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Doron Rabinovici Anmerkungen eines eingesprungenen Lesers 15 Jahre ,,Mit der Ziehharmonika“ Ich bin ein Leser der Zeitschrift, deren fünfzehntes Jubiläum wir heute begehen. Seit wenigen Jahren erreicht mich diese Zusendung. Ich bin ein Nutznießer, und ich will auf keinen Fall auf sie verzichten müssen, weil „Mit der Ziehharmonika“ ein Kontrapunkt ist gegen jene falschen Harmonien, mit denen die Erinnerung übertönt, gleichsam niedergewalzert, werden soll. In den Artikeln dieser Hefte bedient sich niemand der Vertriebenen und Ermordeten als Mittel der Staatskosmetik. Im Gegenteil; in diesen Blättern, protestierte Willy Verkauf-Verlon gegen das Imagemanagement, gegen die Politik der Politur, mit der das Ausland besänftigt werden sollte. Damals wollte die Regierung mit Hilfe der Künstler, die aus dem Lande gehetzt oder in Konzentrationslager gepfercht worden waren, Kurt Waldheims Aussagen zur Vergangenheit übertünchen. Wer in jenen Wochen an der Mahnwache für den antinazistischen Widerstand teilnahm, um jener zu gedenken, die im Gegensatz zu Waldheim ihre „Pflicht erfüllt“ hatten, mochte seinen Ohren nicht trauen. Das Ressentiment und das Boulevard verteidigten die Ehre der Wehrmacht. ,,Mit der Ziehharmonika“ geht es jenseits aller Taktik um die Literatur des Exils und des Widerstands. Hier lese ich über die Verfolgten, finde gar Beiträge der einstmals Vertriebenen; auf einer Seite stoße ich auf einen altbekannten Namen, auf der nächsten lerne ich neue kennen. Ich behaupte nicht, daß mit Artikeln die Heimholung derer gelingen kann, die vernichtet oder verjagt wurden, aber diese Zeugnisse helfen mir gegen manch heimische Heimsuchung. Ich höre fragen, wozu eine Zeitschrift sich noch dem Widerstand widmen soll. Hitler sei doch ohnehin besiegt. Es ist zur Zeit modern, Kritik an den Opfern Hitlers zu äußern. Wer dem Massenmord entrann, scheint bereits verdächtig, und muß sein Überleben rechtfertigen. Manche Forscher hoffen auf den baldigen Tod der Verfolgten und sprechen in aller Offenheit von ihren Sehnsüchten; dann erst wäre die Geschichtswissenschaft wieder ungebunden. Es heißt, die Überlebenden dürften nicht mehr tabu sein. In Wahrheit waren sie in Österreich nie tabu, sondern erst vogelfrei und dann Parias, Unberührbare; Zeugen einer Erinnerung, an der kaum einer anstreifen wollte. Wer sich heutzutage auf Traditionen des antinazistischen Widerstandes bezieht, wird als unverbesserlicher Gutmensch verhöhnt oder der Langeweile geziehen. Eben weil ich diese Überreiztheit gegen das Vermächtnis des Antinazismus kenne, schätze ich „‚Mit der Ziehharmonika‘“ umso mehr. Die tägliche Abwehr gegen das Gedächtnis der Verfolgten bestätigt den Bedarf dieser Zeitschrift. Sobald etwa 1998 Verwandte ermordeter Juden ihre Ansprüche auf österreichische Gemälde anmelden, verkündet die zuständige Ministerin, die Erben machten mit ihren Forderungen das gute Verhältnis kaputt, das seit fünfzig Jahren zwischen Österreich und der jüdischen Gemeinde bestünde. Ich frage mich bloß, warum so kleinlich? Weshalb schwärmt Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer nur von fünfzig, und nicht gleich von sechzig Jahren jüdisch-österreichischer Geschichte? Es schien, als wollte Gehrer die Wiener Juden in Geiselhaft nehmen, indem sie drohte, die Kultusgemeinde würde unter den jüdischen Ansinnen aus New York zu leiden haben. Wen wunderts; diese Ansichten finden Beifall. Gewiß; mit den vergasten Juden und ihren einstigen Besitzungen, mit den vertriebenen Künstlern und ihren Werken ließe es sich trefflich leben, wären da nicht noch die Nachfahren mit ihren lästigen Wünschen. Solch eine Gesinnung will das weihevolle Gedenken jenseits der Erinnerung, träumt von einer hehren Geschichte ohne Vergangenheit, hat nichts gegen die Ausstellung der Kunst, solange bloß keine Einstellung, keine Meinung, gefordert ist. Diesem Konzept entzieht sich die Zeitschrift „„Mit der Ziehharmonika“ , weil sie die Literatur des Exils und des Widerstandes nicht ausschlachtet, weil sie die Schriftsteller nicht ausweidet, um sie ihres politischen Inhaltes zu berauben. Diese Dichter wurden ausgeplündert, wurden aus Österreich verjagt, in Lager verschleppt, gequält oder ermordet. Die Vertriebenen sprachen im Ausland die neue Sprache mit fremden Akzent. Ihr Deutsch interessierte niemanden und ihre Bücher konnte kaum jemand lesen. Ihnen wurde mitgeteilt, daß ihre Vergangenheit nichts sei im Vergleich mit dem, was sie nun erwarte. Nicht wenige von ihnen verzweifelten Kirche des Ordens der Hl. Dreifaltigkeit und des Loskaufs der Gefangenen am Mexikoplatz in Wien FEVIEIRO, ÜUHRENMANDEN. Mexikoplatz. — ,, Wir befinden uns an der Donauldnde. Hier kommen Menschen an, verschwinden wieder, die Donau herauf, die Brücken herüber. Sie kommen, weil sie weiß Gott welche Bedürfnisse haben, weil sie polnische Bürger in einem Autobus sind, die eine Wallfahrt nach Rom machen, weil sie ihr Reisegeld mit dem Verkauf polnischer Marlboro verdienen wollen (sie sind so naiv und bieten ihre Zigaretten in der Tabaktrafik an), weil dann die Zollwache kommt und die Zigaretten beschlagnahmt, weil dann eine polnische Pilgerin weint, die jetzt weiß, daß sie hungrig nach Rom kommen wird. Das alles ist zufällig, geschieht oder geschieht nicht; wir sind hier 3