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nicht mehr die Vorgeschichte und Interessen ihrer Eltern, heirateten oft Partner ohne Deutschkenntnisse und/oder einer anderen Religion zugehörig, sodaß diese Organistion ihre Tätigkeit aus Mangel an Teilnahme einstellte. Eine andere, vorwiegend von deutschsprachigen Juden gegründete Vereinigung bestand während eines noch kürzeren Zeitraums: die ,,Liga Pro-Cultura Alemana“. Sie wurde um 1937°° ins Leben gerufen von Erwin Friedeberg, Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie, und Heinrich Gutmann, einem jüdischen Journalisten aus Berlin, der bereits Anfang der dreißiger Jahre in Mexiko eingetroffen war. Zu ihnen kam Franz Feuchtwanger, seit 1941 in Mexiko. Für kurze Zeit schlossen sich einige kommunistische Parteimitglieder der Liga an, unter ihnen Kisch. Sie wurden unerhört aktiv gegen Faschismus und Rassismus” und bewirkten erfolgreich die Rettung einer großen Anzahl verfolgter Menschen. Durch andauernde Differenzen zwischen den Gründern und den Mitgliedern der kommunistischen Partei, und nicht zuletzt durch die Affäre Regler/Simone, kam es zum Bruch und zur Auflösung der Liga Mitte 1942. Ihre Bedeutung für die Rettung der verfolgten Menschen in Frankreich nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs kann nicht genügend hervorgehoben werden, jedoch wird ihre Arbeit kaum erwähnt, da nicht nur Juden auf den Listen der zu rettenden Menschen standen, welche die Liga der mexikanischen Regierung zwecks Gewährung eines Visums vorlegte. Von den nicht deutschsprachigen jüdischen Gruppen gingen auch Initiativen zur Hilfe für die vom Faschismus verfolgten Juden in Polen und Deutschland aus. Kautionen für nicht ganz legal eingereiste Ankömmlinge wurden gestellt, Hilfe bei der Abfertigung im Hafen von Veracruz gewährt, die Weiterreise zur Hauptstadt in die Wege geleitet. Man arbeitete mit internationalen Hilfskomitees zusammen wie dem „Joint Distribution Committee“, dem ,,HIAS“, dem ,,HICEM“ , dem „Joint Antifascist Refugee Committee“ und dem in Kuba stationierten , Joint Relief Committee“. Kurioserweise wird in den zitierten historischen Quellen der Bedeutung, die Mexikos Regierung im Gemeingang mit diesen Hilfsaktionen angesichts der fehlenden Unterstützung von seiten anderer Länder hatte, wenig Platz eingeräumt. Wie viele rettende Schiffe jüdische Menschen nach Mexiko brachten, darüber wird sehr knapp oder gar nicht berichtet, jedoch ausgiebig über den immer wieder abgewiesenen Dampfer Sv. Louis.’ Es wird auf einige nicht zustande gekommene Hilfsaktionen hingewiesen und immerhin die emsige Tätigkeit von Dr. Leo Zuckerman, auch deutscher Herkunft, gewürdigt. Die erfolgreichen Initiativen der „Liga Pıu-Cultura Alcınana“ werden kaum erwähnt, obwohl ihr Vorstand großteils aus Juden bestand. Ihre intensiven Aktivitäten richteten sich gegen den Faschismus, nicht nur gegen den Antisemitismus, was sie je44 doch anscheinend trotz ihrer großen Verdienste um die Rettung jüdischer Menschen in gewisser Weise disqualifiziert. Die Mitarbeit deutschsprachiger Juden an Veröffentlichungen und kulturellen Veranstaltungen findet kaum mehr Erwähnung. Obwohl versucht wurde, hier einige der objektiven Gründe aufzuzeigen, warum die deutsche und österreichische Präsenz -in den historischen Studien von Seiten jüdischer HistorikerInnen in Mexiko verleugnet wird, bleiben doch noch viele Fragen offen: Ist es ein Racheakt für diese allzu gebildeten und privilegierten. Ankömmlinge? Sollte die deutsche Sprache als eine Sprache der Peiniger und Mörder geächtet werden? Ist es ein Zeichen der fortbestehenden Mißbilligung der kommunistischen Zugehörigkeit etlicher deutscher, ‚österreichischer und. -tschechischer jüdischer Flüchtlinge, während andere Glaubensgenossen vor der Russischen Revolution geflohen waren? Eine stillschweigende Vergeltung dafür, daß die deutschsprachigen Juden sich nicht für die Schaffung des Staates Israel einsetzten, sondern weiterhin an eine Integrierung der Juden in ihre Heimat- oder Aufnahmeländer glaubten? Dieses sind ungelöste Fragen, vielleicht auch zu heikel, um unbefangen diskutiert zu werden. Auf jeden Fall handelt es sich bei dem Zusammentreffen und Nicht-Zusammenfinden der deutschsprachigen jüdischen Exilanten mit den bereits ansässigen jüdischen Gruppen in Mexiko und dem Verwischen ihrer Spuren um eine hochinteressante, immer noch brisante jüdische Erfahrung des zwanzigsten Jahrhunderts. Anmerkungen zu R. Hanffstengel 1 Alicia Gojman: Los conversos en la Nueva Espafia. Mexico D.F.: UNAM 1984. 2 Leön Sourasky: Historia de la comunidad israelita de Mexico (1917-1942). Mexico D.F.: (Eigenverlag) 1965, 273. 3 Judith Bokser: Imägenes de un encuentro. La presencia judia en México durante la primera mitad del siglo XX. México D.F.: UNAM, Tribuna Israelita, Comité Central Israelita de México 1992, 10. 4 Gloria Carreno: Pasaporte a la esperanza. Band 1 der Serie Generaciones Judias en México. La Kehilä Ashkenazi (1922-1992). Mexico D.F.: 0.V. 1993, 57. Wie Anm. 3, 223. Ebd. Ebd., 8-9. Ebd., 179. Ebd., 258. - Der komplette Brief ist veröffentlicht in: Anuario del Instituto de Investigaciones Interculturales Germano-Mexicanas, Vol. 1 (1988-1989) 1/2, 47 10 Wie Anm. 3, 11. 11 Ebd., 203 (Übersetzung: Renata von Hanffstengel). 12 Fritz Pohle: Das mexikanische Exil. Ein Beitrag zur Geschichte der politisch-kulturellen vo sau Emigration aus Deutschland (1937-1946). Stuttgart: Metzler 1986, 76. 13 Wie Anm. 2, 59. 14 Wie Anm. 2, 159. 15 Wie Anm. 2, 73. 16 Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude. Berlin: Fischer 1921. 17 Nach Aussage von interviewten Exilanten. ' . 18 Inge Diersen: Erfahrung Mexiko - Die la: teinamerikanische Spur im Schaffen von Anna Seghers. In: Renata von Hanffstengel, Cecilia Tercero, Silke Wehner Franko (Hg.): Mexiko, das wohltemperierte Exil. Mexico D.F.: Instituto de Investigaciones Interculturales Germano-Mexicanas 1995, 58-71. — Fritz Pohle; Vorbereitung für die nächste Deutschstunde und mehr — Der Ausflug der Investigaciones Interculturales, Germano-, Mexicanas Vol. II (1992) 5/6, 107-117. Renata von Hanffstengel: Mexiko im Werk ' von Bodo Uhse. Das nie verlassene Exil. New York und Bern: Peter Lang 1995! .— Siehe auch: Dies.: Zur unterschiedlichen Reaktion dreier Künstler auf die doppelte Emigration: die Schauspielerin Brigitte Alexander, der Schriftsteller Bodo Uhse, der Fotograf Walter Reuter. Berlin: Metropol 1998 (in Druck). 19 Siehe Brief vom 17. April 1985 an Hans Neuman, letzter Vorsitzender der Hatikwa-Menorah. 20 Siehe Mitgliederliste der ,,Menorah“ des Jahres 1943. 21 Brief von Albert Einstein vom 14. Feb. 1938. 22 Nach einer mündlichen Aussage von Erwin Friedeberg wurde die „Liga“ bereits 1936 gegründet, kurz nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs. 23 Siehe dazu: Fritz Pohle: Der deutsche Widerstand in Mexiko 1937-1939. Die ‚„‚Liga für deutsche Kultur“. In: Anuario del Instituto de Investigaciones Interculturales GermanoMexicanas, Vol. TV (1994-1996), 96-105. 24 Wie Anm. 3, 221. Institut für deutsch-mexikanische Forschungen Renata von Hanffstengel ist Leiterin des , ,Instituto de Investigaciones Interculturales Germano-Mexicanos“, das sich u.a. mit der Erforschung des deutschsprachigen Exils in Mexiko befaßt und 1993 eine erste internationale Tagung über das Exil in Mexiko-Stadt veraristaltete. Das Institut gibt Jahrbücher in deutscher . und spanischer Sprache heraus (bisher vier Doppelnummern), die nächste erscheint im . Sommer 1998 (Einzelpreis DM 15,-/USD 10,/ca. 6S 120,-). Die Ergebnisse des Symposiums 1993 liegen vor in dem großformatigen Band: R. von Hanffstengel/C. Tercero/S. Wehner (Hg.): Mexiko. Das wohltemperierte Exil. México D.F. 1995. 366 S. mit 89 Abbildungen. DM 70,-/USD 50,-/ca. oS 500,- (zuziiglich Versandkosten). Bestellungen an das Institut, Calle 23 No. 8, San Pedro de los Pinos, 03800 México D.F., Mexico; Fax: 0052 5 5632874.