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“Zerrissene Landschaft” Das Antiquariat des Zufalls spielt uns ein Büchlein Hans Leifhelms, des Halbemigranten (der 1947 in Italien starb), in die Hände, „‚Die grüne Steiermark“ ‚zuerst 1938 im katholischen Styria-Verlag in Graz erschienen, aus dem dann bald die nationalsozialistisch „‚geführte“ Steirische Verlagsanstalt wurde. In dieser ist 1942 die uns vorliegende zweite Auflage herausgekommen, mit einer Einleitung, „Die Alpen- und Donaugaue“ überschrieben, wie damals die offizielle Sprachregelung lautete. Die Bezeichnung „‚Ostmark“ für Österreich sollte ab 1942 nur mehr in historischer Rücksicht gebraucht werden. Im Text ist dennoch weiter vom „‚unverwechselbaren Charakter“ der „Ostmark“ die Rede: „‚Einheitlich ist das Ganze vom unnennbaren Schicksalswillen der Erde hier als Teil im All, als einzigartige Melodie in der unendlichen Natursymphonie gesetzt, von der Erdgeschichte besonders geformt und beseelt.‘“ Der Satzzusammenhang ist nicht ganz klar; was sich aufdrängt, ist ein Gefühl des Erhabenen (angesichts des unendlichen Fortgangs des Naturgeschehens), in das die Empfindung eines Schön-Begrenzien, Idyllischen („einzigartige Melodie“) eingeschlossen ist. So sind denn auch die „Städte der Ostmark ... alle schön gewachsen ... dem Land eingefügt — nicht ihm auferlegt.“ Das Erhabene unbezähmbarer Bergriesen und das Schön-Begrenzte umhegter Kulturen machen, auf gut Touristendeutsch gesagt, den besonderen Reiz der Landschaft aus. Der „Schicksalswille der Erde“ ist nationalsozialistische Zutat zur Dissoziation des Erhabenen und Idyllischen, die nicht von den Nationalsozialisten erfunden wurde. Man kann vielleicht sagen, daß die NS-Ideologie überall dort, wo die klassische deutsche Philosophie des 18. und 19. Jahrhundert einen Widerspruch konstatierte, ein ungelöstes Problem einbekannte, mit einer schicksalhaften Fügung zur Stelle war, die alle Risse im Weltgebäude kittet. Nach der Niederwerfung der NS-Herrschaft war solcher Kitt weiter vonnöten, galt es doch die Landschaft über das Geschehene wachsen und wuchern zu lassen und ein durchaus neues Empfinden abzuwehren, das Berthold Viertel, 1948 aus den USA zurückgekehrt, in dem Gedicht „‚Schöngegend“ aussprach: Wo saß der Mord, gedungen als ein Knecht, Auf welchem Baumstrunk der geliebten Wälder? Blutspur der Opfer führte auch durch diese Felder. Geschlossnen Auges standen diese Hügel da. Schneeberge übten sich im großen Schweigen. Und dennoch wissen wir, was hier geschah, Und grauenhafte Schreie hören wir im Frühlingsreigen. Das Gedicht ist 1950 am Grundlsee in der Steiermark entstanden. Nicht eben weit vom Grundlsee, wo Elisabeth Neumann, Viertels Frau, ihr Haus zurückerhalten hatte, lag das KZ Ebensee, ein Nebenlager des KZ Mauthausen. In Viertels Gedicht wird die geliebte Landschaft zweideutig, doppelbödig. Die sinnliche Gegenwart der Berge und Blumenmatten, wie massiv sie auch wirken, ist dünnfasrig geworden, durchscheinend für das Grauen, das in dieser „„Schöngegend“ verborgen ist oder verborgen sein kann. Das eben wieder bezogene „Judenhaus“ am See wurde während des Krieges zur Unterbringung ausländischer Zwangsarbeiter genutzt. Was ihnen angetan wurde, verschweigt die Umgebung. Dieses immer neu ansetzende Verschweigen — ob als simple Abwehr, darüber zu reden; ob als Betonung je eigenen Leids; ob als Forderung, sich den Aufgaben der Zukunft zuzuwenden — konstituiert nun die Perspektive mit, in der der poetische Blick auf die Landschaft fallt. Dieser poetische Blick ist durch das veränderte geschichtliche Verhältnis affiziert, nicht durch das überzeitliche Herrschaftsverhältnis, das vordem im Übergang zwischen erhabener Wildnis und idyllischer Kulturlandschaft erahnt wurde. Und während das Individuum weiter sein Behagen und seine Ruhe in der Landschaft sucht, prallt es zurück vor dem sich ausbreitenden Schweigen, zerreißt die Geborgenheit, die es eben zu fühlen begann. Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser Titelblatt: Ausschnitt aus Charlotte Lichtblau, Tusche laviert und Kohle, 1993 D INHALT Alois Hotschnig: Unter Tag. Schwaz S.3 Tuvia Rübner: Vier Ansichtskarten (Gedichte) S.4 Helena Tomanovd-Weisovd: Maminka 5.6 Helle Mittler: Einiges über meine Mutter Hedwig Katscher (1898 - 1988) 5.7 Sophie Haber: Wir schreiben jetzt das Jahr 1998! S.10 Sabine Gruber: Kobarid, Caporetto oder Karfreit? S.11 JoZe Boschitz: Wien- Sarajevo-Tuzlaundzurück S.13 Vladimir Vertlib: „A Lejbn“ S.16 Alfredo Bauer: Ustascha-Häuptling und Kriegsverbrecher lebte 51 Jahre unbehelligt in Argentinien 5.20 Eva Kovac: Eine Erinnerung an die Neujahrsnacht 1944 5.21 Wolfgang Georg Fischer: Schöne Aussicht oder Dialog mit Jeremy §.22 Hermann Hakel: Selbstporträt und kleines Vermächtnis S. 25 Robert Geist: Rudolf Geist (1898 - 1957) 5.27 Siglinde Bolbecher: Rückkehr ist keine Profession! Aus Anlaß von Herbert Kuhners ,,Minki die Nazi Katze...“ 5.30 Erwin Chvojka: „Nach Jahren kam, verstört, ich wieder her...“ Die späte Rückkehr Theodor Kramers 8.33 Theodor Kramer: Zur Stützung des Gedächmisses 5.35 Vladimir Vertlib: Die ,,Wehrmachtsausstellung“ in Salzburg S.37 Karl Pfeifer: ,,Nazi-Téne“ im FPÖ-Jahrbuch S.39 Stefan Keller: Wozu hat sie uns auf die Schule geschickt? Über Gerda Rodel-Neuwirth 5.42 Helmut Kreuzer: Zu Hans Sochaczewer und seinem Roman „Sonntag und Montag“ (1927) 5.44 Gedichte von Robert Schindel (S.5), Hedwig Katscher (5.8), Konstantin Kaiser (S.15), Rudolf Geist (5.27), Arthur West (S.29) Zeichnungen von Joze Boschitz (S.13) und Arkadij Ostromuchow (S.17-19) Berichte, Notizen: Franjo Tudjman (S.21), Innsbrukker Tafelstreit (K.K., 5.32), Gedenktafel für Theodor Kramer (5.36), Hermann Levin Goldschmidt gestorben (E. Adunka, 5.43), Ehrung und Ablehnung in einem: Hermann Sinsheimer in trüber Gesellschaft (A. Reinfrank, S.45), Erinnerung an Guido Glück (D. Müller, 5.46), Österreichische Erörterungen im Londoner Spiro-Institut (A. Reinfrank, $.47), Zehn Jahre „Hermann Hakel Gesellschaft“ (E. Kolovic, S.48), Egon Erwin Kisch-Ausstellung (S.57), Robert Kahn - ein Blatt der Erinnerung (S.59) Rezensionen über Bücher von Ingrid Strobl (R. Göllner, 5.49), Marianne Kröger (R. Kaufhold, 5.50), Otto Binder (S.B., 5.50), Jura Soyfer (J. Koch, 5.51), Peter Schwarz (M. Patka, S.52), Manfred Altner (H. Schwarz, 5.52), Karl-Markus Gauß (E. Hackl, 5.53), J.M. Ritchie (M.G. Hall, S.54), Ingrid Wiltmann (H. Blitzer, S.55), Siegfried J. Pucher (M. Chobot, S.55), Hermann Hakel (H. Schreiber, S.56), Josef N. Rudel (E.A., S.56), Stephan Steiner (E.A., S.56), Egon Erwin Kisch (M. Patka, S.57) Buchzugänge S.57, Briefe S.59, Impressum S.60