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Helena Tomanovä-Weisovä, in Prag geboren, ist im Milieu der deutschen Minderheit aufgewachsen und hat schon als Kind deutschsprachige Prager Schriftsteller kennengelernt. Nach einer Ausbildung an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst arbeitete sie als Schauspielerin u.a. am „Neuen Deutschen Theater“. Ab Herbst 1937 in Wien, spielte im ,,Modernen Theater“. Ein Engagement am „Theater in der Josefstadt“ machte der Einmarsch der Nazis zunichte. Im Protektorat Böhmen und Mähren wurde beim ersten Standrecht ihr Mann, der Regisseur Otto Waldmann, hingerichtet. Nach dem Krieg war sie als Helena Tomanovä tschechische Bühnen- und Filmschauspielerin. 1951 Heirat mit Mikulas Weis, einem ehemaligen Offizier der Westarmee, der als politisch Verfolgter jahrelang in einem Uranbergwerk zwangsverpflichtet war. In dieser Zeit hatte Helena Tomanovä Auftrittsverbot in Prag und spielte bei einem Wandertheater. Von 1959 bis 1979 arbeitete sie als Redakteurin der deutschsprachigen Auslandssendungen von Radio Prag, gestaltete literarische und kulturelle Beiträge, dann als Übersetzerin. Nach 1989 entstanden ihre literarischen Feuilletons zu Prager deutschen Schriftstellern wie Max Brod, Hermann Grab, Egon Erwin Kisch u.a., in denen sie fern jeder Sentimentalität die zerrissene Kontinuität der tschechischen, deutschen, jüdischen Kultur poetisch dokumentiert. Aus dem zweisprachigen Band ,, Setkdni v Praze/Begegnungen in Prag“ (Prag: Argo 1996) las Helena Tomanovä-Weisovä, in wohlklingender Intonation und Sprache, die man heute fast nicht mehr zu hören bekommt, am 8. Juni 1998 im Literaturhaus Wien, auf Einladung der Theodor Kramer Gesellschaft und der Österreichischen Exilbibliothek. Im Gespräch mit Erich Hackl erzählte sie über ihr Leben, ihre Arbeit unter den wechselnden politischen Bedingungen und von der kulturellen Atmosphäre, die Verluste, Beschränkungen und doch immer neue Perspektiven einschließt. „Setkäni v Praze/Begegnungen in Prag“ ist über die TKG um OS 80,-/DM 11,50,-/SFr 10,- + Porto zu beziehen. Helle Mittler Einiges über meine Mutter Hedwig Katscher (1898 - 1988) Hedwig Clara Walter, wie meine Mutter mit Mädchennamen hieß, war eines von vier Kindern; ihren weniger als zwei Jahre Jüngeren Zwillingsbrüdern stand sie näher als der um vier Jahre älteren Schwester. Es scheint, daß Hedwig ein glückliches Kind gewesen ist. Sie vergnügte sich mit ihren Brüdern bei lebensechten Spielen, manchmal allzu lebensecht, wenn Hedwig als Rotkäppchen von ihrem Bruder, dem Wolf, blutig gebissen wurde; sie zankte sich mit ihrer Schwester um ein Stück Schokolade; weinte in der Sommerfrische um ihr Lieblingshuhn, das vor der Abreise zum Essen aufgetragen wurde. Sie war immer eine hervorragende Schülerin, ganz besonders in Deutsch und Mathematik. Sie war stolz auf ihre Aufrichtigkeit und konnte nie ein Vergehen verheimlichen. Hatte sie zufällig ein Porzellanteller zerschlagen: Sie gestand es ein. Sie war eine der ersten weiblichen Studentinnen der Wiener Universität. Sie entschied sich für das Studium der Physik, weil sie sich davon eine Antwort auf die großen Fragen des Universums versprach. Doch obwohl sie das Studium mit Auszeichnung — sie promovierte 1921 summa cum laude — abschloß, war ihr klar, daß sie nicht die richtige Wahl getroffen hatte. Nie hat sie als Physikerin gearbeitet, wohl aber ein paar Jahre als Archivleiterin eines bibliographischen Instituts. Noch während der späteren Schuljahre und in der Universitätszeit begann sie Naturgedichte zu schreiben, von denen einige in Österreichischen und deutschen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden. Der Erste Weltkrieg und der ihm folgende wirtschaftliche Niedergang hatten verheerende Folgen für die Familie Walter. Hedwigs Bruder Karl litt nach dem, was er an der Front erlebt hatte, unter chronischer Depression. Als seine erste Liebesbeziehung mit einer Frau unglücklich endete, nahm er sich selbst das Leben. Das schreckliche Ereignis verstörte alle in der Familie. Die Familie, der es vor dem Krieg gut gegangen war, kam in der Depression fast ganz herunter, und Hedwigs Vater, der bis dahin ein zuversichtlicher, optimistischer Ehegatte und Hausvater gewesen war, wurde zu einem gedrückten, gebrochenen Mann. Der überlebende Zwillingsbruder Georg studierte an der Universität Chemie. Er hatte einen Freud und Studienkollegen, dem ein schlimmes Unglück passierte: Ein Reagenzglas explodierte, und Hunderte Splitter bohrten sich in sein Gesicht und auch in seine beiden Augen. Hedwig besuchte den jungen Mann im Spital. Später konnte er auf einem Auge wieder sehen. Ernst Katscher, der junge Mann, von dem die Rede war, wurde für über 50 Jahre ihr Ehemann. In Wien gab es kaum eine Arbeitsmöglichkeit auf dem Gebiet der chemischen Forschung. Nachdem Ernst Katscher es als Vertreter für Staubsauger und als Erfinder eines Haarföns versucht hatte, nahm er das Angebot, in einem chemischen Laboratorium in Moskau zu arbeiten, mit Freude an. 1930 folgte ihm seine Frau nach. Moskau erwies sich als trüb, angespannt, niederdrückend. Nadeshda Mandelstam hat in „Generationen ohne Tränen“ die Atmosphäre des Mißtrauens und der V erdächtigungen beschrieben. Keiner wußte, wem ernoch trauen konnte. Hedwi gihrerseits beschrieb das Überhandnehmen qualvoller Mühe und des Mangels an Lebensmitteln. Ausländische Spezialisten waren in man7