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Jascha Horenstein hatte die bereits erwähnte, vom Heinrich Heine-Klub und vom PENKLub gemeinsam organisierte Aufführung von Schönbergs ,,Pierrot lunaire“ nicht einfach nur wie ein Gastspiel dirigiert, sondern als große persönliche Aufgabe begriffen, um Schönberg zum Durchbruch zu verhelfen. Der in Rußland geborene Horenstein hatte zunächst in Wien Philosophie, schließlich in Berlin bei Schreker Komposition und bei Adolf Busch Violine studiert; er hatte 1923 in Wien mit dem Symphonie-Orchester (den heutigen Wiener Symphonikern) debütiert, später die Berliner Philharmoniker als Gastdirigent geleitet und als Direktor der Düsseldorfer Oper unter anderem Alban Bergs „Wozzeck“ aufgeführt. Nachdem die Nationalsozialisten ihn aus Deutschland vertrieben hatten, dirigierte er nahezu in der ganzen nicht-nationalsozialistischen Welt: Australien, Neuseeland, Skandinavien, Palästina, Nord- und Südamerika. Horenstein mußte die mexikanische Aufführung von Schönbersgs ‚‚Pierrot lunaire“ erst mit vielen Proben erarbeiten und wegen technischer Probleme sogar verschieben. Als Interpreten suchte er die besten Musiker und Musikerinnen Mexikos zu gewinnen (so etwa für die schwierigste Partie des Werks die Sängerin Paula Bach-Conrad). Als ihn Bruno Frei, noch vor dem Konzert, im Jänner 1945 für die Demokratische Post interviewte und ihn nach seinem Eindruck vom Musikleben der Stadt fragte, antwortete er etwas zurückhaltend über die Qualität der Orchester: ‚Ich finde die Orchester recht gut, wenn auch noch jung und nicht erfahren“ — aber im Ganzen fällt sein Urteil durchaus erstaunlich aus: Ich glaube, daß das musikalische Niveau, das Mexiko in den letzten Jahren erreicht hat, am besten durch den Hinweis charakterisiert wird, daß ein so kompliziertes und ‘undankbares’ Werk wie Debussys ‘Peleas und Melisande’ während der letzten Opernsaison aufgeführt werden konnte und sogar mit großem Erfolg. Ein Werk, das in Europa viele große Opernhäuser nicht auf die Bühne zu bringen wagten, und das selbst in Wien nur von einer kleinen Schar von Musikfanatikern aufgeführt werden konnte. Hier fand es eine verständnisvolle Aufnahme. Das Publikum in Mexiko ist sehr dankbar, das ist die wichtigste Erfahrung, die man hier macht.! Die Erfahrung, die demgegenüber die jüdischen Künstler ab 1933 in Deutschland und ab 1938 in Österreich gemacht hatten, als Undankbarkeit zu bezeichnen, wäre bereits eine unerträgliche Verharmlosung. Undankbarkeit ist schon eher zu nennen, was der nicht-jüdische Dirigent Erich Kleiber in Berlin zwischen 1933 und 1935 erfuhr, als er sich für moderne, gleichfalls nicht-jüdische Komponisten einsetzte. Bruno Frei führte mit Kleiber in Mexiko, wo der nunmehr in Buenos Aires lebende Dirigent häufig auftrat, das erste Interview, in dem er „zum erstenmal zu Deutschen über Deutschland“, d.h. über seine Erfahrungen im Dritten Reich sprach. Kleiber stammt ebenfalls aus Wien, hatte in Prag studiert und war 1923 bis 48 \ u. ARAM-Ausweis von Rosel Volk Foto: DÖW 1934 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, wo er unter anderem die Uraufführungen des ,, Wozzeck“, des ,,Singenden Teufels* von Schreker und des ,,Christophe Colomb“ von Milhaud leitete. Nach 1933 setzte er sich für Hindemith ein und führte noch Ende 1934 die „Fünf Symphonischen Stücke aus Lulu“ auf. Im Interview mit Bruno Frei erzählt er, wie es ihm dabei ergangen ist -- wobei sich seine Haltung zunächst offenbarnicht von jener Wilhelm Furtwänglers unterschieden hat: Ich bin 1933 geblieben, weil ich, wie viele andere, glaubte, daß der Rassenwahnsinn ein vorübergehende Kinderkrankheit des neuen Regimes sei. Ich fühlte mich für manche bedrohte Existenz im Betriebe der Staatsoper verantwortlich, konnte damals auch manches Schlimmste verhindern und hielt es eben für meine Pflicht, in meiner Stellung abzuwarten, wie sich die Dinge in der Kunst weiterentwikkeln würden, namentlich in bezug auf die von Dr. Goebbels so oft versprochene ‘Freiheit der Kunst’ [...] Ich hätte gezwungen werden sollen, Opern und Konzerte nicht nach der Qualität der Künstler zu besetzen, sondern nach der Qualität der Großmütter. Auch Musiker meines Orchesters waren davon betroffen. Auch für die Auswahl von Komponisten galt der rassische Gesichtspunkt. Während sich aber Furtwängler den Nazis letztlich beugte, ließ Kleiber von seinen Forderungen nicht ab. Er erklärte sich nur unter der Bedingung zur Rückkehr einverstanden, daß in seinem „ersten Konzert eine MendelssohnSymphonie aufgeführt wird, um so diesen großen deutschen Komponisten zu rehabilitieren. Meine Bedingung wurde prompt abgeschlagen, mit dem seltsamen Zusatz: ‘Jetzt noch nicht’. Worauf ich sagen ließ: ‘Gut ich warte — aber draußen. ’“ Mit dem „Anschluß“ Österreichs verband sich für den geborenen Wiener ein weiteres Angebot zur Rückkehr, und als Bote des Dritten Reichs fungierten diesmal eilfertig die Wiener Philharmoniker: Österreich ... Ja, das war das Schlimmste. Sie wissen, ich bin Wiener [...] Als dann ein Brief kam von den Wiener Philharmonikern mit vielen schönen Redensarten, das war ein schwarzer Tag für mich. Sie hätten immer an mich geglaubt als an ihren Führer, aber sie hätten nicht gekonnt, wie sie gewollt, aber jetzt sei doch der Weg frei und ich sollte doch zurückkehren |...] Ich hatte aber nicht Deutschland verlassen, um mich auf dem Umweg über Österreich wieder anschließen zu lassen. So habe ich den Philharmonikern gar nicht geantwortet... Anmerkungen G. Scheit 1 Ich danke Marcus Patka für die vielen Hinweise und für das bereitgestellte Material; ohne ihn hätte ich diesen Artikel nicht schreiben können. 2 Marcel Rubin: Carl Alwin. In: Austria Libre 4 (1945) 11 (Nov.), 3. 3 Marcel Rubin: Beethoven und Oesterreich. Zum 175. Geburtstag des Komponisten. In: Austria Libre 4 (1945) 12 (Dez.), 5. 4 Marcel Rubin: Wagner in unserer Zeit. In: Demokratische Post, 1.7. 1945, 4. 5 Marcel Rubin: Arnold Schoenberg. Zur mexikanischen Erstauffuehrung des ‘Pierrot lunaire’. In: Demokratische Post 31.12. 1944, S.3. 6 Marcel Rubin: Béla Bartok, das Volkslied und die moderne Musik. In: Austria Libre 5 (1946) 4/5 (Mai), 4. 7 Vegi. hierzu: Martina Helmig: Ruth Schénthal. Ein kompositorischer Werdegang im Exil. Hildesheim u.a. 1994; den Hinweis auf diese Biographie verdanke ich Primavera Gruber. 8 M.R.: Ruth Schoenthal — ,,Concierto Romäntico“. In: Austria Libre 5 (1946) 3 (März), 4. 9 Ebd. 10 Programmheft zum IV. Sonderkonzert der Staatskapelle Berlin am 24.4. 1959. Zit. n. Fritz Hennenberg: Hanns Eisler. Reinbek 1987, 65 11 Marcel Rubin: Gustav Mahlers musikalische Rolle. Zu seinem Geburtstag 7. Juli 1860. In: Austria Libre 4 (1945) 7/8 (Juli/August), 6. 12 L.Ch.: Verboten in Deutschland — bejubelt in Mexico. In: Freies Deutschland 2 (1943) 6 (Mai), 30. 13 Maria Heim: Fasching in Wien. In: Austria Libre 3 (1944) 3 (März), 5. 14 Hermann Ullrich: Der Wiener Walzer. Ein Kapitel österreichischer Kulturgeschichte. In: Austria Libre 3 (1944) 2 (Feb.), 5. 15 Mexico Today 20.3. 1939; zit. n. Jürgen Schebera: Hanns Eisler. Berlin/DDR 1981, 114 16 Bruno Frei: Das Musikleben in Mexiko. Ein Interview mit Jascha Horenstein. In: Demokratische Post, 15.1. 1945 17 Bruno ['rei: Interview in Moll. Generalmusikdirektor Erich Kleiber über Deutschland, Österreich, die Sowjetunion und die Freiheit der Kunst. In: Freies Deutschland 2 (1943) 4 (März), 15f.