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Sabine Gruber Kobarid, Caporetto oder Karfreit? Ein Reisebericht 80 Jahre nach der Schlacht von Caporetto Dies ist der Isonzo und hier habe ich mich so recht erkannt eine willfährige Faser des Alls Giuseppe Ungaretti Ich komme von der Gori$ka Brda, dem slowenischen Hügelland nahe der italienischen Grenze, fahre über Plave und Tolmin weiter nach Kobarid. Ich war noch nie in dieser Gegend, versuche mich an die Geschichte-Vorlesungen zu erinnern, an die Zeit des Ersten Weltkrieges. Noch fließt der Isonzo ruhig, das Tal ist weit, ich wechsle die Flußseite, fahre durch kleine Ortschaften, sehe Bauern, die das Heu einbringen, begegne Fahrradfahrern und einigen wenigen Autos mit österreichischem oder italienischem Kennzeichen, die auf dem Dach ihre Kanus mitführen. Ich fahre durchs Tal und habe nur Augen für den Fluß, sein grünblaues, klares Wasser auf den weißen Kieselsteinen. Ich suche ihn zwischen den Bäumen und dem Gebüsch, wenn die Straße die Flußnähe verläßt. Ich bin hierher gekommen, um die Soca zu sehen, einen der schönsten Flüsse Europas, der im Italienischen das Geschlecht wechselt. ‚‚Der strömende Isonzo / glättete mich / wie einen seiner Steine“, schreibt Ungaretti. Ich suche eine Stelle, wo man baden kann. Auf der gegenüberliegenden Seite haben zwei Fischer ihre Angeln ausgeworfen. Die Marmorata ist eine Forellenart, die nirgendwo sonst beheimatet ist. Während der Isonzo-Schlachten hat man sie mit Dynamit herausgesprengt und beinahe ausgerottet. Nach den stillen Urlaubstagen in den slowenischen Hügeln erscheint Kobarid nahezu belebt. Die Italiener besuchen den slowenischen Grenzort vor allem, um günstig Benzin zu tanken oder Fleisch zu kaufen. Als ich einen von ihnen frage, wo man gut ißt, zeigt er auf die Restauracjia am Hauptplatz. Ich müsse die Flußkrebse bestellen, sie seien eine Delikatesse. Es fällt der Name Caporetto; und jetzt erinnere ich mich. „Kennen Sie Caporetto?“ fragt der Major in Hemingways Roman ,,In einem anderen Land“, und die Hauptfigur Frederic Henry antwortet: ,,Ja. In meiner Erinnerung war es eine kleine weiße Stadt in einem Tal mit einem Campanile. Es war ein sauberes kleines Städtchen und hatte einen schönen Brunnen auf dem Marktplatz.“ Hemingway hat die 12. Isonzo-Schlacht, die als Schlacht bei Caporetto/Karfreit (24. Oktober — 9. November 1917) in die Geschichtsbücher und in seinen Roman eingegangen ist, nicht selbst erlebt. Als freiwilliger Rotkreuzhelfer kam er im Juni 1918, acht Monate nach der desaströsen Niederlage der Italiener, in Italien an. Die Aufgabe des Achtzehnjährigen war es, die Fiat-Lastwägen in die Isonzo-Berge zu fahren, Verwundete aufzusammeln und zu Verteilerpunkten zu transportieren, wo sie ärztlich behandelt wurden. Anfang 1918 kehrte er nach Oak Park zurück, nachdem er durch einen österreichischen Minenwerfer am rechten Bein schwer verletzt worden war. Er erklärte später, daß die Beschreibung der Verwundung Frederic Henrys eine exakte Darstellung dessen sei, was er selbst erlebt habe. Kobarid, erfahre ich, ist ein Ort mit 1.400 Einwohnern in der Provinz Nova Gorica. Nicht nur ich habe Caporetto in Italien vermutet. Das italienische Heer besetzte den Ort bereits im Mai 1915, am Beginn der Isonzo-Schlachten; vorher war es Teil der k. undk. Monarchie. Von 1915 bis 1917 und von 1918 bis 1943 gehörte es zu Italien. 1943 bis 1945 war es Partisanen-Republik, nachher zwei Jahre lang amerikanische Zone, bis es 1947 an Jugoslawien fiel. Seit 1991 ist es slowenisch, was es immer war. Denn obschon Kobarid in einem Jahrhundert sechs Mal seine Staatszugehörigkeit gewechselt hat, blieb seine Bevölkerung stets slowenisch. Der Marktplatz ist noch am späten Nachmittag voll von Autos und Motorrädern. Viele, die vom Süden kommen, biegen hier Richtung Bovec ab, um über den Pledil-Paß nach Tarvis und weiter nach Österreich zu fahren. In der Spätantike war die Pledil-Straße einer der Zugänge von Aquileia nach Noricum. Im Ort Log pod Mangartom, wenige Kilometer vor dem Paß, soll sich laut historischen Quellen eine römische Raststation für Reisende und Pferdegespanne befunden haben. Über diese wichtige Route fand noch in der k. und k. Monarchie der Export von Schiffbau- und Brennholz nach Süden statt. Das gesamte Isonzo-Gebiet war aufgrund seiner Grenzlage jahrhundertelang politisch relevant: die Görzer Grafen stritten hier mit Venedig um das Erbe des Patriarchenstaates von Aquileia,; Kaiser Maximilian I. führte mit der Lagunenstadt den Friulanischen Krieg und konnte das Gebiet seinen Ländern angliedern. Kobarid als Kreuzungspunkt der Straße durch das IsonzoTal mit der Straße in das Natisone-Tal, die nach Cividale führt, war schon immer strategisch wichtig. Nachdem ich in der empfohlenen Restauracjia zwar keine Flußkrebse aber eine Forelle verspeist und meine Rechnung in italienischer Währung beglichen habe, fällt mir an der Rezeption ein Faltblatt mit der Aufschrift ‚‚Kobariski Muzej“ in die Hände. Auf dem Titelblatt ist die Silhouette der Isonzo-Berge erkennbar, doch die Idylle der Photographie wird von einem roten Klecks zerstört. „Prva Svetovna Vojna“ steht darunter; übersetzt: Der Erste Weltkrieg. Anstatt am Isonzo entlangzuspazieren, gehe ich die Gregord@va Ulica entlang, jene Straße, die nach Simon Gregordc benannt ist, einem der großen slowenischen Dichter, der in Vrno bei Krn unweit von Kobarid geboren ist. Auf dem Weg ins Museum blättere ich bereits im Prospekt und fürchte, auch hier — wie an vielen anderen Orten im Friaul — eine Art Gedenkstätte vorzufinden, die den Krieg verherrlicht: die Photos, die neben Innen- und Außenansichten des Museums eine Luftaufnahme von Kobarid, Stellungen auf dem Monte Nero oder eine nachgebaute Kaverne zeigen, vermitteln nichts von der Brutalität des Krieges. Auch das weiße Fettgedruckte auf schwarzem Grund wirbt mit Superlativen: Die 12. Isonzo-Schlacht sei die imposanteste Bergschlacht in der Geschichte der Menschheit gewesen, der erste Blitzkrieg in der Kriegsgeschichte, der erfolgreichste Durchbruch während des Ersten Weltkrieges, der bedeutsamste militärische Zusammenstoß auf slowenischem Boden. An der Kasse sagt man mir, daß das Museum nur mehr 10 Minuten geöffnet sei. Ich kaufe ein paar Karten und beschließe, am Wochenende wieder zu kommen. Auf dem Ladentisch liegt Hemingways ,,A Farewell to Arms“ in Originalsprache. Drei Tage später verlasse ich meinen Urlaubsort in der slowenischen Toskana. Auf dem Weg nach Kobarid bleibe ich dieses Mal in Kanal stehen und schaue den Männern des Dorfes zu, wie sie im Beisein des slowenischen Fernsehens von der Brücke in den Isonzo springen. Der Trubel auf dem alten Platz und der türkisgrüne Fluß rücken die Industriebetriebe am Ortsrand und 11