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F.K.: Schon, aber die anderen konnten auch tätig sein, was z.B. bei den Deutschen viel weniger der Fall war. MdZ: Und wie war das Verhältnis zwischen österreichischer und deutscher Exilgruppe? F.K.: Da man eine gemeinsame Sprache und einen gemeinsamen Feind hatte, war eine ziemlich enge Zusammenarbeit vorhanden. Wobei mir rückblickend nicht klar ist, bis zu welchem Grad die Deutschen von der Selbständigkeit Österreichs begeistert waren. Sie akzeptierten es, aber ob sie wirklich der Meinung waren, daß Österreich bestehen sollte...? Ich glaube, das wurde erst ausgesprochen nach der Moskauer Erklärung von 1943, die Russen hatten es gesagt, also mußte ein unabhängiges Österreich akzeptiert werden. Ich bin nicht so sicher, ob sie das vorher getan haben. Die Österreicher haben sich nicht darum geschert, was die Deutschen sagten. Sie haben sich von Anfang an für ein freies Österreich eingesetzt. Da wartete man nicht, was die Mehrheit der Deutschen dazu sagte. MdZ: In diese Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Emigranten der kommunistischen Gruppe war dein Vater, der als Mitglied der KPD nach Mexiko gekommen ist, ja einbezogen. F.K.: Er und Bruno Frei sind dann 1943/44 zu den Österreichern hinübergewechselt und haben begonnen, sich weit mehr zu den Österreichern zu bekennen. Ich weiß nicht, welche Beweggründe Bruno Frei hatte; was meinen Vater abstieß, war, daß viele der deutschen Immigranten noch in der Illusion lebten, die große Mehrheit des deutschen Volkes wäre gegen Hitler gewesen. Sie hatten ja noch Deutschland vor 1933 gekannt und die Erinnerung an die Riesendemonstration gegen Hitler und wollten nicht glauben, daß ein beträchtlicher Teil des deutschen Volkes mit Hitler zusammenging. Das führte zumindest bei meinem Vater zu einem Gefühl, daß er sich immer mehr von Deutschland loslöste. Er wollte auch nicht nach Deutschland zurück. Das war einer seiner Beweggründe, zur österreichischen Gruppe überzuwechseln. MdZ: Illusionen in bezug auf Österreich hat er damals aber sehr wohl noch gehegt... F.K.: Einige, aber nicht sehr stark. Was erst jetzt herauskommt, ist, daß in dieser Zeit die amerikanischen Geheimdienste zwar bereit waren, die antifaschistische Tätigkeit der Flüchtlinge zu dulden, aber besonders der FBI unter J. Edgar Hoover ein großes Mißtrauen gegenüber den Flüchtlingen hegte und eine ungeheure Überwachungsmaschinerie gegen sie eingesetzt wurde. Eigene Agenten wurden nach Mexiko bestellt, um die Immigranten zu überwachen. Nach Berichten, die ich gelesen habe, waren zu gewissen Zeitpunkten wahrscheinlich mehr amerikanische Geheimdienstleute als politisch tätige Immigranten beschäftigt, um die Tätigkeit dieser Immigranten zu überwachen. Jede Kleinigkeit wurde notiert. Eine komplizierte Geschichte ist die weitere Entwicklung Mexikos nach 1945. Während Mexiko in den 30er Jahren unter Cärdenas einen enormen sozialen, politischen, ideellen Aufschwung nahm, ging nur ein Teil dieser Entwicklung weiter. Die Industrialisierung nahm zu. Das Bildungswesen entwickelte sich, neue Universitäten wurden in den 50er und 60er Jahren gegründet, in denen zumersten Mal voll bezahlte Professoren unterrichteten, sodaß ein intellektueller Aufschwung stattfand. Aber in anderer Hinsicht, vor allem was die Beseitigung der Armut betrifft, hat Mexiko nur sehr begrenzte Fortschritte gemacht. Und für einen beträchtlichen Teil der mexikanischen Bevölkerung hat sich der Lebensstandard kaum erhöht. Hierfür ist eine Reihe sehr komplexer Gründe zu finden. Ein Grund liegt in der Demographie. Mexiko hatte 1940 etwa 25 Millionen Einwohner, die Hauptstadt etwa vier Millionen. Heute sind es zwischen 90 und 100 Millionen und im Gebiet der Hauptstadt über 20. Das Ergebnis ist, daß das Land trotz gewisser jährlicher Wachstumsraten, die zumindest bis in die 70er Jahre sehr hoch waren, diese Bevölkerungsexplosion nicht verkraften konnte. Hinzu kam, daß sich nach Cärdenas ein politisches System entwickelte, das weder eine Diktatur noch eine Demokratie war. Es war die Diktatur einer Partei, des Partido Revolucionario Institucional (PRI). Aber der Präsident wurde alle sechs Jahre abgelöst, und es war eine der gewaltlosesten Diktaturen. Eshatzwar Gewalttätigkeit gegeben, vor allem eine schreckliche Gewaltat 1968, als Hunderte von Studenten massakriert wurden. Aber im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern war das wenig Gewalt. Aber diese Diktatur hemmte natürlich die Entwicklung, ein Großteil der staatlich kontrollierten Industrie fiel in die Hände korrupter Beamter, die versuchten, sich kurzfristig damit zu bereichern und das trug nicht zu einer rationellen Industrialisierung bei. Das hervorstechendste Beispiel ist MexikoStadt. Nichts wurde getan, um zu verhindern, daß 40 Prozent der Industrie sich im Hochtal von Mexiko ansiedelte, so daß zwischen den Abgasen von Autos, die bisher noch immer ohne Katalysatoren laufen, und der Industrie Mexiko eine der verseuchtesten und verpestetsten Städte der Welt wurde. Eine neue Oberschicht bildete sich während des Zweiten Weltkrieges, die immer weniger bereit war, den Unterschichten politische und wirtschaftliche Mittel zu bieten, um sie an ihrer Prosperität teilnehmen zu lassen, so daß das Land zwar ein rasches Wachstum erfuhr, aber die Spanne zwischen Reich und Arm zunahm. Hinzu kam, daß die Bodenreform eine ganze Reihe von Problemen mit sich brachte: Vor allem Cardenas hatte den Boden an die Bauern verteilt. Seine Nachfolger hatten nichts getan, um den Bauern genügend Kredite zu geben, damit sie unabhängig bleiben konnten, so daß sie sehr bald in Abhängigkeit von Regierungs- oder Privatbanken kamen. Das enorme Wachstum der Bevölkerung führte sehr bald dazu, daß das Land einfach die zunehmende Zahl nicht ernähren konnte, die Leute strömten in die Städte, und hier waren oft nur sehr billige Arbeiten zu erhalten. All diese Faktoren zusammengenommen — das Bevölkerungswachstum, eine korrupte Biirokratie, die immer weniger unter Kontrolle stand, und später die Einbeziehung Mexikos in den Kalten Krieg — hatten negative Folgen für die weitere wirtschaftliche und politische Entwicklung. Dennoch muß man eines sagen: Bei all diesen Problemen ist Mexiko bis heute fast der einzige Staat Lateinamerikas, wo es seit 1920 keine Militärdiktatur gegeben hat, seit 1920 kein gewaltsamer Umsturz einer Regierung stattgefunden hat. Ich kenne nur wenige meiner Kollegen — aus Chile, Argentinien, Brasilien, Venezuela, Kolumbien — die nicht irgendwann gezwungen waren, während einer Militärdiktatur ins Exil zu gehen. Mexiko ist das einzige Land, wo keine massive Gruppe ins Exil geschickt wurde und wo alle meine Kollegen ganz normal ihr Leben weitergelebt haben. Insofern ist Mexiko schon sehr unterschiedlich im Vergleich mit dem sonstigen Lateinamerika. MdZ: Mexiko war ja auch für im übrigen Lateinamerika Verfolgte ein Zufluchtsland, ist es sogar bis heute geblieben? F.K.: Das ist einer der Aspekte, die man unterstreichen muß. Mexiko war kein Einwanderungsland, mit einer Ausnahme: für politische Flüchtlinge. Fidel Castro hat seine Revolution in Mexiko vorbereitet. Tausende Flüchtlinge aus Argentinien, Chile, Brasilien fanden in Mexiko Asyl. Diese Asylpolitik Mexikos hat sich bis heute fortgesetzt. Das hat für das Ansehen des Landes enorme Folgen gehabt. Es hat nicht nur das Prestige Mexikos in Lateinamerika erhöht. Kulturell hat es Mexiko zum intellektuellen und geistigen Mittelpunkt gemacht, was es heute noch ist. Es hat auch dazu geführt, daß die Ideen der mexikanischen Revolution sich in Lateinamerika verbreitet haben — nicht durch Export der Revolution, sondern durch den Einfluß auf die exilierten Lateinamerikaner. Es gibt kein Land auf diesem Kontinent, das so vielen Menschen und so vielen Verfolgten Asyl bot. Das ist wirklich eine Besonderheit Mexikos und erklärt auch die enorme Popularität Mexikos in vielen Teilen Lateinamerikas. MdZ: Diese Politik wird auch trotz der von Zedillo eingeschlagenen, ziemlich brutalen neoliberalen Politik noch beibehalten? F.K.: Man muß hier unterscheiden. Ich würde von brutaler Politik hier nicht sprechen. In wirtschaftlicher Hinsicht geht der neoliberale Kurs fort, aber unter Zedillo haben zum ersten Mal in der Geschichte Mexikos seit der Revolution echte Wahlen stattgefunden, die der herrschenden Partei die Mehrheit gekostet haben — d.h., Zedillo hat erlaubt, daß die herrschende Partei die Mehrheit im Kongreß verliert. Auch das Bürgermeisteramt in Mexiko war bis dahin nie wählbar, sondern der Bürgermeister wurde immer von der Zentralregierung ernannt. MdZ: Mit dem Argument, Ciudad de Mexico sei ,, Distrito Federal“, Regierungsbezirk? F.K.: Genau. Zum ersten Mal haben Wahlen stattgefunden, aufgrund derer die Opposition unter Cuauhtémoc Cardenas nun nicht nur den Biirgermeister stellt, sondern die absolute Mehrheit des Gemeinderates. Also ich wiirde Zedillo nicht als den brutalen Herrscher bezeichnen, sondern man muß ihm hoch anrechnen, daß er die Tore zu einer größeren Demo31