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Ich habe während der drei Seminartage von der Stadt recht wenig sehen können. Um so mehr habe ich über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen während des Krieges und über ihre gegenwärtige Not erfahren. Mit einer schmerzlichen Offenheit und Vollständigkeit wurde von den Teinehmern das ganze Ausmaß der Krieges und seiner Folgen für das Sozial- und Schulwesen bloßgelegt: — schwere Traumatisierung der Eltern und Kinder durch Kriegserlebnisse — soziales und psychisches Elend durch gewaltsame Trennung der Ehepartner/Elternteile, durch ihre Vertreibung oder ihren Tod — hohe Arbeitslosigkeit, Drogensucht (bei Kindern manchmal schon in der Grundschule) — mangelhafte bis keine medizinische und psychologische Betreuung - desolate Schulgebäude, überfüllte Klassen, mangelde Fachliteratur und Fachkräfte — zerstörte Kommunikationsstrukturen im Sozialwesen — zerstörte ökonomische Strukturen und ein politisch zerissenes Land Angesichts der erschütternden und entmutigenden Situationsberichte kann ich nur mit Hochachtung über die Haltung der Teilnehmer sprechen, die nach dieser Bestandsaufnahme diverse Möglichkeiten berieten, auf schulischer, regionaler, kantonaler und staatlicher Ebene durch organisierte Kooperation zwischen Eltern und Lehrern den vielfältigen Problemen zu begegnen. Für den Herbst hat die OSCE ein weiteres Seminar geplant, bei dem 14 Erfahrungen ausgewertet und eine nationale Eltern/Lehrer-Organisation beraten werden sollen. In den Seminarpausen und an den Abenden komme ich den Menschen auch persönlich näher. In den Gesprächen macht sich auch Resignation und ein Gefühl, von Europa eigentlich schon vergessen worden zu sein, breit. Es ist ein ungewöhliches Seminar mit empfindsamen und lebensbejahenden Menschen, die am Abend mit uns ein Glas Wein trinken und dazu ihre traurigen Liebeslieder singen. Eine Zusammenkunft mit Frauen und Männern, die noch gestern Schreckliches erlebt haben, sich dessen im Heute bewußt werden und eine bessere Zukunft wollen. Personen, die ich schätzen gelernt habe und die ich vielleicht nie mehr sehen werde. Wir sind reisefertig und verlassen Tuzla. Mein Kopf lehnt am gepolsterten Rahmen des Autofensters, meine Augen wandern müde über die vorbeifliehende Land- § schaft. An einer Straßenkreuzung steht ein Panzer. Ein farbiger # junger Mann sitzt am Rand der Luke und winkt uns nach. Am Straßenrand hockt eine alte Frau und läßt ihre Ziege grasen. Ein junger Mann und eine junge Frau lehnen am Kühler eines Mercedes. Auf einem überdachten Tisch vor ihnen liegen geräucherte Speckflanken, die sie offensichtlich zum Verkauf anbieten. Auf der Straße ist wenig Verkehr, sodaß wir zügig vorankommen. Sarajevo Das Cafe Museum in Wien, und ich schreibe. Vor zwei Wochen bin ich in Bosnien gewesen. Die Flugzeit Sarajevo 1998 - Das Innere der kleinen Moschee, die als Gedenkstätte für die zerstörten Moscheen Bosniens dient.