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Ansichtskarte: Zürich fiir Y. L. Ziirich reibt sich den Riicken am Ziirichberg. Zürich liebt nicht das Jucken unterm Fell. Ordnungsliebend, emsig ist Zürich, nicht unbedingt freundlich und warmherzig, aber gediegen, mehr oder weniger, und wer ist nicht auf Gewinn bedacht? Nicht alles was glänzt ist Gold. Zürich glänzt nicht, ist nüchtern, liebt nicht herumzurätseln, es liebt Fakten: Das Frauenmünster und Zum Storchen. Noch immer Gäste, nicht immer Dichter. Theater an der Winkelwiese. Das Haus, wo Büchner starb und Lenin wohnte. Das Haus, wo Goethe beim Lavater war. Der Triemli. In der Ey 37. Der Uetliberg. Wenn man alt wird, ist das bloße Nennen schon genug. Ein Wortein Leben. Auch fällt es schwer, Ordnung zu halten in dieser ordentlichen Stadt, wenn sie Erinnerung ist. Erinnerung schlüpft aus, verkriecht sich, springt hervor, ist schwer im Zaum zu halten. In der Erinnerung verstummt der Tod, kommt nicht zu Wort. Und doch: auch Zürich hat sich verändert, wir veränderten uns mehr. Zürich ist letzten Endes Zürich, ist nicht erschöpft, blickt, glaube ich, nicht fragend zurück. Der See verläßt Zürich nicht trotz all der Flügel an seinem Rücken an diesem sonnigen Tag. Fast vergaß ich: in Zürich waren wir noch alle da saßen beim Abendbrot an einem Tisch, waren beisammen. Tuvia Rübner, geboren 1924 in Bratislava, besuchte bis 1939 deutsche Schulen. Mit einer zionistischen Jugendgruppe gelangte er 1941 auf dem Land- und Seeweg über Rumänien, die Türkei, Syrien nach Palästina. Seine Eltern und seine Schwe: ster wurden im KZ Auschwitz ermordet. Schafhirt im Kibbuz Merchavia, heute Universitätslehrer für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Haifa. Rübner veröffentlichte eine Reihe von Gedichtbänden und essayistischer und wissenschaftlicher Arbeiten in hebräischer Sprache. Übersetzer aus dem Deutschen ins Hebräische und umgekehrt (u.a. Samuel Joseph Agnons großen nachgelassenen Roman ‚„Schira“ ) Madeleine und Lars Gustafsson übertrugen seine Gedichte ins Schwedische. Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtkunst, Darmstadt. Rübner lebt bis heute im Kibbuz Merchavia; im Juni 1998 war er Gast des Literarischen Quartiers Alte Schmiede in Wien. Werke in deutschen Übersetzungen: Wüstenginster (Gedichte, Zürich 1990); Granatapfel (Frühe Gedichte, Aachen 1995),; Rauchvögel (Gedichte, für Herbst 1998 in Vorbereitung beim Rimbaud- Verlag in Aachen). Die ,,Ansichtskarten“-Gedichte hat Riibner selbst wieder ins Deutsche übersetzt. Robert Schindel In den Ebenen Für Sabine Gruber 1 Ich bin so zugeneigt den Ebenen Die Blicke, entnommen den Futteralen Der Seele, ich lese sie wieder. Was die Ebenen masert, wieder Bin ich in der Maserung, denn Heute müssen die Deserteure In den Ebenen sich verbergen Die Fluchtständler da und In mir dort und zwischen den Schlucken Der zweiten Melange, sie sind Alle da, schütter und grau und Sie masern die Ödnisse, zugeneigt Den Atemstößen der Wörtersträuche Verliebt ins Angegraste, sie Hassen die Ebenen, sie Leben noch gegen den Takt Allmächtiger Wunderwelten Sie ichen mich, ich mag Ihre Blicke wieder lesen, mich Zuneigen der ebenen Zeit Sie wiederkäuen im Zerbeißen Es kommt ein Sturm. Wir Neigen ihm zu, hangen ihm an. 2 Die Fluchtständigen, zu Den Beleidigten flüchten sie, den Gedemütigten, den Vergewaltigten, In die Maserungen der Ebenen Unerkennbar für die Rechner Und Brocker. Es kommt ein Sturm. Wir Neigen ihm zu, hangen ihm an. Über die Ebenen geht er Faltet sie, faltet sie wieder. 3 „Die Mühen der Ebenen liegen“ Also „hinter uns“. Ten