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Terror und rassistische Verfolgungen Hand in Hand mit der ökonomischen Ausbeutung und der sozialen Entrechtung ging der Terror gegen politische Gegner und ‚„rassische“ Feinde. Schon vor den deutschen Truppen kam der Reichsführer SS Heinrich Himmler an der Spitze Tausender SS- und Gestapoleute nach Wien, um hier den bereits in Berlin vorbereiteten Aufbau eines Terrorapparates in die Wege zu leiten. Zehntausende Österreicher verschiedener politischer Richtungen - „‚Vaterländische“ und Heimwehrler, Sozialisten und Kommunisten, Christliche und Freie Gewerkschafter, bekannte Künstler, Juden und andere Mißliebige — wurden verhaftet, von der Gestapo mißhandelt und in Konzentrationslager gebracht. Bereits am 1. April 1938 ging der erste Transport von österreichischen Häftlingen in das KZ Dachau. Jeder Widerstand, jede regimefeindliche oder pro-österreichische Regung sollten im Keime erstickt werden. Im August 1938 wurde das KZ Mauthausen errichtet, seine 49 Nebenlager und Außenstellen waren über ganz Österreich verbreitet. In diesem Lager waren mehr als 200.000 Menschen aus 35 Ländern inhaftiert, von denen mindestens 100.000 den harten Lagerbedingungen und dem Terror der SS zum Opfer fielen. Mehr als zwanzigtausend Menschen wurden im Zuge der ,,Euthanasie“, der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“, in Schloß Hartheim bzw. in psychiatrischen Anstalten ermordet. Mit besonderer Wucht richtete sich der Terror der Nationalsozialisten gegen die im Sinne der NS-Rassenlehre zu ,, Untermenschen“ und zu „, Volksfeinden“ gestempelten Juden. Den Ausschreitungen des NS-Mobs vom März/April 1938, die in der ,,Reichskristallnacht“ am 10. November 1938 zum Pogrom gesteigert wurden, folgten die systematische Enteignung (,‚Arisierung“), die Massenvertreibung, die für Österreich eine unersetzliche Einbuße an geistigem Potential bedeutete, Demüti gungen und Diskriminierungen verschiedenster Art, bis 1941 die Deportationen einsetzten und schließlich die ,,Endlésung“ durchgeführt wurde, der mehr als 65.000 österreichischen Juden und Jüdinnen zum Opfer fielen. Auf Rassismus und Völkerhaß basierende Verfolgung richtete sich auch gegen Roma und Sinti, von denen ein großer Teil in Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet wurde, sowie gegen die Kärntner Slowenen und andere Minderheiten. Darüber hinaus wurde die gesamte Bevölkerung durch Sondergesetze, Kriegswirtschaftsverordnungen und dergleichen einem latenten Terror unterworfen, um auf diese Weise die Normen der faschistischen Diktatur durchzusetzen. Zehntausende Urteile vom Volksgerichtshof, von Sondergerichten und anderen Nazitribunalen betrafen nicht nur aktive WiderstandskämpferInnen, sondern auch politisch weniger bewußte Leute, die wegen ,,Rundfunkverbrechen“, ,,heimtiickischer“ AuBerungen, Schwarzschlachten und dergleichen massenhaft mit den NS-Gesetzen in Konflikt gerieten. Kollaboration und Mittäterschaft So sehr es nach der Befreiung 1945 im staatspolitischen Interesse Österreichs gelegen sein mag, unser Land im Sinne der Moskauer Deklaration ausschließlich als Opfer Hitlerscher Aggression darzustellen, so wenig läßt sich diese Behauptung angesichts der Größe der nationalsozialistischen Bewegung in diesem Land aufrechterhalten. Der österreichische Nationalsozialismus war kein Ableger der deutschen, sondern eine eigenständige, erst seit 1933 von Deutschland kontrollierte Partei, die sich auch in der Zeit ihrer Unterdrückung 1933-1938 als illegale Bewegung behaupten konnte. Nach dem März 1938 stießen zu den „Alten Kämpfern“ und den „‚Illegalen“ die ,,Marzveilchen“ , wie der Volksmund jene nannte, die sich aus meist opportunistischen Griinden der herrschenden Partei anschlossen. 1942, am HEbepunkr ihrer Macht, wies die NSDAP in den sieben „Alpen- und Donaugauen“ (wie Österreich damals umschrieben wurde) nahezu 700.000 Mitglieder auf, d. h. sie war eine Großpartei vom Umfang der heutigen Regierungsparteien ÖVP oder SPÖ, zugleich auch eine Volkspartei“, in allen Schichten der Bevölkerung verankert. Im Zuge zeitgeschichtlicher Forschungen wird immer deutlicher sichtbar, daß Österreicher in großer Zahl an den Verbrechen des NS- -Regimes beteiligt waren, womit nicht allein „‚Spitzenfunktionäre“ wie Hitler, Kaltenbrunner, Seyss-Inquart und Globocnik gemeint sind. Bei allen Aktionen in Konzentrationslagern, in Ghettos, bei den Zweite Ehrentafel am Rathausturm von Bad Radkersburg. Die Inschrift geht noch einmal auf die jugoslawische Besetzung von Radkersburg ein. Daran schließen sich die Verse: „Nach solchen Opfern und nach solcher Not / Gab das Geschick uns neuer Ordnung Frieden! / Die Heimat blüh im Reiche unsres Volkes / Und freie Enkel mögen ihrer walten / Mit lautrem Sinn und herzhaft klarer Tat. / Getreu dem mahnenden Vermächtniswort / Des Führers der uns ward: / Seid deutsch! — bleibt einig!“ Literaturhinweise zu W. Neugebauer Angesichts der Fülle wissenschaftlicher Literatur zur Thematik kann hier nur auf einige wichtige Werke — in vereinfachter Zitierweise — verwiesen werden. Gerhard Botz: Die Eingliederung Osterreichs in das Deutsche Reich. Wien 2/1976 ders.: Nationalsozialismus in Wien. Buchloe 3/1988 ders.: Der 13. März 1938 und die Anschlußbewegung. Wien 1978 Gerhard Botz/Gerald Sprengnagel (Hg.): Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Frankfurt am Main — New York 1994 Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. Wien 1994 Radomir LuZa: Österreich und die großdeutsche Idee in der NS-Zeit. Wien - Köln - Graz 1977 Hans Safrian/Hans Wittek: Und keiner war dabei. Wien 1988 Hans Safrian: Die Eichmann-Männer. Wien 1993 Norbert Schausberger: Der Griff nach Österreich. Der „Anschluß“. Wien - München 1988 Karl R. Stadler: Österreich 1938-1945 im Spiegel der NS-Akten. Wien - München 1966 Emmerich Tälos et al. (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945. DÖW (Hg.): Wien 1938. Wien 1988. (Katalog der Ausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien).