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Marcus G. Patka: Wie stark aber die Anteilnahme an Kammermusik hier im Lande im Wachsen begriffen ist, geht auch aus den Beobachtungen hervor, die der Primgeiger des Lener-Quartetts, Jenö Lener, aufausgedehnten Tourneen machen konnte. „Man ist“, stellte Lener auf den Konzertreisen durch Nord- und Südamerika fest, ‚freudig bereit, selbst die ‘schwerste’ Kammermusik zu akzeptieren, wenn sie von hervorragenden Interpreten dargestellt wird. Dabei sind z. B. die Streichquartette op. 130 und 131 von Beethoven in Südamerika — also mehr als 100 Jahre nach ihrem Entstehen! — Erstaufführungen gewesen. In Mexiko, wo sich Privatleute enorme Bibliotheken von Schallplatten, auch mit den besten Kammermusikwerken, angelegt haben, ist eine ungewöhnliche Bereitwilligkeit zur Aufnahme klassischer und zeitgenössischer Musik. So war es in Mexico City möglich, in einer Saison 36 Quartett-Abende zu veranstalten, während Buenos Aires sogar für 38 Konzerte ein tief interessiertes Publikum hatte. Ihrem Rufals Vertreter einer Kulturnation wurden die Altösterreicher im Exil in Mexiko durchaus gerecht, auch wenn und gerade weil diese in der Barbarei versank. Es läßt sich anmerken, daß ohne ihr Mitwirken der Heinrich Heine-Klub (HHK) und andere Exilorganisationen in Mexiko niemals ihre kulturelle Vielfalt erlangt hätten: Luise und Charles Rooner sowie die gebürtige Wienerin Steffie Spira gehörten zu den wichtigsten Schauspielern, Kurt Berci gestaltete die Bühnenbilder für die Theateraufführungen.? Egon Erwin Kisch war ein beim internationalen Publikum beliebter Conférencier. Er und Leo Katz waren die wichtigsten ‚„‚Diplomaten“ , um auch die biirgerlichjüdische Emigration für den HHK zu begeistern. Auch innerhalb der österreichischen Exilorganisation, der ,,Accién Republicana Austriaca de México“ (ARAM), wirkten die Kulturprogramme, das Bediirfnis nach Pflege heimatlicher Identität in der exotischen Fremde, als Bindemittel zwischen Kommunisten, Sozialisten und Bürgerlichen. Der aktivste Funktionär der ARAM war Bruno Frei, er leitete die Zeitschrift Austria Libre und die Sendung im mexikanischen Regierungsfunk Voz de Austria. 1934 war er in die KPD eingetreten, in Mexiko entwickelte sogar er sich zum Fürsprecher traditioneller österreichischer Kultur. Durch ihre hohe Musikkultur gelang den österreichischen Musikern ein im Exil seltener Brückenschlag zur Bevölkerung des Gastlandes, und zugleich bleibt sie auch das Erbe, welches das Exil hinterlassen hat. Beider Gründung des HHK im November 1941 wurde auch ein gebürtiger Wiener in den Vorstand gewählt, sogar als Vizepräsident, der Dirigentund Komponist Dr. Ernst (Rosenfeld-) Römer. Durch die Hilfe der Regierung akklimatisierte er sich sehr schnell in der mexikanischen Musik-Szene, dirigierte an der Oper und im Rundfunk und unternahm Tourneen in die Provinzen. Römer wirkte ab 1951 als Professor für Lied und Kammeroper am Staatskonservatorium von Mexiko. Es war Professor Leon Botstein aus New York, der kürzlich auf einem Symposium in Wien erzählte, daß noch in seiner Jugend, Ende der fünfziger Jahren ebendort vielfach Deutsch als Unterrichtssprache verwendet wurde.1961 wurde Ernst Römer das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien verliehen, er starb 1974 in Mexiko. Carl Alwin aus Königsberg war von 1920 bis 1938 Dirigent der Wiener Staatsoper. Ab 1941 wirkte er prägend auf die mexikanische Opernkultur, zudem als Lehrer am Konservatorium, als Komponist sowie als engagierter Unterstützer der ARAM. Auch für die jüdischen Vereine „Menorah“ und „B’nai Brith‘“ gestaltete er musikalische Programme. Im März 1945 unternahm er noch eine große Tournee als Liedbegleiter am Piano nach Havanna, Puerto Rico, Trinidad, Guatemala und San Salvador, doch völlig unerwartet verstarb er am 15. Oktober 1945. Marcel Rubin, ebenfalls aus Wien, wurde durch seine Jugend ab 1942 in Mexiko zum aktivsten Liedbegleiter und Dirigent an der Oper, doch seine große Leistung bestand in der Begründung und Leitung des Freien Deutschen Chors, in dem der Sprache keine Grenze gesetzt war und etliche Österreicher mitsangen. Dessen Auftritte waren so zahlreich, daß nicht alle in der folgenden Chronik vermerkt werden können. Außerdem trat er zeitweise zwei mal die Woche in Voz de Austria auf,.sowie bei den Sendungen der Bewegung „Freies Deutschland“ (BFD). Etliche von Rubins Kompositionen erlebten in Mexiko ihre Uraufführung, auch publizistisch entfaltete er eine rege Tätigkeit. Begierig am Neuaufbau mitzuwirken, kehrte Rubin 1947 nach Wien zurück, was zu etlichen Enttäuschungen führte. Obwohl er zu den meistgespielten zeitgenössisch-Österreichischen Komponisten gehört, starb er relativ unbeachtet 1995 in Wien. Erich Kleiber hatte sein Exil in Buenos Aires gefunden, doch immer wieder wurde er engagiert, in Mexiko aufzutreten. Im Zuge eines dieser Besuche kam es am 17. Februar 1944 zu einer Pressekonferenz der ARAM. In seiner Funktion als Ehrenpräsident des ‚‚Comite Central Austriaco de América Latina“ mit Sitz in Montevideo sprach Kleiber über dessen Gründung und Ziele.” Bemerkenswert bleibt, daß Kleiber in Mexiko auch ein Benefizkonzert für die Sowjetunion dirigierte. Einen großen Namen als Theaterkapellmeister und Komponist für Operette, Kabarett und Film hatte sich Oscar Straus gemacht. 1913 hatte er in Wien Amold Schönberg aufgeführt, was als „Watschenkonzert“ in die Musikgeschichte eingehen sollte. Seine Ankunft in Mexiko im Mai 1942 wurde groß gefeiert, doch am Musikleben der Exilanten beteiligte er sich nur sporadisch. Erfolge feierte er u.a. im Radio mit österreichischer Marschmusik als Dirigent des Orchesters des Marine-Ministeriums, der Banda de la Marina. Ebenfalls der leichteren Muse zugetan war Dr. Egon Neumann aus Mödling, über Johann Strauß hatte er 1919 dissertiert, anschließend komponierte er für Fritz Grünbaum und Karl Farkas. In Mexiko wurde er unermüdlicher Pianist fiir ARAM und HHK, als Höhepunkt kann die Aufführung der Dreigroschenoper zusammen mit Ernst Römer gelten. Als sich Hugo Wiener und Cissy Kraner 1946 kurzfristig in Mexiko aufhielten, komponierte er die Musik für eine von Wiener geschriebene Revue, die alsbald zur Aufführung kam. Doch nur wenige Jahre später verübte Egon Neumann Selbstmord. Rosi Volk war als Mädchen mit ihren Eltern, dem Medizin-Professor Dr. Richard Volk und der Malerin und Autorin aus Passion, Else Volk, aus Wien nach Mexiko gekommen. Ihr Sopran war beim Publikum überaus beliebt und in späteren Jahren brachte sie es zur gefeierten Gesellschaftsdame. Nur wenig bekannt ist über das SchrammelTrio, das bei den Gschnas-Festen der ARAM und anderen Gelegenheiten aufspielte. Es bestand aus Philipp Müller, Paul Hermann und Dr. Robert Schwarz, anfangs auch Irma Cohn. Ebenso verhält es sich mit der Sängerin Margarita Maris, dem Librettisten und Komponisten Arthur Rebner, dem Sänger und Pädagogen Franz Steiner, und der Violinistin Vishka Krokowski. Der Beginn ihrer Karriere gelang in Mexiko Ruth Schönthal, bevor sie in die USA übersiedelte. Zu besonderen Anlässen ließ sich auch der Wiener Revue-Star Hansi Riesenfeld aus Hollywood nach Mexiko locken. Ebenfalls nur zu Besuch kamen aus New York neben dem Lener-Quartett der tschechische Geiger Emil Friedman. Ganz anders die Sängerin und Chorleiterin Paula Conrad-Bach, sie lebte schon lange in Mexiko, wo sie ab 1928 den Chor des Orchesters der Deutschen Musik-Vereinigung leitete. Unter dem Druck der deutschen Gesandtschaft schied jedoch ein Großteil der Mitwirkenden aus. Schließlich mußte Paula Conrad-Bach die Leitung an den Beauftragten der Gesandtschaft, Dr. Arno Fuchs, übergeben. Es gelang, aus den Kreisen der Emigration die Ausfälle teilweise zu ersetzen, und unter dem Namen ‚BachChor“ die Arbeit fortzusetzen. Die angeschlossene Chronik musikalischer Ereignisse mit österreichischer Beteiligung im mexikanischen Exil ist ein Auszug aus einer weiter gefaßten, welche demnächst im Landesband ,,Mexiko“ der Reihe „Österreicher im Exil 1938 — 1945“ , herausgegeben vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Wider49