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plets liest, hört oder spielt (im Anhang finden sich Noten zu einigen der Texte), weiß jedenfalls, warum Jimmy und Trude Berg es vorzogen, nicht nach Österreich zurückzukehren. Gerhard Scheit Von der Ringstraße zur 72nd Street. Jimmy Bergs Chansons aus dem Wien der dreißiger Jahre und dem New Yorker Exil. Hg. (und mit einem Aufsatz „Wer war Jimmy Berg?“, S. 1-39) von Horst Jarka. New York: Peter Lang 1996. 318 S. (Austrian Culture. Hg. von Harry Zohn. 17). Allegorisierung eines gewaltigen Potentials an Brutalität Seit der Eröffnung der Jiddischen Bibliothek des Otto Müller Verlages im Jahre 1995 ist es dem Übersetzer Armin Eidherr (Germanist und selbst Autor) gelungen, bereits einen dritten (Prosa)Band herauszugeben. Diese Edition hat sich vorgenommen, jiddische Literatur aus Österreich und/oder mit Österreichbezug für eine daran interessierte Leserschaft zuganglich zu machen. Mit Hinde Bergner (,,[n den langen Winternächten‘“‘) und deren Sohn Melech Rawitsch (‚Das Geschichtenbuch meines Lebens“) wurden Familienerinnerungen aus Galizien und Beschreibungen von Alltagsszenen und Bezugspersonen ausgewählt, die nicht nur ein spannendes literarisches, sondern auch ein historisches Dokument ergeben. (Siehe hiezu die Buchbesprechungen in MdZ Nr.3/1996, S. 48f., von Vladimir Vertlib und Nr.3/1997, S. 50, von Evelyn Adunka!) Mit dem nun vorliegenden Band ,, Unter der Briikke“ von Abraham Mosche Fuchs wurde der Ankündigung, sich von jetzt an dem jiddischen Literatur- und Kulturschaffen in Wien von cirka 1914 bis 1938 zu widmen, Rechnung getragen. Die Schauplätze dieser Novelle befinden sich ausschließlich in dem Leopoldstädter Gretzl zwischen dem ehemaligen Nordbahnhof und dem Wurschtelprater, vorwiegend unter einer Brücke der damaligen Verbindungsbahn (zum Süd-OstBahnhof), der heutigen S-Bahn-Strecke, im naheliegenden Cafe und in den angrenzenden Behausungen verluderter Mietzienshäuser. Das übrige Wien, ja selbst der Prater, spielen nur in wenigen, aber sehr stimmungsvollen Impressionen mit. Das Geschehen ist eingeschränkt auf ein Milieu, dessen Hauptakteure vornehmlich Huren, Zuhälter und Krüppel sind. Sie lieb-wienerisch als Strichmentscher, Strizzis und Krepierln zu bezeichnen, wäre verfehlt. Diese erbarmungswürdigen Figuren agieren selber erbarmungslos. Ihr Geschäft: von der käuflichen Liebe zu leben. Und als die Zeiten (gegen Ende des Ersten Weltkrieges) noch dreckiger werden: mit Schleichhandel, Gaunereien bis hin zum Totschlag zu überleben. Hunger und Not überbrücken sie mit falschen Zuneigungen und fatalen Unbeherrschtheiten. Naturalismus pur. Wenn man die Arbeitsweise des Autors mit jener eines Malers vergleicht, so spachtelt er das Abstoßende, Krankhafte und Häßliche mit dicken und grellen Ölfarben zu solchen Bildern, daß dem Betrachter bzw. Leser, besonders bei den Details der Physiognomien, das Grauen überkommt. Gespenstisch auch das Geschehen auf der Brücke und im nahen Bahnhof: Militärtransporte zur Ostfront, in den Gegenzügen Flüchtlinge und Gefangene und letztlich die Rückkehr verstümmelter Soldaten. Wie A. Eidherr in seinem sehr informativen Nachwort mitteilt, verbrachte A.M. Fuchs den Ersten Weltkrieg in Wien. Bitterste Armut hatte ihn so erschöpft, daß er für den Kriegsdienst nicht taugte. Vielleicht hat er in diesem Lebensabschnitt die Anschauungen für seine 1924 erstmals erschienenen schwarzen Schilderungen gewonnen. Als Jude schreibt er wenig Gutes von den jüdischen AuBenseiters, macht aber ,,die ganze Begehrlichkeit und Hinneigung des jiidischen Gemiits zu Gottes Welt, zum Leben im Diesseits und im Jenseits“ stark fühlbar. Leider wurden viele seiner unveröffentlichten Manuskripte 1938 von Gestapo-Agenten gefunden und vernichtet. Des Herausgebers reichem Wissen um die jiddische Sprache und seiner leidenschaftlichen Beschäftigung mit der jiddischen Literatur sind solche Raritäten aus einer nicht mehr existierenden Welt zu verdanken, und erreichen durch ihn erstmals den deutschsprachigen Leser. Sein Vorhaben als Übersetzer, das Jiddische in ein „‚österreichisches‘‘ Deutsch zu übertragen und es mit Ausdrücken des Wiener Dialekts zu lokalisieren, ist Jedoch nur teilweise gelungen. In der damals wie heute gepflogenen Umgangssprache (des Praterviertels) — um nur einige Beispiele anzuführen — vagiert man weder ein-, noch untergehakt herum, auch nicht in gekästelten Hosen oder mit einem Flicken am Hintern, hat keine Fresse und guckt nicht scheel aus den Zotteln, wenn man sich zwischen den schelfernden Häusern dicht an dicht drängelt, um Geld einzusacken. Trotzdem sollte man sich auf die weiteren Veröffentlichungen aus diesen ‚‚verlorenen“ Schätzen freuen, wie auch immer die Übersetzung gelingen mag — sie bleiben kostbare Perlen der (österreichischen) Literatur! Emmerich Kolovic Abraham Mosche Fuchs: Unter der Brücke. Eine Novelle. Aus dem Jiddischen übersetzt und herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Armin Eidherr. Salzburg, Wien: Otto Müller Verlag 1997. 109 S. OS 220,- (Jiddische Bibliothek. 3). Europa der vielen Mitten ‘Europa’ bezeichnet im 6ffentlich-oberflichlichen Diskurs ein scheinbar klar umrissenes polititsches, kulturelles oder geographisches Phänomen: Was mit dem Begriff ‘Europa’ gemeint ist, darüber scheint man sich einig zu sein — vor allem soweit es jene betrifft, die sich im „Vereinigten Europa der Wirtschaftskapitäne“ ihren Platz sichern konnten und von dieser Position aus kraft ihrer Definitionsmacht ‘Europa’ in den Dienst ihrer Einheitsphantasien nehmen. Das ‚europäische Alphabet“ des Salzburger Essayisten und Kritikers Karl-Markus Gauß hingegen umkreist ‘Europa’ buchstabierend von vielen Seiten, befragt, beobachtet, erwandert und erfährt seinen ‚„‚Gegenstand“, beläßt ihm seine Widersprüchlichkeiten und damit seine Weiten. Er skizziert ein „‚anderes“ Europa, eines der „‚aufgerissenen Ränder“, ein Europa der Bruchstellen und Widersprüche, einen Kontinent, auf dem — nicht nur geologisch — „noch ein ungeheures Geschiebe und Gedrükke“ herrscht. Das ‘Europa’ von Karl-Markus Gauß ist nichts Abgeschlossenes, Fertiges: es ist kein gebrauchsfertiger und eindeutiger Begriff. Das Buch bietet — der Offenheit, mit der sein Gegenstand aufgefaßt wird, entsprechend - eine spielerische und sprunghaft-nicht lineare Lektüre an. Die etwa dreißig Leitbegriffe sind nach dem Alphabet geordnet, in den einzelnen unterschiedlich langen bzw. kurzen Abschnitten finden sich immer wieder auch Querverweise, die zu einem neugierigen Vor- und Zurückblättern einladen. Es ist nicht wichtig, bei welchem der Leitbegriffe man sich zuerst festliest, denn für die Lektüre dieses alphabetisch sortierten Essays gilt, was Montaigne festgestellt hat: „Ich kann anfangen, womit es mir gefällt, denn die Gegenstände sind alle miteinander verkettet.“ Heimat und Identität sind vielbeschworene Konstanten in der Diskussion um das sich bürokratisch und ökonomisch neu formierende Europa. Doch schon beim Versuch, das Wort „Heimat“ in eine der anderen europäischen Sprachen zu übersetzen, gibt es erste Irritationen; Identität hingegen ist — zumindest für die „‚Soziologen der Ausgrenzung“ — zur Worthülse geraten, mit der in Europa der „Kult des Unterschieds“ gefeiert wird. Diesem Konzept von Identität als starrer, unveränderlicher Größe hält Gauß ein bewegliches, veränderliches entgegen: Identität als „Fundus von Möglichkeiten, die ein Mensch, eine Gruppe hat, um Traditionen und Aufbrüche zu verbinden.“ Heimat oder Identität sind problematische Begriffe, denen viele Menschen mit Skepsis und Ambivalenz gegenüberstehen. Gleichwohl aber werden auch diese Begriffe vom Autor ernstgenommen und pointiert auf ihre oftmals widersprüchlichen Bedeutungen hin ausgelotet. Gauß geht achtsam um mit verständlichen Bedürfnissen wie jenen, „die Menschen seines Wohnhauses, seiner Straße mit dem Namen zu kennen und sich mit ihnen in einem Einverständnis über einige grundlegende Dinge zu wissen“ — auch dafür steht der Begriff Heimat. Und gleichzeitig klingt in der kritischen Fragestellung: ‚„‚Wie viele Heimaten hat Europa, wieviel Heimat läßt Europa zu?“ das überkommene und enge Bild von Heimat an, das leicht zu mißbrauchen und zu instrumentalisieren ist und dem zu Recht mit Skepsis zu begegnen ist. „‚Heimat“ enthüllt bei Gauß seine schillernden Aspekte und offenbart eine spezifische Dynamik: wenn es auch ein Recht auf Heimat geben mag, kann dieses aber ‚„‚weder zentral gewährt noch politisch verordnet und durchgesetzt werden"; Heimat scheint das „‚Unwandelbare zu repräsentieren“ — und „wandelt sich doch stets"; „Heimat“ hält so manches Paradoxon bereit, das nicht einfach aufgelöst werden kann, sondern belassen und mitbedacht werden muß. 57