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österreichische Spanienkämpfer und andere Antifaschisten zu kümmern. Doch Contreras, der Sekretär von „Xavier Mina“, machte Schwierigkeiten. Leo Katz erinnerte sich: Mildred Rackley befand sich in einem schweren Konflikt mit Carlos Contreras, der kategorisch erklärte, ‘daß in Mexiko keine Visa mehr zu erhalten wären’. Einige Tage nach meiner Ankunft in Mexiko brachte mich Bodo Uhse in Verbindung mit Miguel Velasco als Vertreter der KP Mexikos. Ich schilderte ihm die Schwierigkeiten bei der Visabeschaffung ... Ich schlug vor, daß wir in Mexiko ein Komitee gründen, das die mexikanische Öffentlichkeit zur Visabeschaffung und zur Hilfe für die Neuankommenden anregen könnte. Miguel Velasco gab seine Zustimmung, aber nach einigen Tagen zog er sie mit der Begründung zurück, Carlos Contreras wäre dabei, eine internationale Hilfsorganisation zu gründen. Wir dürften deshalb nichts unternehmen, um dessen Arbeit zu behindern. Ich habe nie wieder etwas von einer solchen Organisation gehört ... Im Frühjahr 1941 verbreitete Contreras das Gerücht, wir würden Parteifeinde in die Visalisten aufnehmen. Ich bat Miguel Velasco, er möge auf Carlos einwirken, unsere Arbeit nicht zu stören. Einige Tage später aber wurde Bodo Uhse aufgefordert, an Carlos Contreras, der sich als Vertreter der MOPR (Internationale Rote HilJe) ausgab, alle Namen und Personalangaben unserer Freunde auszuliefern, denen entweder bereits die Visa erteilt worden waren oder um deren Visa wir uns bemiihten. Ich hatte Bedenken, Contreras die Listen auszuliefern. Noch che die Frage entschieden werden konnte, wurde Contreras im Zusammenhang mit dem Überfallaufdas Haus Trotzkis verhaftet. Nachdem Contreras wieder freigelassen worden war, wirkte er auf Bodo Uhse ein, nunmehr die Listen auszuliefern. Er behauptete, ohne es zu beweisen, ‘daß er von Moskau aus für die Visabeschaffung eingesetzt worden wäre und wir die Pflicht hätten, ihm die Listen auszuliefern’. Ich beriet mich mit Bodo Uhse und Otto Katz. Wir kamen zu dem Schluß, das Verlangen von Contreras abzulehnen.® Im Frühjahr 1941 traf, aus Frankreich kommend, Mario Montagnana, schon damals ZK-Mitglied der italienischen KP, in Mexiko ein. Der deutsche Emigrant Rudolf Feistmann brachte Leo Katz mit ihm zusammen. Katz erinnerte sich: Rudi meinte, Montagnana könne Contreras beeinflussen, von der Forderung nach den Listen Abstand zu nehmen. Als ich mit Montagnana darüber sprach, erklärte er: ‘1. Ich garantiere hundertprozentig für Carlos Contreras. 2. Ich glaube nicht, daß noch jemand aus Frankreich kommen wird. Ich selbst bin an dem weiteren Kommen von Emigranten nicht interessiert. Die Aushändigung der Listen kann deshalb niemand gefährden.’ Montagnanas Antwort beeindruckte mich so, daß ich ihm seit jener Zeit bewußt auswich und nie mehr mit ihm zusammenkam. Nach dem Gespräch mit Montagnana sind noch Tausende Emigranten, Spanienkämpfer, Österreicher, Franzosen, Ungarn, Juden etc. aus Frankreich nach Mexiko gekommen. 34. ORGANO DE LOS AUSTRIACOS ANTI=NAZIS DE MEXICO Das eigentliche „Verbrechen“ von Leo Katz bestand darin, daß er verlangte und es schließlich durchsetzte, die deutschen und österreichischen Kommunisten in einer eigenständigen Gruppe zusammenzuführen. Nach der Regel der Komintern, ein Land, eine Partei, hätten alle in Mexiko lebenden Kommunisten der mexikanischen Partei bzw. deren Ausländerzelle beitreten müssen. Damit wären sie automatisch in die mexikanische Innenpolitik einbezogen worden. Doch für Leo Katz kam dies nicht in Frage. Auch Lohn- und Streikkämpfe mußten die Mexikaner selbst ausfechten. Der Hauptfeind der Menschheit war Hitler. Ihn zu bekämpfen war für Deutsche und Österreicher auch im Exilland vorrangige Aufgabe. Und die Regel der Komintern? Sie war in Mexiko bereits von anderen durchbrochen worden. Die Exilspanier in ihrer großen Zahl hatten das Recht erwirkt, eine eigene KP-Organisation zu bilden. In der Ausländerzelle der mexikanischen KP gab Carlos Contreras den Ton an, unterstützt von dem Schweizer Architekten Hannes Meyer, einem früheren Direktor des Bauhauses in Dessau. Bis Herbst 1939 hatte die Ausländerzelle einen energischen Kampf gegen die auch in Mexiko agierenden deutschen Nazis geführt. Davon war nach dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Paktes nichts mehr zu spüren. Trotzki und die Trotzkisten, wie alle tituliert wurden, die nicht vorbehaltlos Stalins Politik akzeptierten, waren für Contreras und Meyer zum Feind Nummer eins geworden. Beide suchten im Frühjahr 1941 jeden kommunistischen Neuankömmling für sich zu gewinnen. Leo Katz gab nicht auf. An seiner Seite standen Andr& Simone, Egon Erwin Kisch, Bodo Uhse, Ludwig Renn, Rudolf Feistmann und andere. Auch er nahm Einfluß auf die Neuankömmlinge: Ich machte die Genossen darauf aufmerksam, daß sich Hannes Meyer vom ersten Tage unserer Ankunft an gegen die Gründung einer deutschen Parteigruppe in Mexiko ausgesprochen habe und die Lebensberechtigung derselben bestreitet; daß er uns am 9. Februar 1941 in seiner Wohnung in Gegenwart des mexikanischen Parteivorsitzenden Encina als eine Gruppe von Intellektuellen bezeichnete, die keinen Boden unter den Füßen habe, aber von einer deutschen Parteigruppe träume, die jedoch unter keinen Umständen auf mexikanischen Boden gegründet werden dürfe. Deshalb erklärte ich den Neuangekommenen, es seiihre persönliche Angelegenheit, ob sie mit Hannes Meyer verkehren wollen oder nicht, aber niemand habe das Recht, mitihm Angelegenheiten der Gruppe zu besprechen. Der Zusammenschluß deutscher und österreichischer Kommunisten erfolgte nach monatelangen Bemühungen. Politischer Leiter bis Anfang 1942 war Leo Katz. Die Bildung der Parteigruppe billigte Blas Roca, der Vertreter der Komintern für die Karibik und Mittelamerika, während eines Besuches in Mexiko. Roca, zugleich Chef der kubanischen Kommunisten, traf seine Entscheidung möglicherweise ohne Konsultation mit Moskau, zumal unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion dort kaum solche Fragen hätten geklärt werden können. Zustimmung gaben auch Dionisio Encina, der Generalssekretär der KP Mexikos und die Führung der spanischen KP. Die Feindschaft zwischen Carlos Contreras und Leo Katz blieb bestehen. Sie heizte sich auf, als Contreras hinterbracht worden war, daß Katz seinen Genossen nahegelegt hatte, sich keinesfalls mit dem in die Trotzki-Affäre verwickelten Italiener in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Die von der KP Mexikos unabhängig arbeitende KPD-Gruppe war die Basis dafür, daß Mexiko zum Zentrum des deutschsprachigen Exils auf dem amerikanischen Kontinent wurde. Hier konnten sich die Hitlergegner, weil von der Regierung anerkannt, frei entfalten. Mit Andre Simone als Sekretär entstand die Bewegung Freies Deutschland, der weltweit erste Zusammenschluß dieses Namens. Österreichische Antinazis bildeten die Acciön Austriaca de Mexico (ARAM). Herausgegeben wurde die Zeitschrift ,,Freies Deutschland“ mit Bruno Frei als Chefredakteur in der Griindungsphase, gefolgt von Alexander Abusch. Osterreicher und Deutsche schufen eine gemeinsame Kulturorganisation, den Heinrich Heine-Klub. Es gab das Mitteilungsblatt ,, Austria Libre“, die von Rudolf Feistmann redigierte Zeitung ,, Demokratische Post“, den von Walter Janka geleiteten Buchverlag El Libro Libre und anderes mehr. Aus der Sicht der Nachkriegszeit wird deutlich, daß dies alles nicht im Interesse Moskaus war. In Mexiko und in anderen westlichen Ländern waren kommunistische Kader herangereift, denen das Stalinsche Erziehungssystem zur Deformierung der Persönlichkeit, im Sinne von Brechung des eigenen Willens, fremd geblieben war. Heimgekehrt in die nunmehr zur sowjetischen Einfluß- und Beherrschungssphäre zählenden Länder waren diese Kommunisten einem permanenten Mißtrauen, oft genug einer breiten Palette von Repressalien und nicht selten physischer Vernichtung ausgesetzt.