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zu spüren. Am 30. September 1950 schrieb in Turin der ehemalige Mexikoemigrant Mario Montagnana, Mitglied des ZK der KP Italiens, für den KGB, für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR und offiziell an das Zentralkomitee der SED in einem Belastungspapier gegen Paul Merker auch über Leo Katz in Mexiko: „Obwohl er Rumäne war, gehörte er auch zur deutschen kommunistischen Gruppe. Er war sogar während einer gewissen Zeit Mitglied ihres Sekretariats zusammen mit Otto Katz (Andr& Simone) und Rudi Feistmann. Abgesehen von seiner vollständigen ununterbrochenen Solidarität mit der Leitung der deutschen Gruppe erinnere ich mich an eine Tatsache, die mir auffiel. Das erste Mal, daß ich Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen (Juni 1941), erzählte er mir unter anderem, daß er zweimal als Kommunist von der rumänischen Siguranza verhaftet worden war und daß er beide Male nach wenigen Tagen freigelassen wurde, weil er Beamte bestochen hatte. Es erscheint mir notwendig, diese Dinge hervorzuheben, die mir von ihm selbst erzählt wurden und von denen ich nicht einmal heute Kenntnis haben würde, wenn sie mir nicht von ihm selbst mitgeteilt worden wären. Immerhin gab mir damals seine Erzählung Stoff zum Nachdenken, da ich wohl wußte, was die Siguranza und ihre Methoden waren und ebenso, daß für eine derartige Sache die kommunistische Partei gegen den Betreffenden den schlimmsten Verdacht gehegt hätte.“ 3 MuBte der nach Wien heimgekehrte Leo Katz um sein Leben fiirchten? Was brachte ihn dazu, selbst falsches Zeugnis zu reden gegen seine Mitstreiter im mexikanischen Exil? Die vollständige Antwort steht aus, solange Moskauer Archive keine Auskunft geben. Hätte es, wie in Budapest (1949) und Prag (1952), auch in Wien eine Chance für die Sowjets gegeben, einen kommunistischen Schauprozeß gegen Kommunisten zu inszenieren, wäre Leo Katz einer der Angeklagten gewesen. Man hätte in seinem Fall partiell die gleichen Gründe für ein Todesurteil anführen können, die seinen Exilgefährten André Simone, den deutschsprachigen Juden aus Böhmen, an den Galgen brachten. Am 22. November 1952 sagte Simone vor dem Prager Gericht aus, er habe in Mexiko die Zeitschrift „‚Tribuna Israelita“ geleitet, ,,die der Propagierung des jüdischen Nationalismus und der Verbreitung feindlicher Ideologien gegen die Arbeiterbewegung, den Sozialismus und den Fortschritt diente“ .* Leo Katz war in den ersten beiden Jahrgängen dieser Zeitschrift, in der auch die zionistischen Führer Nahum Goldmann und Stephen Wise publizierten, der Autor mit den meisten Beiträgen. Und Bronia Katz, seine Frau, saß im Redaktionsbiiro der ,,Tribuna Israelita‘“. Leo Katz war der Umstand hold, österreichischer Staatsbürger zu sein und folglich kein Angeklagter zu werden. Ein Rollenspiel vor Gericht war ihm dennoch zugedacht. Er sollte in Berlin als Belastungszeuge gegen den 1950 aus der SED ausgeschlossenen Parteiführer Paul Merker fungieren. Vorarbeiten dazu leistete der KGB offensichtlich seit 1950 in Wien. Schließlich nötigte er Leo Katz unter dem Datum 13. März 1953 zu einem aus Wahrheit und Lüge gemischten ‚Bericht über Paul Merker und seine Tätigkeit in Mexico“. Absurd waren Angaben wie diese: Merker habe während des Krieges die Gruppe deutscher und österreichischer Kommunisten in Mexiko ‚von der prosowjetischen Arbeit‘ ferngehalten. ,, Paul Merker vertrat in der deutschen Gruppe die Ansicht, daß ein Moment kommen könne, wo die deutsche Bevölkerung in einen Gegensatz zur sowjetischen Okkupationsmacht gerate, daß ein solcher Moment eigentlich unvermeidlich sei. Denn - so sagte er wörtlich — wir haben die deutschen Interessen im Gegensatz zu den russischen zu vertreten. Paul Merker vertrat auch die Ansicht, daß die deutsche Arbeiterklasse nicht durch Widerstand oder gar durch einen Aufstand gegen das Hitlerregime die deutschen Kader gefährden dürfe. Er sagte folgendes: Sollte sogar die deutsche Arbeiterklasse die Absicht haben, sich gegen Hitler zu erheben, so müßte man sie davor warnen.“ ” Dieses Denunziationspapier gelangte auf zwei Wegen in die DDR. Zuerst ging ein Exemplar vom KGB an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), ein anderes wurde am 13. April 1953 vom ZK der KPÖ mit einem Begleitbrief von Friedl Fürnberg an das ZK der SED geschickt. Ein Jahr später zeigte sich Merker nach wie vor hartnäckig widerspenstig in der Akzeptanz von Unterstellungen, so daß der Prozeß gegen ihn noch nicht stattgefunden hatte. Am 12. Mai 1954 wurde Leo Katz in Berlin von einem Leutnant des MfS vernommen und ein Protokoll zur Verwendung vor Gericht angefertigt. Dem „‚Zeugen Katz, Leo, geb. 22. Januar 1892 in Untersyssantz, Beruf: Schriftsteller; wohnhaft: Wien 2, Böcklinstr.8, z. Zt. Berlin, Hotel Adria“ legte das MfS in den Mund, worauf die Anklage gegen Paul Merker basieren sollte: „Merker unterhielt enge Beziehungen zu einer Gruppe reicher Juden ... DaMerker ihnen versprach, daß sie im befreiten Deutschland ihr kapitalistisches Vermögen wiederbekommen würden, verehrten sie ihn sehr. Er stellte sich auch gern als den führenden Mann im zukünftigen Deutschland heraus ... Merker vertrat auch zionistische Auffassungen. Er war der Meinung, daß die Juden, die nicht nach Deutschland zurückkehren wollten, nach Palästina (Israel) gehen sollten. Auch diese Juden würden ihr gesamtes von den Faschisten abgenommenes Vermögen zurückerhalten. Die nach Deutschland gehenden Juden müßten als nationale Minderheit anerkannt werden. Diese Auffassungen vertrat Merker, obwohl sie vollkommen den marxistisch-leninistischen Begriffen von der Nation widersprechen. Diese zionistische Linie wurde bekanntlich vom State Department der USA ins Leben gerufen. Sehr gute Beziehungen hatte Merker zu dem Agenten André Simone (Otto Katz).“° Unerwähnt blieb in diesem Zusammenhang, weil es der Absicht entgegenstand, Merkers Verhältnis zu Leo Katz. Gemeinsam waren sie in Mexiko wiederholt in Veranstaltungen jüdischer Emigranten aufgetreten. Undes war Merker gewesen, der damals ranghöchste KPDFunktionär in der westlichen Hemisphäre, der 1942, unmittelbar nach seinem Eintreffen in Mexiko, die von „‚supertreuen‘“ Kommunisten ausgestreuten Verleumdungen gegen Leo Katz und Andr& Simone, sie würden im Dienste sowjetfeindlicher Mächte stehen und ihre Existenzmittel aus dunklen Kanälen beziehen, überprüft und deren Haltlosigkeit bewiesen hatte. Die Verwendung seiner „Zeugenaussage“ gegen Paul Merker erlebte Leo Katz nicht mehr. Drei Monate nach seiner Vernehmung in Berlin war er am 9. August 1954 in Wien an seinem Herzleiden, so hieß es, gestorben. Von einem gebrochenen Herzen war nicht die Rede. Der Prozeß gegen Merker fand Ende März 1955 statt. Das Urteil lautete acht Jahre Zuchthaus. Die Geschichte, wie der österreichische Altkommunist Leo Katz in die sowjetischen Machenschaften gegen die eigenen Leute geriet, ist noch nicht geschrieben. Angefangen hat sie, wenn nicht früher, in der Zeit des Hitler-StalinPaktes. Leo Katz befand sich, wegen seiner Waffengeschäfte für Spanien aus Frankreich ausgewiesen, seit 1938 mit Besuchervisum in New York. Die Tage seines USA-Aufenthaltes waren 1940 gezählt. Mexiko blieb der einzige Ausweg. Doch auch dieser schien plötzlich verschlossen. Leo Trotzki war in Mexiko ermordet worden. Dem Totschlag vom August 1940 war im Mai ein Mordversuch vorausgegangen, ferngesteuert aus Moskau, inszeniert und durchgeführt vor Ort von der Organisation der mexikanischen Spanienkämpfer „Xavier Mina“. An der Spitze dieses Kriegervereins stand der Italiener Vittorio Vidali, der sich Carlos Contreras nannte. Seine Männer wurden nach dem bewaffneten Überfall auf Trotzkis Haus identifiziert und verfolgt. Contreras selbst konnte eine direkte Beteiligung an der Aktion gegen Trotzki nicht nachgewiesen werden. Als einziger Staat der Welt hatte sich Mexiko 1939 unter seinem Präsidenten Läzaro Cärdenas zur Asylgewährung für alle Spanienkämpfer entschlossen. Angesichts der Terroranschläge im Lande sahen sich nunmehr die mexikanischen Behörden zu einem Einreisestop gezwungen. Das Spanish Aid Committee in New York schickte Mildred Rackley in die mexikanische Hauptstadt. Sie sollte bei der Regierung Ausnahmen erwirken. Am 12. Oktober 1940 bekam sie Post von Felix Kusman, ihrem Chef. Er schrieb, ein dringender Fall sei „Dr. Leo Katz, Journalist, seine Frau und sein Sohn (Bronja und Friedel). Sie ... sind in Gefahr, nach Europa zurückgebracht zu werden, wenn nicht die Visa eintreffen. Sie haben Geld. Diese Leute hatten wichtige Verbindungen mit der Regierung der Spanischen Republik. Unternimm alles mögliche, um für sie schnellstens Visa zu bekommen.“ "Am 8. November war es endlich soweit. Innenminister Garcia T£llez hatte sein Placet gegeben. Leo Katz kam Ende November 1940 nach Mexiko. Es war für ihn selbstverständlich, sich nun mit dem bereits hier lebenden deutschen Schriftsteller Bodo Uhse und der noch in Mexiko-Stadt weilenden Mildred Rackley um die Beschaffung weiterer Visa für deutsche und 33