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cher Hinsicht privilegiert; dennoch waren sie Gefangene der gleichen Zustände. Oft waren die Eier, die sie nach Hause brachte, schon schwarz; Photographien aus dieser Zeit zeigen sie angestrengt, allein und niedergeschlagen in dem schmalen Wohnraum sitzend. Beide, sie und ihr Manne, wurden ernstlich krank — zur Wiederherstellung wurden sie in den Kaukasus geschickt, von den Rußland-Jahren die einzige Zeit, von der meine Mutter stets gerne sprach, so schön war es. In Moskau doch wurde ihr einziges Kind geboren. Sie verließen Moskau im Juli 1934. Einige Monate wohnten sie bei Hedwigs Mutter in Wien-Hietzing. Ernst war wieder auf Arbeitssuche. Dann gingen sie nach Sizilien und lebten dort bis zum Februar 1939. Wie viele andere, Juden und Nichtjuden, von Mussolini aus Italien vertrieben, fanden sie kurze Zeit in Athen Zuflucht. Es gelang ihnen, im Juli 1939 nach England zu kommen. Vorher noch mußte Ernst erfahren, daß sich seine Mutter in Wien umgebracht hatte. Vergeblich bemühten sie sich von England aus um die Rettung von Hedwigs Mutter und darum, daß Ernsts Schwester und deren Mann die Notwendigkeit, aus Wien wegzugehen, einsahen, ehe es zu spät war. Hedwigs Mutter kam zuerst nach Theresienstadt und von dort nach Treblinka. (Hedwig erfuhr zu ihren Lebzeiten nicht mehr den Todesort ihrer Mutter.) In England stand Hedwig nur am Rand der feministischen und politischen Bewegungen; einmal nahm sie an einer Massenkundgebung der Frauen in London teil. Aber ihre Gaben lagen für zwei Jahrzehnte brach. Sie fand keinen ihr passenden Zugang. Einmal bewohnte die Familie nicht eine Wohnung, sondern ein eigenes Haus, das Hedwig meist übertrieben sauber hielt. Später erklärte sie ihr Verhalten aus dem Schuldgefühl, nicht die Dienstbotenjahre ihrer Schwester Idamarie Walter geteilt zu haben, die nur dazu von Österreich nach England einreisen durfte. Hedwig schrieb einige wenige Gedichte auf Englisch. Sie zeigte sie ihrer Tochter, die damals englische Literatur studierte, aber diese konnte nichts Bewundernswertes an ihnen finden: denn wiewohl Hedwig flüssig Englisch sprach, fehlte ihr doch jenes intuitive Verständnis und jene Meisterschaft in der englischen Sprache, die der Dichter braucht und die sie in ihrer Muttersprache ganz offenbar besaß. Hedwig war eine ausgezeichnete Menschenkennerin und kam mit den Leuten gut aus. Die Freunde ihrer Tochter vertrauten ihr ihre geheimen Sorgen und Schwierigkeiten an und fanden bei ihr Verständnis und Rat. Sie war immer leidenschaftlich berührt und voller Mitgefühl. Einmal wollte ihre Tochter sich an einem Rezitationswettbewerb beteiligen und las ihrer Mutter aus dem Buch Exodus die Geschichte von Abraham, der sich aufmacht, seinen Sohn Isaak zu opfern, vor. Die Mutter wirkte bedenklich. Als aber die Tochter in sie drang, ihr zu sagen, was falsch war, hätte sie beinahe geweint. Nun verstand die Tochter. Als ihre Tochter 1953 zu studieren begann, kehrten Hedwig und Ernst Katscher nach Wien zurück. Ernst war eingeladen worden, die Leitung der Forschungsabteilung eines chemischen Betriebes zu übernehmen, den sein engster Freund aufgebaut hatte. Es beudeutete zwar, daß Ernsts Gehalt nur mehr halb so viel als in England betrug, aber das Ehepaar, im Ungemach geübt, wollte ganz neu anfangen. Trotz allem konnte sich Hedwig nur schwer mit der Rückkehr nach Wien mit all den schmerzlichen Erinnerungen ihrer jüdischen Familie abfinden. Aber schweren Herzens ging sie. Sie beschlossen, sich in einem Außenbezirk von Wien niederzulassen, in Sievering, an den Hängen des Kahlenbergs. Beide liebten die Landschaft, die Hügel und die Buchenwälder. Sie lebten sehr einfach; tatsächlich hatten sie in ihrem ersten Heim nach der Rückkehr kein fließendes Wasser, mußten das Wasser von einem Brunnen holen und sich in einer Schüssel waschen. Später fanden sie eine nette Zweizimmerwohnung in Nußdorf. Während ihr Mann mit seinem Freund im Laboratorium arbeitete, bemühte sich Hedwig erstmals seit Jahrzehnten wieder ernsthaft um eine Beschäftigung. Sie begann als Kunst- und Theaterkritikerin für das „Tagebuch“, eine linksgerichtete Wiener Zeitschrift zu arbeiten. Unter verschiedenen Pseudonymen, am häufigsten Vera Wander (aber auch Hella Kastner, Wanda Hoff und Hedwig Krabner) schrieb sie iiber Fernand Léger, Klee, Schiele, Picasso, tiber Shakespeare, Anouilh, Garcfa Lorca, T.S. Eliot... 8 Hedwig Katscher Späte Gedichte So vieles drängt noch, es zu sagen, daß es die Zunge sprengt, die Worte taumeln. Ich weiß nicht, meinen sie das wiesengrüne Spiel des Kindseins, die frühen Dämmerträume des Verlangens, die Sonnenglorie, Blumenwunder, Schneemagie, den schwarzen Wald nacktester Wirklichkeit. Befragen sie das weite Weltall nach seinem Ursprung, seinen Ewigkeiten; nach meinem Losgerissensein vom Lebensatem, meinen Verwandlungen in Staub und Licht... Von der Sprache Sprache, Lebensausdruck, schwingt sich in den Weltraum, steigt zu steilsten Höhen, stürzt in tiefsten Abgrund. Zauberstab des Dichters, Undeutbares zu ertasten. Die unsere Schiffe lenken, die am Steuer sitzen, lernten die Spreche des Windes, der sich dreht und umschlägt. So wird ,,Frieden“ zum Feindwort, Krieg zur ,,Heimatliebe", töten zum ersten Gebot. Das Ziel der Irrfahrt nennen sie „Die Freiheit“. Du, Zeder, Vielbesungene, hoch übers Dach gewachsen, strecktest die Arme, näher Jahr um Jahr in blinden, in verstummten Zeiten, in diesem Jahr lag deine Hand frischknospend, ergreifend nah auf meinem Fenstersims. Ich griff nach ihr — u TEN