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Wolfgang Neugebauer „Anschluß“ 1938 Auswirkungen Einschätzungen und Zum Begriff Anschluß“ Die Nationalsozialisten bezeichneten ihren Sieg in geschichtsklitternder Weise als ,, Wiedervereinigung“, und ihre Propagandisten und Historiker machten sich den ebenso unzutreffenden Begriff ,,AnschluB“ zu eigen. Der nationalsozialistische „Anschluß“ wurde als die Verwirklichung der demokratisch geprägten Anschlußidee von 1918 und der Ersten Republik hingestellt, als nahezu alle politischen Kräfte Österreichs den Anschluß an Deutschland wünschten. Trotz seines nationalsozialistischen Propagandatones hat sich der Terminus „Anschluß“ bei vielen Historikern und Publizisten gehalten. Demgegenüber hat die Republik Österreich offiziell die Auffassung von der „Okkupation“ (militärische Besetzung) bzw. „Annexion“ (gewaltsame Einverleibung) Österreichs durch das Deutsche- Reich vertreten. In dieser Sicht wurde Österreich ausschließlich als „Opfer“ ausländischer Aggression hingestellt, während die österreichischen Komponenten des ,,Anschlusses“ bewußt verdrängt wurden. Der Völkerrechtler Stefan Verosta hat den in Jeder Beziehung ungesetzlichen bzw. völkerrechtswidrigen Charakter des nationalsozialistischen Vorgehens im März 1938 herausgearbeitet und die Auffassung vertreten, daß Österreich 1938 bis 1945 als Völkerrechtssubjekt weiter bestehenblieb, jedoch mangels zentraler Staatsorgane handlungsunfähig war, während das Deutsche Reich lediglich die Gebietshoheit ausübte. In der für das weitere Schicksal Österreichs entscheidenden Moskauer Deklaration der Alliierten vom 1.11. 1943, die die Wiederherstellung Österreichs zum alliierten Kriegsziel erklärte, war Österreich sowohl als erstes Opfer Hitlerdeutschlands bezeichnet, als auch für seine Mitbeteiligung am Krieg auf deutscher Seite verantwortlich gemacht worden. Aus dieser durchaus ausgewogenen Einschätzung haben die österreichischen Nachkriegsregierungen stets den Opfercharakter hervorgehoben, um auf diese Weise rascher den Staatsvertrag mit den Alliierten und damit die volle Souveränität zu erlangen, aber auch um Reparationsforderungen der Alliierten und ‚„‚Wiedergutmachungs"ansprüche der N S-Opfer abzuwehren. Nach Eliminierung der Mitschuldklausel aus dem im Mai 1955 unterzeichneten Staatsvertrag konnte die „„Opfertheorie“ bis zur Waldheim-Affäre im In- und Ausland erfolgreich propagiert werden. Erst im Juli 1991, mit der Erklärung von Bundeskanzler Vranitzky im Nationalrat, hat sich Österreich zur Mitverantwortung für das NS-System bekannt. In der Zeitgeschichteforschung herrscht weitgehend Konsens darüber, daß im März 1938 zwei Vorgänge gleichzeitig stattfanden: - eine revolutionäre Machtergreifung der österreichischen Nationalsozialisten, sowohl in Wien als auch in den Ländern und Landeshauptstädten, bedingt durch den unter deutschem Druck zustandegekommenen Zusammenbruch des Schuschnigg-Regimes, und - eine klassische Aggression seitens Hitlerdeutschland, welche militärische Okkupation, Annexion an das Deutsche Reich und Integration in das totalitäre System des NS-Regimes umfaßte. Auch in den folgenden sieben Jahren existierten diese beiden Faktoren — österreichischer Nationalsozialismus, deutsche Fremdherrschaft — nebeneinander. Gleichschaltung Unmittelbar nach der Besetzung am 12. März 1938 wurde mit der Eingliederung Österreichs in das faschistische System Hitlerdeutschlands begonnen, wobei langJährige NS-Infiltration des Staatsapparates Vorschub leistete. Schon am 15. März wurden — nach Entfernung von politischen und ‚„‚rassischen“ Gegnern - die österreichischen Beamten auf Adolf Hitler persönlich vereidigt. Wenige Tage später wurde das österreichische Bundesheer in die Deutsche Wehrmacht eingegliedert; ebenso wurden Schulen, Universitäten und Jugenderziehung nationalsozialistisch Eine Ortseinfahrt im Burgenland, März 1938. Foto: DÖW Lyrik im März heißt eine von Heidi Pataki namens der Grazer Autorenversammlung konzipierte Lesung von 26 Lyrikerinnen, die am 73. März 1998 stattfindet und zu der keine einzige Exilantin engeladen wurde. Das Gedächtnis ist kurz, das Gedenken währt länger. Oder wird bei der Veranstaltung der bevorstehende Frühlingsanfang gefeiert? Über viele Jahre verfolge ich das Programm märzlicher Literaturveranstaltungen in Wien und wundere mich, wie wenig die österreichische ,,Gegenwartsliteratur“ mit der Literatur des Exils zu tun haben will. Hier ist ein Akt der Solidarität kaum zu haben. K.K. 5