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„ein Flaneur, ein später Münchhausen“. Brante Schweide, im Geheimdienstmilieu offensichtlich glücklich, versuchte in Lateinamerika deutsche Nazis zu enttarnen, öffnete sich damit Geldquellen, strandete dennoch in Mexiko — wo es erneut zu einem Treffen mit José Vasconcelos kommt. Indes, beider Plan, eine antifaschistische Zeitung zu begründen und damit zu Geld zu kommen, zerrinnt im Nichts. Nach dem 2. Weltkrieg geistert Brante Schweide in Argentinien (doch sein Heimatland?) herum, wird Peronist, geriert sich als Antiimperialist, um dann endgültig aus den Akten zu verschwinden. Was nichts anderes heißt, als daß Wien für Vasconcelos nur eine Fußnote lieferte. Das verwundert umso mehr, als Mexikos Revolution und das „Rote Wien“ der zwanziger Jahre kongeniale Partner abgegeben hätten. Jos& Vasconcelos jedenfalls hat die Chance nicht wahrgenommen. Und der später folgende katholische Ständestaat, der gegen die Kirchenverfolgung und den Antiklerikalismus der revolutionären Zentralregierung auftrat, hat von dem, was vorhanden war, sicherlich viel verschüttet. Daß es etwas gegeben haben muß, zeigt die Erinnerung des in Österreich gebürtigen Historikers Friedrich Katz, heute an der University of Chicago, der folgende köstliche Anekdote erzählt: Als unser ehemaliger Bundeskanzler Bruno Kreisky vor einigen Jahren Chicago besuchte, fragte er mich, worüber ich arbeitete, und ich antwortet ihm, daß ich eine Biographie von Pancho Villa verfaBte. ,, Pancho Villa? Der hatte eine enorme Rolle in Österreich gespielt“. — ,,Osterreich? Pancho Villa?“, fragte ich befremdet. „Ja“, sagte er, „das war nach dem 12. Februar 1934, als die sozialistische Partei illegal wurde, als sämtliche demokratische Parteien verboten wurden, da wurde in Österreich die Zensur eingeführt. Marx durfte nicht mehr gelesen werden, revolutionäre Schriften waren verboten, die Sozialdemokratische Partei, alle Schriften der Sozialisten waren verboten. In dem Augenblick, im Jahre 1935, kam ein Film nach Wien, ‚Viva Villa’. Diejenigen von Ihnen, die ihn gesehen haben, werden wissen, daß, was den Wahrheitsgehalt des Filmes angeht, dieser mehr als problematisch war, daß Villa dort keineswegs so geschildert wurde, wie er war. Aber es war ein Film, in dem dauernd die Gerechtigkeit, die Revolution, auch die Demokratie betont wurde.“ Und Kreisky wurde darauf aufmerksam gemacht, daß hier ein Film war, der sich sehr gut zu einer Friedensdemonstration eignete. Im Kreuz-Kino in Wien trafen daraufhin Scharen sozialistischer Jugendlicher ein. Und sobald der Film begann und Villa gegen die Tyrannei und Porfirio Diaz kämpfte, erhoben sich Stimmen: “Es lebe die Demokratie!“, „Legalisierung der Sozialdemokratischen Partei Österreichs...! 4. ,, Pasion Austrofilica“ Als Fernando del Paso Ende der achtziger Jahre sein Buch ,,Noticias del Imperio“ vorlegte, war ich im ersten Moment verunsichert. Diese dickleibige und reichlich geschwätzige Historiencollage über das Schicksal von Charlotte, Gattin von Erzherzog Maximilian, der als Kaiser von Mexiko 1867 standrechtlich füsiliert worden war, konnte doch nicht ernst gemeint sein. Schließlich hatte Egon Casar Conte Corti 1924 mit den beiden Banden seiner Biographie ‚Maximilian und Charlotte von Mexiko“ literaturhistorisch alles zum Thema gesagt. Erst nach und nach erkannte ich den Wagemut dieses intellektuellen Experiments eines Mexikaners: das eigene Ambiente hinter sich lassend, erprobte Del Paso - stellvertretend für ganz Lateinamerika - einen inversen Topos, nämlich die europäische Exotik! Del Paso hatte in Mexiko-Stadt Erfolg. Das Buch rückte zu Bestsellerehren auf. 1996 legte der Peter Hammer Verlag aus Wuppertal sogar eine deutsche Übersetzung vor. In Mexiko wird heute derart reichlich über Wien, Mitteleuropa und die Habsburger publiziert, daß kein Zufall mehr vorliegen kann. Als mächtiger Paukenschlag hat sich inzwischen vor allem Jos& Maria Perez Gays „El Imperio Perdido“ erwiesen. Es ist 1991 erschienen und hält inzwischen bei der sechsten Auflage. Perez Gay, Diplomat, Essayist, Kritiker und TV-Direktor, verkörpert die nervöse Intelligenz der mexikanischen Hauptstadt, in der man weiß, daß eine Epoche, die der Revolution, zu Ende geht und etwas Neues aufbricht, von dem noch keine Konturen vorliegen. Wenn also Mexikos Chef-Intellektueller eine große literaturwissenschaftliche Arbeit über Broch, Musil, Kraus und Roth vorlegt, um ein „verlorenes Reich“ auszumachen, und damit Resonanz in Mexiko erzeugt, so muß das etwas bedeuten. Anmerkungen zu G. Drekonja 1 ‚,... und verstehe er nicht, wie Mexiko eine derartige Note an den Völkerbund richten konnte, denn dies bedeute eine Unkenntnis der wahren Lage und vertraue er, daß dieses tragikomische Dokument, das die Presse veröffentlicht hatte, nicht wahr sei.“ 2 „Nie habe ich eine bessere Regierung gesehen als die von Wien in jenen Tagen.“ 3 „Süßes Wiener Panorama von Barockpalästen, ein wenig geschwärzt von Nebeln, die von der Donau aufsteigen, umgeben von Gärten und beschattet von Bäumen, allmählich findet man Gefallen an ihm, und es ist wie das von Paris, das anfangs nicht zu beeindrucken vermag und einen später erst erobert. In Wien sind die Interieurs besonders luxuriös. In einer gewöhnlichen Wohnung haben zwei Pariser Wohnungen Platz. Und der Luxus der Möbel ist in der österreichischen Hauptstadt verbreitet.“ 4 „Sie war meine erste Australierin [die Frau kam tatsächlich aus Australien] und ich ihr erster Mexikaner.“ miele “CAZADOR DE MUERTOS” NOVELA por LEO KATZ 400 paginas empastado Pesos 10.00 LA OBRA MAESTRA QUE DESCRIBE LA LUCHA Y RESISTENCIA DE LOS JUDIOS DE SERETH CONTRA LOS NAZIS. EN IDIOMA YIDDISH Anzeige für ‚‚Totenjäger“ von Leo Katz in jiddischer Sprache. Foto: DÖW Marie Frischauf-Pappenheim Romane von Leo Katz Im New Yorker Verlag Alfred A. Knopf ist unter dem Titel ,,Seedtime“ (Saatzeit) ein neuer Roman des in Mexiko lebenden österreichischen Schriftstellers Leo Katz erschienen, der in der literarischen Kritik der amerikanischen Hauptstadt ungewöhnliche Beachtung gefunden hat. Die ,,New York Times‘ nennt den Autor ‚einen ebenso scharfsinnigen wie leidenschaftlichen Romancier“. Die angesehene Zeitschrift „Ihe New Yorker“ findet in dem Roman von Leo Katz einen Hauch von Gogol. Die „New York Herald Tribune“ hebt den un23