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Mitverantwortlicher einer der größten Tragödie für die mexikanische Demokratie, die Ermordung hunderter Studenten und Studentinnen, von Schülern und Schülerinnen bei einer der größten Demonstrationen auf dem Platz der Drei Kulturen in Ciudad de México, ,, Tlatelolco 1986“. International iibertént und tiberstrahlt ganz glänzend durch die herzlichsten, temperamentvollsten und einzigartigen Olympischen Spiele - ,,Mexiko 1968“ ; doch zurück ins Wien der Ersten Republik, ein kleiner Umweg sei dabei erlaubt: 1960 veröffentlichte ein Reisender aus Siebenbürgen seine Erinnerungen an die „Pilgerfahrten durch Europa“. Das Wien vor 1938 schien diesem Eugen Relgis aus Siebenbürgen wie eine ganze Welt, die umgeben von kleinlicher Provinz war: », Viena es todo un pais y Austria parece ser su tierra adentro“ .? Eugen Relgis hieß eigentlich sie in Montevideo: ,, Wien ist ein ganzer Staat und Osterreich sein Binnenland“. Diese Umkehrung der Proportionen kann fiir den literarischen und zeithistorischen Quellenforscher auch in einer anderen Form gelten. Denn während in Österreich Mexiko beinahe ein weißer Fleck auf der intellektuellen Landkarte war, wurde in Mexiko Österreich und Wien, von hochbegabten und belesenen Diplomaten, von Künstlern und Wissenschaftlern nahe beobachtet, analysiert und beurteilt; man sorgte sich um die außenpolitische Stabilität Österreichs und war bereit, für das demokratische und republikanische Österreich solidarisch zu sein. Verblüffend eigentlich, wenn man bedenkt, wie entfernt beide Staaten voneinander sind, und nicht nur im geographischen Sinn. Noch verblüffender, wenn man sich die innenpolitische Lage des nordamerikanischen Staates in Erinnerung ruft. 1938: Ciudad de Mexico — Tanz auf dem Vulkan In den Veranstaltungskalendern der mexikanischen Hauptstadt, in den Anzeigen der Tageszeitungen ist nicht zu übersehen, daß Wien im Gespräch ist. Gleich fünfundsiebzigmal leitet der österreichische Diri gent Dr. Ernst Römer die ‚‚Fledermaus“.. Der große Erfolg dieser klassischesten der Operetten hat natürlich seine Gründe, die lakonisch zusammengefaßt, eine der größten innen- und außenpolitischen Krisen Mexikos ist. „Mexiko tanzt auf einem Vulkan“, so plakativ beschreibt es der mexikanische Historiker Enrique Krauze.* Der General Läzaro Cärdenas (1985-1970) war, als er 1. Dezember 1934 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Mexiko gewählt wurde, der Jüngste und ein progressiver Präsident. In seiner Amtszeit bis 1940 (ein „Sexenio“) setzt er die Vorzeichen für den Übergang des Militärstaates in ein zivil regiertes Land, wo die Macht von der Armee auf eine einzige Partei übergehen sollte (heute: Partido Revolucionario Institucional). Nach der Beendigung der bürgerkriegsähnlichen Zustände im Land befand sich Mexiko 1938 in einer wirtschaftlichen und innenpolitisch extrem gefährlichen Krise. Seit 1925 hatten die ausländischen Erdöl gesellschaften einen ,,Staat im Staat“ geschaffen. Die uneingeschränkte regionalpolitische Macht der amerikanischen, englischen und holländischen Erdölgesellschaften, ihre systematisch betriebene Steuerhinterziehung, die durch Drohun g und Bestechung, aber auch über eine undurchsichtige Devisenpolitik möglich wurde, hatte Arbeiter und Gewerkschaftsbewegung in Mexiko gespalten. Gerade in den Fördergebieten (z.B. in der ,, Huasteca Veracruzana‘“) herrschte unbeschreibliche Armut. Der einzig mögliche Weg, um die Kontrolle über diesen existentiellen Sektor zu gewinnen, war für Cärdenas die Enteignung und Verstaatlichung dieser ausländischen Industrien. Am 1. September 1935 veröffentlichte Cärdenas folgendes Präsidentschaftsdekret: _ Die Anwendung des Erdölgesetzes von 1925, was die ordentlichen Zugeständnisse betrifft, hat gezeigt, daß dieses Gesetz nicht dem Geist des Artikels 27 der Mexikanischen Verfassung entspricht. In Wahrheit erlaubt es die Einverleibung riesiger nicht bewirtschafteter Flächen. Die Rolle des amerikanischen Botschafters in Mexiko, Josephus Daniels und seines mexikanischen Botschafterkollegen in Washington, Castillo Näjera, ist bis heute wenig beachtet worden. In einer Politik der ‚‚kleinen Schritte“ wurde ab 1935 diese Verstaatlichung unter „Aufsicht der USA“ vorbereitet. Schon vor dem 18. März 1938 waren der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und Läzaro Cärdenas über die endgültigen Modalitäten der Enteignung und der Verstaatlichung der amerikanischen Erdölgesellschaften übereingekommen. Mexiko hatte sich zu einer Zahlung von 26 Milliarden Pesos verpflichtet, etwa 10 Milliarden US-Dollar im Jahr 1938! und nicht zuletzt für das deutsche Volk selbst geworden ist, von unverminderter Aktualität. Damit war die Ansetzung eines Kraus-Abend im Prinzip gerechtfertigt. Die Veranstaltung selbst gab gewiß Grund zu manchen Einwänden (hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit mit den vorhandenen Mitteln, der Programmgestaltung üsw.), die aber in der Besprechung nicht behandelt werden. Ich bin nun der Ansicht, daß Veranstalter und Mitwirkende ein Recht auf Kritik haben, daß heißt auf begründetes Lob und begründeten Tadel, je nach ihren Leistungen. Lob aus Höflichkeit, leider die Regel in den Blättern der deutschsprechenden Emigration, ist nicht Kritik, sondern Kritiklosigkeit. Tadel aus Überheblichkeit aber, wie die Bezeichnung des immerhin bedeutenden Schriftstellers als „der gute Kraus“, ist noch weniger als Kritiklosigkeit. Demokratische Post, 1. März 1945. S. 5, EINLADUNG Donnerstag, den 8. Februar, abends 8 Uhr 30 i im Schiefer-Saal, Venustiano Carranza 21 (I. Stock) Dichtung und Prosa von KARL KRAUS Dr. Marie PAPPENHEIM: Eroeffnungsworte Albrecht Victor BLUM: Begegnungen mit Karl KRAUS Brigitte CHATEL, Steffanie SPIRA, Guenther RUSCHIN, Albrecht Viktor BLUM lesen aus: "Die Letzten Tage der Menschheit” und anderen Werken von Karl Kraus Eintritt: 1,50 Pesos — Fuer Mitglieder: 75 centavos Heinrich Heine-Klub Asociacién Cullural Antinazi de habla alemana Apartado 9246 — México, D. F. 13