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stenz addierte sich das Bewußtsein des avantgardistischen Außenseitertums. Zwischen Tod und Schlaf liegt Resignation, versteckt sich metaphorisch eine Ohnmacht und begehrt dennoch auf: ,,Ich habe mich zerschlafen, / mein Weg starb in der Ruh’, / als mich die Bäume trafen, / glitt ich vom Kreuz zur Ruh’. // Die Wege mögen wandern, / wer ziel- und abendstark, / aus mir schwand zu den Andern / Morgen und Mark.“ (,,Am Kreuz“) Mit dem Thema des Wanderns sollte sich Ehrenstein zeitlebens auseinandersetzen. Gleich einem Leitfaden zieht sich das Gefiihl von Einsamkeit und Heimatlosigkeit durch das Werk des Dichters. Sind es anfangs autobiographische Bezüge auf das Elternhaus, auf die Auseinandersetzungen mit der Mutter, die den dichterischen Bestrebungen des Sohnes feindselig gegenüberstand, indem sie eine Härte vermittelte, an der die Familie zu zerbrechen drohte, wodurch jene Geborgenheit nicht aufkommen konnte, die Ehrenstein ersehnte. ‚über mein Daheim gibt das Gedicht “Wanderers Lied’ einige Auskunft“ , schrieb Ehrenstein an den Freund Paul Ernst. „Die Welt möcht’ ich zerreißen, / sie Stück für Stück zerglüh’n / an meinem lebensheißen /und todesstarken Sinn. // Ich habe Land besessen, / und Meer dazu, wieviel! / Ich habe Menschen gefressen, / und weiß kein Ziel.“ (‚Der Held schreit‘) Ehrensteins erster Gedichtband, erschienen 1914, trug den Titel „weiße Zeit“, eine Metapher des Alters, die der Achtundzwanzigjährige für sich beanspruchte. „Man kommt nicht allzuoft auf die Welt, /er lebt’, als wenn es zu sterben gält’, / sauste, brauste — ein Donnerstrahl!“ (‚Don Juan“) In dem Gedicht „Leben“ heißt es: „‚Aber die weiße Zeit brach ins Haar mir, / Herz und Hirn verfärbend, / und in mein dumm zerlebtes Leben fuhr / der Strahl: Real ist alles, nur die Welt ist’s nicht!“ Albert Ehrenstein stellte sich einer neuen Welt entgegen, einer Welt, deren tradierte Werte er als fragwürdig erkannt hatte. „Nun sind schon alle Huren müde. / Noch wach im leeren Freudenhaus / wischt sich mit dem verschlafnen Gliede / die Ärmste ihre Augen aus.“ (,,Morgengebet“) Stets begegnet man in Ehrensteins Gedichten — wie auch in seinem Leben — einem sozialen Engagement, das sich in den Jahren des erstarkenden Faschismus zu einem politischen Durchblick entwickelte, mitunter versteckt zwischen den Zeilen, dann wiederum signifikant wie in dem Gedicht „Deutschland“, das Täter und Opfer beim Namen nennt. So verzichtet er auf eine weitere Mitarbeit bei der Zeitschrift „Sturm“, da er ihr eine unpolitische Haltung vorwarf, wogegen ihn Karl Kraus, der Ehrenstein in dessen jungen Jahren finanziell unterstützt hatte, des „lyrischen Pazifismus“ bezichtigte. Ehrensteins Antikriegslyrik stellt Fakten fest, fordert keinesfalls dazu auf, seinen gedanklichen Mustern zu folgen. Private Beziehungen erfüllten hingegen keineswegs Defizite oder befriedigten latent vorhandene Bedürfnisse. Die angestrebte Nähe zu einer Frau verursachte gleichzeitig Distanz, Liebe und Ekel lagen nahe beisammen. „Zwei fremde Körper trafen sich / und stießen sich im Raume.“ (,‚Erste Liebe“) Hinzu kam die omnipräsente Angst vor venerischen Krankheiten. „O Vater, der Du über Wolken stehst, / an Deinem Menschenvolk sonst hochübergehst, / der uns in lumpige Lust verstieß, / beschiitze uns vor Syphilis.“ (,, Morgengebet* ) Permanent waren es finanzielle Probleme, die den Dichter nötigten, von einem Ort zum anderen zu ziehen, so daß er häufig seine Unterkünfte wechselte, stets auf der Suche nach einem noch billigeren oder gar kostenlosen Quartier. Schließlich zwang ihn die politische Situation, seine Heimat zu verlassen. Obwohl er selbst Hilfe von anderen erwartete, sie sogar forderte, hat er sich für Kollegen und deren Arbeiten eingesetzt, hat Manuskripte vermittelt, Kontakte hergestellt und den Versuch unternommen, eine Hilfsorganisation für verfolgte Schriftsteller zu gründen. Während andere Autoren in der erzwungenen Situation des Exils Stoffe für lyrische AuBerungen fanden, künstlerisch eindringlich ihr Schicksal in Worte faßten, gelangen Albert Ehrenstein sowohl in Zürich als auch in New York bloß mehr oder weniger nebensächliche bis belanglose Elaborate (eine der wenigen Ausnahmen ist das Gedicht „Wanzen“), Klagen über den Verlust einer Geliebten, Wetterberichte und Feststellungen zur eigenen Befindlichkeit, die poetischen Bilder erscheinen verbraucht, die Sprache bedient sich alltäglicher Wendungen, die Reime folgen einem simplen Schema, wogegen die politischen Gedichte an Walter Mehring erinnern, ohne jedoch dessen sprachliche Prägnanz zu erreichen. ‚Wäre Ehrenstein nicht selbst ein Opfer der Verhältnisse gewesen, müßte man ihm den Vorwurf machen, in vielen, zu vielen Gedichten der Exilzeit von seinem gebrochenen Herzen und den blühenden Bäumen des Tessin geredet und von Grausamkeiten geschwiegen zu haben“, urteilt Jörg Drews. Allerdings stagnierte Ehrensteins dichterische Entwicklung bereits gegen Ende der Dreißigerjahre. Auch in seinem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichtband ‚Mein Lied“, erschienen 1931 im Rowohlt Verlag, finden sich Gedichte, die man bestenfalls archivieren kann. Um ein Beispiel anzuführen, jenes Gedicht, dessen Titel ein Fragezeichen ist: „Tage lang schreibst du nicht, / Tage lang seh ich dich nicht, / Warum rufst du nicht an? / Zigaretten sind dir lieber als ich! / Traurig ist mein Tag, meine Nacht.“ Albert Ehrenstein war ein Frühvollendeter, der nach seinen expressionistischen Anfängen noch einen dichterischen Höhepunkt in den Prosagedichten „Briefe an Gott“ erreichte. Dann war der expressionistische Sturm zu einem Lüftchen geworden. Schwierig zu begreifen ist, daß ein Autor, der als Lektor die Bedeutung von Trakl, Scheerbart, Kafka und Joyce erkannte, seiner eigenen literarischen Produktion dermaßen unkritisch begegnete, indem er für die Sammlung „Mein Lied“ ältere Gedichte überarbeitete, wobei ihr sprachlicher Duktus, ihre Intensität und spontane Kraft verloren gingen. Dennoch: Arno Schmidt bezeichnete Albert Ehrenstein als ,,einen meiner Lehrmeister, denen ich heilsame Rücksichtslosigkeit verdanke und die schneidende Energie des Ausdrucks“. Manfred Chobot Albert Ehrenstein: Gedichte. Werke, Band 4/I und Band 4/II. Herausgegeben von Hanni Mittelmann. Miinchen: Klaus Boer Verlag 1997. 381 bzw. 337 S.; einzeln 6S 1.445,-/DM 198,-; bei Bezug der Werkausgabe 6S 1.317,-/DM 178,- pro Band. Die Göttin und ihr Sozialist Ehefrauen, die von ihrem Leben mit einem Dichter oder Künstler berichten, neigen entweder zur Glorifizierung oder zur Abrechnung. Christiane Grautoff hingegen erinnert sich ohne Groll und Sentimentalitäten an ihre gemeinsamen Jahre mit Ernst Toller, erzählt Geschichten am Rande der Privatsphäre, ohne darum Intimitäten preiszugeben, verschweigt aber dennoch keine Details. Ein Mädchen aus gutem Hause — Vater und Mutter lebten in Paris, waren mit Künstlern befreundet, bis der Erste Weltkrieg sie aus der von ihnen geliebten Stadt vertrieb und sie in Berlin ansäßig wurden — wurde Christiane, als sie aus Angst vor dem Vater einen Diebstahl, den ein Dienstmädchen begangen hatte, auf sich nahm, achtjährig in ein Heim gegeben. Es war eine ganz andere Welt. Selbst die Ehrlichkeit und Anständigkeit war ganz anders als die meiner Familie. Hier gab es keine Höflichkeit, kein Getue, und niemand war leise... wenn man unglücklich war, wurde man ausgelacht und bestraft, damit man endlich einen Grund hatte zu heulen. Die meisten in dem Heim waren arme Waisenkinder; Christiane blieb hier eine Außenseiterin. — Carl Zuckmayer suchte eine Darstellerin für sein Stück „Kakadu-Kakada“, und die Zwölfjährige bekam die Rolle. Weitere Stücke und Rollen folgten, und sie durfte wieder daheim wohnen. Christiane Grautoff wurde Schauspielerin, spielte unter der Regie von Max Reinhardt, drehte einen Film mit dem Regisseur Geza von Bolvary. Sie war fünfzehn, als sie 1932 den 39jährigen Dramatiker Ernst Toller kennenlernte, der ein Stück für sie schreiben sollte. Das Stück wurde zwar nie geschrieben, aber zwischen den beiden entwickelte sich eine Beziehung, 1935 heirateten sie im Londoner Exil. Im Jänner 1933 kehrte Toller von einer Vortragsreise in die Schweiz nicht mehr nach Deutschland zurück. In seiner Abwesenheit waren die Nazis an die Macht gekommen. Christiane folgte ET, wie sie Toller nannte, nach Zürich, später nach London. ‚Ich fühlte mich gut und heimisch in London, daß das Gefühl ‘ich bin Emigrant’ mir gar nicht in den Sinn kam.“ Sie fand Arbeit in einem Fotogeschaft, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie man Filme retuschiert. Sie wird auf das Arbeitsamt zitiert. ,,Sie 65