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Illustrationen aus dem ,,Libro Negro“ erschienen 1943, herausgegeben von André Simone, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Bodo Uhse, Antonio Castro Leal und Juan Rejano. gen nützte Mexiko auch die Österreich-Adresse, als es galt, für das bedrängte republikanische Spanien — wo der Bürgerkrieg wütete — über Mittelsmänner Waffen und Munition einzukaufen. 1937 plazierte Mexiko bei der Hirtenberger Fabrik eine Bestellung auf 20 Millionen Gewehr- und Pistolenpatronen, offiziell für das eigene Land, in Wirklichkeit natürlich für das republikanische Spanien, was wiederum alle in der „Branche“ wußten — weshalb die nationalsozialistische Diplomatie das Geschäft hintertrieb. Österreich versuchte, dem Dilemma zu entkommen, indem es zuerst rund 90 Prozent der Kaufsumme - insgesamt 90.000 Pfund Sterling — als Depot verlangte (was die mexikanischen Einkäufer erfüllten). Dann folgte die Forderung auf ein beträchtliches mexikanisches Goldpfand bei der Österreichischen Nationalbank — was für Mexiko unannehmbar war. Der „Anschluß“ ließ das heikle Geschäft zur Makulatur werden. Mexiko bekam das eingezahlte Geld natürlich nie zurück. Trotzdem wurde der Völkerbundprotest lanciert - womit Österreich bei Mexiko eigentlich tief in Schuld steht. Freiherr Rüdt von Collenberg, deutscher Gesandter in Mexiko und gleichzeitig Vorsitzender der dortigen NSDAP-Dependance, gab in der mexikanischen Kapitale ein Fest für den vollzogenen „Anschluß“ und übernahm ohne weitere Pressionen das österreichische Konsulat. Allerdings ‚„‚biß er auf Granit“, als er am 5. April 1938 bei Außenminister Hay vorsprach, um die Zurücknahme des mexikanischen Völkerbundprotests (,,...y que no comprendia cémo México podia dirigir una nota semejante al la Liga de las Naciones, pues ello significaba un desconocimiento de la verdadera sutuaci6n y que confiaba en que no resultara verdad ese documento tragico-cémico que la prensa habia publicado“', jenes ,,tragikomischen* Dokuments, zu erwirken. Mexiko blieb dabei, obschon gleichzeitig, als Ausbalancieren des angloamerikanischen Boykotts, ein Wirtschaftsabkommen mit Berlin unterzeichnet wurde, das beträchtliche Erdöllieferungen an Deutschland (und Italien) vorsah. Der Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg enthob Mexiko weiterer Balanceakte und leitete die Versöhnung mit Washington ein. 3. Vasconcelos in Wien In einem der Antiquariate unweit der Kathedrale fand ich nach langem Suchen endlich Vasconcelos’ Autobiographie. José Vasconcelos (1882 — 1959), der begabte Kulturpolitiker der mexikanischen Revolution, hatte Wien 1926 besucht. Als Erziehungsminister 1921 bis 1924 motivierte Vasconcelos junge Künstler zum großflächigen Bemalen der Wände verfallender Kirchen und Kléster — was den faszinierenden ,,Muralismo“ (Diego Rivera et alii) in die Welt setzte. Als Politiker spater erfolglos und tiber die eigene anarchosyndikalistische Position vom europäischen Faschismus angezogen, begann Vasconcelos ein unstetes Wanderleben, mit Stationen auch in Mitteleuropa. Dieser ‚‚Ulises Criollo“ (Rahmentitel seiner fünfbändigen Autobiographie) wußte um die Leistungen des „Roten Wien“. Dennoch taucht die österreichische Hauptstadt merkwürdig konturlos im entsprechenden Reisekapitel (des 3. Bandes, ‚‚El Desastre“) auf. Immerhin, nach einem schmackhaften Mittagessen in einem der neuen Gemeindekränkenhäuser, das Lob: ,,Nunca he visto gobierno mejor que el de Viena de aquellos dias“? | Andererseits faszihierte ihn auch das imperiale Gesicht der alternden Ex-Käiserstadt: ,,Dulce panorama vienés de palacios barrocos un poco ennegrecidos por las brümas que levanta el Danubio, rodeados de jardines y sombrados de ärboles; poco a poco se le va tomando el gusto y es como el de Paris que al principio no impresiona y s6lo mas tarde conquista. En Viena los interiores son particularmente suntuosos. En un departamento ordinario de Viena caben dos de Paris. Y el lujo del moblaje es mas difündido en la capital austriaca“ Ansonsten natiirlich der obligate Opernbesuch, Café-Tertulias, Besuche im Rathaus, ein Vortrag (gelesen auf Englisch) in der Wiener Universität. Einmal mehr eine Liebesaffaire des mexikanischen Kultur-Don-Juan: ‚‚Era mi primera australiana y yo su primer mexicano“ .4 Und schon ging es weiter nach Venedig, zum nächsten Abenteuer. Vasconcelos’ Cicerone in Wien war der geheimnisvolle Iso Brante Schweide, für den mexikanischen Besucher ein Argentinier, der alle Türen im roteh Rathaus zu öffnen wußte. Kurioserweise stieß die jüngste Exilforschung wieder auf diesen Namen, über US-Geheimdienstakten, wo Brante Schweide als „österreichischer Wissenschaftler“ auftaucht, einerseits geachtet als verläßlicher Antifaschist, andererseits eingestuft als