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Briefe, Rückspiegel Nicht einverstanden bin ich mit der Buchbesprechung von Ursula Prutsch ,,Dem ‘rasenden Reporter’ auf der Spur“. (MdZ Nr.3/1997, S.37) Ich habe Kisch immer besonders gerne gelesen und „Entdeckungen in Mexiko“ kenne ich ziemlich gut. „‚Indiodorf unter dem Davidstern“ entspringt keineswegs ,,Sehnsiichten ... und Identitätsbedürfnissen im Exil“. Das Dorf Venta Prieta existiert, auch die Synagoge. Kisch behauptet auch nicht, daß es Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Azteken gibt, vielmehr spricht Kisch davon, daß es sich bei den im Dorf Ansässigen um Nachkommen der jüdisch-portugiesischen Familie Cabajal handelt und um Nachkommen von Maranen-Familien. In „Historia, tradiciones y leyendas de calles de México“, von dem Historiker Artemio de ValleArizpe zusammengestellt, gibt es eine Anzahl von Sagen und Legenden über in Mexiko lebende Juden, die früher oder später vom Volk entdeckt und der Inquisition übergeben wurden. Die Inquisition war übrigens in Mexiko besonders lange tätig, bis 1816. Interessant an diesen Legenden erscheint mir persönlich, daß sie zeigten, daß wahrscheinlich sehr viele portugiesische und spanische Juden in die Neue Welt geflüchtet sind. Auffallend sind z.B. auch die vielen hebräischen Namen, die man hier findet, wie z.B. Perez und Medina. Paula Bizberg, Mexiko, 20. November 1997 Die Theodor Kramer Gesellschaft, das Österreichische P.E.N.-Zentrum und die Bezirksvertretung der Leopoldstadt beabsichtigen, an dem Haus, in dem Theodor Kramer seinen ersten Wohnsitz in Wien hatte, eine Gedenktafel anzubringen (Termin der Enthüllung steht noch nicht fest). Mein seliger Bruder Fritz war ja ein Bewunderer Theodor Kramers. Ich glaube, seine englischen Übersetzungen Kramers (veröffentlicht in dem Band „Love in London“) waren nicht nur bloße Übersetzungen, sondern Wiedererschaffungen seiner Gedichte. Es ist interessant, daß die erste Adresse Kramers in Wien, 1020, Am Tabor 20-22, mein Geburtshaus ist. Max Brainin, New York, 23. Jänner 1998 In MdZ Nr.4/1997, S. 49, fand ich Cécile Cordons Besprechung des Buches ,,Zum Schutze des deutschen Blutes ...“ von Michael Ley. Ich habe es mir daraufhin gekauft und bin eigentlich über die Besprechung hinaus noch stärker über das betroffen, was M. Ley ausge" graben“ hat. Meines Erachtens sollte eine ganze Abhandlung darüber in MdZ erscheinen. Gottfried Achberger, Friedrichshafen, 2. Februar 1998 Zu Vladimir Vertlibs Aufsatz ,,Nachspiel zum Holocaust“ (MdZ Nr.4/1997, S.46-50) und der Feststellung: ‚‚Bis in die 80er Jahre blieb der Holocaust ein Tabuthema.“(in der Sowjetunion): So generell gesagt sollte das nicht stehen bleiben. Schon 1963 kam die Holocaust-Erfahrung in den Film, auch wenn es eine anglo-sowjetische Koproduktion war. Sergej S. Gerassimow als Direktor der VGIK (Filmakademie) war mit dem Londoner Contemporary-Filmverleih übereingekommen, ein Jugendthema abzufilmen, das unter Chrutschow möglich geworden war: Die Koexistenz. Es galt eine Geschichte dazu zu schreiben, und 1963 traf ich im Auftrag der britischen Firma als Ko-Autor für das Drehbuch in Moskau ein. Die Regie sollte bei Gerassimows Meisterschülerin Renita Griegorjewa und ihrem Mann liegen. Das Projekt wurde von der ,,Sojus Obschi Druschba“ (Liga für Völkerfreundschaft, quasi das Gegenstück zum „British Council“) gefördert; Vizepräsidentin der Liga war Renitas Mutter. Mir wurde das „Tagebuch“ des Auschwitz-Kommandanten Höss auf russisch und englisch vorgelegt. (Über Auflage und Verbreitung kann ich nichts sagen.) Den Studenten des VGIK wurden Bilder von Frauen, die sich vor grinsenden Wehrmachtssoldaten am Rand eines Massengrabes ausziehen mußten, gezeigt — es war klar, daß es sich um jüdische Frauen handelte. Geplant war eine Szene: Besuch einer KZ-Gedenkstätte in Österreich mit den Reaktionen deutscher und sowjetischer Studenten auf das Geschehene. Der Besuch fand tatsächlich statt; die Dokumentarbilder dientem dem Kulissenarchitekten für seine Arbeit, und er fragte mich (einen „Meister aus Deutschland“) nach den Maßen einer Gaskammer. Mir kamen die Tränen, was ihm nicht sonderlich nützlich war. Der Film wurde dann in der Kinokette des Komsomolzen-Verbandes gezeigt, unter dem Titel „Vienski Ljes/Wiener Wald“, allerdings durch die Chaotik des Teams verspätet fertiggestellt und auf die Hälfte gekürzt. Er kam nie nach England. Abramowski, SOVEXPORT-Direktor für Großbritannien, hatte in „Sovjetska Ekran“ (Sowjetfilm) gelesen, der Streifen sei zu pazifistisch, was zu seinem Njet führte. Daß Koexistenz nicht bloß die Sache einer Liebelei zwischen einer Russin (Schannah Procherenka) und einem Deutschen (Helmut Kircher) sein sollte, sondern das Wissen um die Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung einzuschließen hatte, war nicht nur für den Berater Naum Kleemann und mich, sondern für alle Beteiligten eine grundsätzliche Frage. Vielleicht war es eine Ausnahme, aber mein Gewissen gebietet, die Feststellung („Bis in die 80er Jahre blieb der Holocaust ein Tabuthema“) dahingehend respektvoll zu ergänzen. Arno Reinfrank, London, 11. Februar 1998 Als Alfred Kantorowicz 1934/35 in Paris die Deutsche Freiheitsbibliothek aufbaute, war ihm zu Recht der Beifall fast der gesamten zivilisierten Welt sicher. Wenn man nun heute mit großem persönlichen Einsatz und finanziellem Engagement ... versucht, die Verbotenen und Verbrannten nicht auch noch zu Vergessenen werden zu lassen (und so zu retten, was noch zu retten ist), stößt man auf verständnisloses Unbehagen. [...] Daß in meinem ,,Dokumentations- und Forschungsarchiv „10. Mai 1933 — Deutsche Literatur auf dem Scheiterhaufen“ inzwischen weit mehr als 5.000 ausgesuchte Erstausgaben ... dokumentiert werden, nimmt man mehr oder weniger ‘achselzuckend’ zur Kenntnis. Wenn ich dann aber feststelle, daß eine große deutsche Wochenzeitung z.T. ganzseitige Berichte über ein Glücksschwein-Museum in Bad Wimpfen bringt [...], frage ich mich schon manchmal, ob die ganze Schinderei überhaupt einen Sinn hat. Georg P. Salzmann, Gräfelfing bei München, 17. Februar 1998 Eine Ausstellung von Büchern aus Salzmanns Archiv ist vom 6.-30. Mai in der Stadtbibliothek Gotha zu sehen. - Wir denken uns auch immer, daß ein Land wie die BRD eine ganze Reihe von Archiv- und Forschungszentren für Exilkultur vertragen und finanzieren könnte. „Mahnmal und Gedenkstätte für die jüdischen Opfer des Naziregimes in Österreich, 19381945": Ernst Eisenmayer, der schon in MdZ Nr. 1] und 2/1996 (unseres Wissens als der erste, der sein Unbehagen nicht nur hinter vorgehaltener Hand artikulierte) gegen Rachel Whitereads mit dem Siegespreis bedachten Entwurf protestierte, erinnert in einem am 27.1. 1998 in der Tageszeitung ‚Die Presse“ abgedruckten Brief daran, daß dieses Konzept der brutalen Nazibetonarchitektur, besonders der Albert Speers, mehr als zufällig nahe verwandt ist. In einem Radiointerview ... sagte Rachel Whiteread ..., daß sie von diesen Bauten in Berlin sehr beeindruckt war. Und in einem Brief vom 29.1. 1998 an die Stadträtin Gabriele Hecht, Klubvorsitzende des Liberalen Forums im Wiener Gemeinderat, schreibt er: Gut Ding braucht Weile. Die von Anfang an angewandte Überrumpelungstaktik der Kunstzirkusgrößen ist gelinde gesagt überheblich. Bei einem so erschütternd traurigen Thema kann das nur verheerend wirken. Daß man es in Wien, anders als in Berlin, auf eine Diskussion nicht ankommen lassen, sondern die Sache erst einmal durchziehen wollte, wurde verschiedentlich (so z.B. im New Yorker „Aufbau“) angemerkt und von manchen sogar begrüßt. Politisch war der Verzicht auf eine vorhergehende Diskussion schlicht Wahnsinn. (Was man sich sonst dabei gedacht hat, mag ich nicht denken. K.K.) In der Glosse ‚Die Kulturtat des Jahres 1997“ in MdZ Nr.4/1997, S. 7, berichteten wir über die Stornierung des MdZ-Abonnements durch das Österreichische Kulturinstitut in London. Unser Protest wurde auch von Univ.Prof. Dr. Primus-Heinz Kucher (Klagenfurt) und den Präsidenten des P.E.N.-Zentrums deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland Fritz Beer (London) unterstützt. Beer schrieb am 10.1. 1998 an Dr. Emil Brix, den Direktor des Kulturinstitutes, die Stornierung des Abonnements 67