaglich
zumute. Ihm fiel ein, daß man ihn in eine
Falle gelockt haben könnte. Dieser Gedan¬
ke verdichtete sich zu einer panischen Ge¬
wißheit, als es im Gang hartnäckig und
andauernd läutete.

Der Professor fuhr herum, streifte mit dem
Ellenbogen den Kandelaber und fegte ihn
hinunter.Die Kerzen flackerten auf, dann
verlöschten sie. Er blieb in völliger Dun¬
kelheit.

Jetzt kam es ihm vor, als ob das Läuten
nicht vom Gang käme, sondern als ob das
Telefon auf dem Tisch wie verrückt läute¬
te. Mit zittrigen Händen tastete er im Dun¬
keln auf dem Tisch. Er fand den Apparat
nicht, schmerzhaft stieß er mit dem Finger
gegen irgendetwas. Endlich ertastete seine
Hand den Telefonhörer. Er riß ihn hastig
hoch und brachte ihn ans Ohr..."Hallo, wer
spricht da?“

ok

„Herr Professor Kallenbruck?“ begann
eine bekannte Stimme im Hörer zu nu¬
scheln. ,,Guten Abend! Hier spricht Dok¬
tor Himmelstock. Was ist denn heute mit

Ihnen los? Warum sind Sie nicht im Lö¬
wenbräu? Wir sitzen hier schon eineinhalb
Stunden ohne Sie. Jetzt haben wir be¬
schlossen, Sie anzurufen. Fehlt Ihnen viel¬
leicht etwas?

„Mir?... Das heißt, ja, was heißt denn
das?“ murmelte Kallenbruck.

„Schade, daß Sie nicht auf einen Schoppen
vorbeigeschaut haben. Der Herr Justizrat
Noldtke war heute in Fahrt und hat sehr
interessante Sachen berichtet... Übrigens
muß ich Ihnen gratulieren: Ihr Buch über
die endogenen Minusvarianten des Juden¬
tums hat dem Führer sehr gefallen. Er hat
gestern im Bett bis zwei in der Nacht darin
gelesen... Nun, wann sehen wir uns wie¬
der? Morgen? Sagen Sie doch zu. Es gibt
so viele interessante Neuigkeiten! Wenn
ich es schaffe, komme ich noch vorbei und
höre mir den Schluß Ihres heutigen Refe¬
rates an...“

Der Gesprächspartner hängte den Hörer
ein.

Professor Kallenbruck saß noch einige Mi¬
nuten in der Dunkelheit und hielt den Te¬
lefonhörer ans Ohr. Dann legte er abrupt
den Hörer auf die Gabel. Mit der Hand
ertastete er den Schalter.

Die Tischlampe leuchtete auf. Der Professor
blinzelte wegen der Helligkeit und sah sich
in seinem alten, wohlvertrauten Kabinett um
— der Schreibtisch, das Telefon, der Aschen¬
becher, die Zigarrenschachtel, die auf dem
Tisch ausgebreiteten Umbruchseiten:

„Im Gegensatz zur römischen Nase und
den anderen zahlreichen Abarten des klas¬
sischen griechisch-nordischen Typs zeich¬

net sich die semitische Nase vor allem
durch eine Hypertrophie der paarigen drei¬
eckigen Glasknorpel aus, die gemeinsam
mit dem hervortretenden Buckel...“
Professor Kallenbruck sprang vom Sessel
auf und rannte zum Spiegel. Ein geräusch¬
volles, erleichtertes Aufatmen ging durch
seinen festen Körper.

Zwischen den Triefaugen und über dem
Schnurrbart, der entsprechend der nationa¬
len Mode kurz geschnitten war, erhob sich
die tadellos gerade, am Ende ein klein we¬
nig verdickte Nase der Kallenbrucks. Die
Strenge und Reinheit ihrer arischen Linie
war über jeden Zweifel erhaben:

Der Professor fuhr sich mit der Hand über
die Stirn:

„Pfui! Wie kann einem Menschen bloß
etwas derartig Abwegiges einfallen?“

Er kehrte zum Tisch zurück und betrachte¬
te die Ausgabe des ‚‚Völkischen Beobach¬
ters“ mit der mit rotem Stift angezeichne¬
ten Anktindigung:

„Heute um acht Uhr abend hält Professor
Doktor Otto Kallenbruck im ‘Klub der
Freunde der militanten Eugenik’ einen
Vortrag zum Thema ‘Die semitische Nase
als vererbte Minusvariante des Judentum¬
s’. Anschließend Diskussion.“

Der Professor warf einen Blick auf die Uhr:
„Ej-ej-ej! Zehn vor acht!“

„Berta!“ riefer und öffnete die Tür auf den
Gang. „‚Berta! Gib mir meinen schwarzen
Gehrock und sag Mitzi, daß sie schnell ein
Glas Bier vorwärmen soll. Schalte das
Deckenlicht ein, Berta!“ bat der Professor
und nahm seiner Frau den Gehrock ab.
Als er sich die Krawatte band, beobachtete
er von der Seite her im Spiegel den flie߬
enden Gang seiner Frau und die abwarten¬
den Bewegungen ihrer fleischigen Hände,
als sie die Zigarettenstummel aus dem
Aschenbecher leerte.

„Berta!“ rief er und steckte sich die Kra¬
wattennadel an. „Stell dir doch für eine
Minute folgende unwahrscheinliche Si¬
tuation vor: Was würdest du tun, wenn
dein Mann - das ist natürlich lächerlich
und absurd, aber nehmen wir es für eine
Minute an — was würdest du also tun,
wenn sich herausstellte, daß dein Mann
ein Jude ist?“

„Du machst immer so sonderbare Scherze,
Otto!“

„Aber nehmen wir es für eine Minute an“,
beharrte der Gatte. „Was würdest du dann
tun?“

„Nun, ich würde ihn natürlich unverzüg¬
lich fallenlassen.“

„Und dir täte es kein bißchen leid wegen
der Kinder und der vielen gemeinsam zu¬
gebrachten Jahre?“

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