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Plünderungen jüdischer Geschäfte, die Erpressungen bei jüdischen Geschäfts- und Privatleuten. In den Läden erschienen vierzehn- bis sechzehnjährige Burschen von etwa 20- bis 25-jähringen SA-Männern angeführt und „‚requirierten“ Lebensmittel, Schuhe, Anzüge, Stoffe usw. Häufig wurde die Beute mit Lastkraftwagen abtransportiert. Auf diese Weise wurden z.B. fast sämtliche jüdischen Geschäfte der Innenstadt (Kärntnerstraße, Rotenturmstraße, Mariahilferstraße, Am Graben usw.) heimgesucht. [...] Vor den jüdischen Läden, die trotz dieser Vorfälle offenzuhalten versuchten, brachte man Plakate an, schmierte Inschriften auf das Pflaster, überpinselte die Schaufensterscheiben mit gröbsten Beschimpfungen. Die Polizei versagte jeden Schutz.” Angesichts dieser Greuel fordert ein ‚Wiener jüdischer Abstammung“ Bürckel auf: Erweisen Sie sich der Bewegung würdig und setzen Sie zur ferneren Belustigung der Welt diese einzigartige und allein der Kulturstufe des besten Volkes inH. errgotts Schatzkästlein (Gott möge mir diese Blasphemie verzeihen) würdige, nach Recht und Gesetz auf legalem Wege erfolgende Ausrottung Judas fort, und arisieren Sie lustig weiter in der Art des Pg. Erwin Langhammer, der würdig seiner Zugehörigkeit sich mit einem Riesenbetrag von irgendwoher gekommenen S 40.000 in den Besitz des doch nur einschliesslich Inventar und Lokalwert einen steten Handelswert von cca. 80.000 S besitzenden zu setzen verstand arisieren sie weiter in der Art, dass würdige P. G. einfach lustig Judenwagen beschlagnahmen, die Benzinund Reparaturrechnungen diesen verfluchten Saujuden zuschicken und von diesen auch unter „sanften“ Nachdruck bezahlen lassen, lassen Sie weiter ,,kommissarisch zerwalten“, kurzum machen sie es so, wie die Leibstandartenjungs ganz richtig auf den Vorhalt, dass sie es in Berlin doch nicht annähernd in diesem Masse getrieben hätten, nämlich „Wa habn ebn wajelernt“, antworteten, zeigen Sie sich der Bewegung würdig.* Schließlich sieht sich sogar der Völkische Beobachter - Wiener Ausgabe — veranlaßt, den allgemeinen Eifer zu bremsen: Mußte den Norddeutschen der Nationalsozialismus also vielfach erst auf die privaten, sozusagen unpolitischen Gefahren des Judentums aufmerksam machen, so ist es in Wien im Gegenteil die Aufgabe einer verantwortungsbewußten, um die Untadeligkeit und Reinheit der Bewegung besorgten Volkserziehung, den überschäumenden Radikalismus einzudämmen und die verständliche Reaktion auf die Jüdischen Übergriffe eines geschlagenen Jahrhunderts in geordnete Bahnen zu lenken.> Biirckel, als ,,Reichskommissar“ zuständig für die „Arisierungen“ , bemerkt zu den „wilden Arisierungen der Anschlußtage“ bedauernd: Die herrliche Geschichte des Nationalsozialismus und der Erhebung in Österreich haben durch das, was sich in den ersten Wochen an Raub und Diebstahl ereignet hat und was mite zu den schärfsten Maßnahmen veranlaßt hat, eine gewisse Trübung erfahren.° Der Antisemitismus hatte in Wien eine wichtige Funktion auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet, wo der Nationalsozialismus die Erwartungen seiner Anhänger nicht erfüllen konnte. Konkrete Interessen, wie Beseitigung des jüdischen Konkurrenten als Händler oder Warenhausbesitzer, als Rechtsanwalt oder Arzt, Inbesitznahme einer Wohnung oder eines wertvollen Möbelstücks sowie die schlechte allgemeine Wirtschaftslage im Vergleich zu Deutschland und die Überbesetzung in vielen Branchen verstärkten den ‚„‚mittelständischen“ Antisemitismus noch’. Österreich war, obwohl in wirtschaftlicher und sozialpolitischer Hinsicht gegenüber dem „Altreich“ in Verzug, in seiner ,,Judenpolitik“ bald tonangebend. In Wien wird nicht lang ‚‚gefackelt“, die „Arisierungen“ werden in vielem „großzügiger“ , konsequenter und schneller als in Deutschland nach 1933 abgewikkelt. Ein anonym gebliebener ‚‚Volksgenosse“ spricht das offen aus: Die von der Bevölkerung gewiss begrüsste Arisierung der Geschäfte und Betriebe geht in einer Weise vor sich, die in den Paragraphen des österr. Strafgesetzes über Raub, Diebstahl, Erpressung, Einschränkung der persönlichen Freiheit, geJährliche Drohung etc. die richtige Bezeichnung findet.® Auch andere protestieren: Man nimmt ihnen ganz einfach die Geschäfte weg und gibt ihnen nichts dafür; man hat die Angsetllten, selbst aus den jüdischen Geschäften gewaltsam entfernt, Leute die hier geboren sind, also hier ihre Heimat haben, man tritt sie mit Füssen; Die ARAM organisiert Theateraufführungen, Konzertabende, Vorträge, oft zu karitativen Zwecken, ab August 1942 steht auch eine von Dr. Bruno Frei geleitete wöchentliche Radiossendung La Voz de Austria auf dem Wellenbereich des mexikanischen Regierungssenders „Radio Gobernaciön“ zur Verfügung. Kundgebung für die freie deutsche Literatur am 9. Mai 1942 in Mexiko-Stadt aus Anlaß des 9. Jahrestages der Bücherverbrennung und auf Einladung des mexikanischen P.E.N.-Zentrums, des Heinrich Heine-Klubs, der Bewegung Freies Deutschland und der Acciön Republicana Austriaca de Mexico. Redner: Pablo Neruda, Ludwig Renn, Anna Seghers, Bruno Frei. Auf der Kundgebung wird die Gründung eines freien Buchverlages „Libro libre“ (Freies Buch) angekündigt. El Libro Libre. Editorial de literatura antiNazi en lengua alemana: Die Gründung des Verlages wird am 10. Mai 1942 über den Rundfunk verlautbart. Juridisch verantwortlich: Antonio Castro Leal (ein Rechtsanwalt). Leitung durch ein ‚Schriftstellerkuratorium“, dem Ludwig Renn, André Simone, Anna Seghers, Bodo Uhse, Egon Erwin Kisch, später auch Leo Katz angehören. Geschäftsführer: Walter Janka, Hans Marum. Lektorat: Paul Mayer, ab 1944 auch Alexander Abusch. Vom Mai 1942 bis zu Einstellung des Verlages im Juni 1946 erscheinen 26 Titel, vier davon in spanischer Sprache. Gesamtauflage der 22 deutschsprachigen Bücher: 36.000. AutorInnen des Verlages: Egon Erwin Kisch, Lion Feuchtwanger, Theodor Balk, Anna Seghers, Paul Merker, Bruno Frank, Andre Simone, Bodo Uhse, Leo Katz, F.C. Weiskopf und Ernst Sommer u.a. Austria Libre. Organo de los Austriacos Anti-Nazi de Mexico: erscheint vom 15. August 1942 monatlich bis Oktober 1946 in Mexiko-Stadt, herausgegeben von der Acciön Republicana Austriaca de Mexico. Bis Nr. 1/1944 ausschließlich in spanischer Sprache, zuletzt fast ausschließlich in deutscher Sprache. Demokratische Post. El Correo Democratico. Organo de los Antinazis Alemanes de Mexico y Centro-America: erscheint vom 15. August 1943 bis zum Februar 1952, zuerst vierzehntägig, seit der Nr.17 des 6. Jahrgangs (1948/49) monatlich. Tribuna Israelita. Organo Mensual de la Logia Spinoza No. 1176 de Ben& Berith: erscheint in spanischer Sprache ab Dezember 1944 in Mexiko-Stadt. Anonymer Chefredakteur ist bis März 1946 Andr& Simone (Otto Katz), danach Rudolf Feistmann. Geschäftsführer: Jose Benbassat. S.B./K.K 9