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getrunken hatte, langsam immer melancholischer und immer schweigsamer. Schließlich begann er, sich zu verabschieden, allen die Hand zu reichen und erklärte, er werde leider wieder abkommandiert, zurück nach Zentralrußland, wo er in den letzten drei Jahren stationiert gewesen sei. Major Berkin stand vor der Tür zum Vorraum, drehte sich noch einmal um, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, über den Tisch, auf dem die halbleere Wodkaflasche und das teure Porzellangeschirr standen, den schweren Luster aus Bronze, der noch aus dem vorigen Jahrhundert stammte, die Ölgemälde, allesamt Darstellungen idyllischer Phantasielandschaften, die im Zwielicht der beginnenden Dämmerung noch Alfredo Bauer In Argentinien ist wieder einmal ein faschistischer Massenmörder gestellt worden. Diesmal handelt es sich um einen Kroaten, den Kommandanten des berüchtigten Konzentrationslagers Jasenovac: Dinko Sakic. Eigentlich wäre es Sache der Behörden, solche Subjekte dingfest zu machen. Doch ist das bisher noch nie geschehen. Wenn man überhaupt einen erwischt, wie seinerzeit Eichmann oder in den letzten Jahren Schwammberger und Priebke, bzw. Spuren von ihnen wie im Falle Mengele, dann waren es durchwegs ausländische oder private Stellen, die das bewerkstelligten. Diesmal gelang es den Rechercheuren des Fernseh-Kanals Nr. 13, ,, Telenoche“. Was einem zunächst auffällt, ist, wie wenig ein solcher Mann sich jetzt bemüht, seine Identität und seinerzeitige Tätigkeit zu verbergen. Er muß sich sehr sicher, sehr gut beschützt fühlen. Ungeniert erzählt er dem Reporter, daß er 1947 als Mönch verkleidet ins Land kam. Das sei vom Vatikan in Zusammenarbeit mit General Perön bewirkt worden. Er habe auch seither immer gute Beziehungen zu staatlichen Stellen unterhalten, und jetzt säßen etliche seiner Freunde im Parlament. Man glaubt ihm das durchaus; kennt man doch das Schicksal seines Chefs, des Ustascha-Fiihrers Ante Pavelié, der viele Jahre lang unter offiziellem Schutz in einem Vorort von Buenos Aires lebte. All das wird — ganz mit Recht! — General Perön angelastet. Aber Perön ist jetzt 24 Jahre tot, und er war auch seit 1947 nicht immer an der Macht; also müssen wohl noch andere Leute ihre schützende Hand über die deutschen, kroatischen und andern Kriegsverbrecher im Lande gehalten haben. Sakié leugnet auch nicht, Kommandant von Jasenovac gewesen zu sein. Von den 600.000 Opfern hingegen behauptet er, nichts zu wissen. Nur „einige wenige Leute‘ seien in dem ihm unterstellten Lager gestorben, ‚aus natürlichen Ursachen“. Er selbst hingegen habe ‚‚viele gerettet“. Ja, wovor denn? Wo es seiner Behauptung nach keine Verfolgungen und Tötungen gab? Die Aussagen der weniger Überlebenden belegen, was in Jasenovac wirklich geschah. Von den 600.000 Opfern waren die allermeisten Serben. 25.000 waren Juden. Der Rest: Romas, Homosexuelle und wohl auch Kroaten, die politische Gegner Pavelies waren. Es erhebt sich jetzt die Frage, wo und von wem Sakid der Prozeß gemacht werden soll. Serbien bzw. Rest-Jugoslawien hat bereits gefordert, in dem Gericht vertreten zu sein. Nicht ganz verständlich ist allerdings die Haltung jüdischer Stellen. Der Präsident der jüdischen Gemeinde von Buenos A ires Dr. Ruben 20 phantastischer wirkten und beinahe etwas Magisches ausstrahlen, die Bücherwand mit den Prachtbänden in polnischer, russischer, hebräischer und deutscher Sprache, den kunstvoll gewebten Teppich, den Großmutter einst aus Warschau bestellt hatte... Dann seufzte er, knöpfte den obersten Knopf seiner Jacke wieder zu, setzte seine Militärmütze auf und sagte mit Wehmut in der Stimme, wobei er plötzlich Jiddisch zu sprechen begann: ‚‚Och, Jidn, hobt ihr gehobt a Lejbn! Och, wos ihr hobt gehobt fir a Lejbn!“ Und Ben erinnert sich, daß seine Mutter ganz bleich wurde und sein Vater den Blick senkte und Großmutter Großvaters Hand ergriff. Beraja, der israelische Botschafter Dr. Aviran und das Simon Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem sind der Meinung, Sakié solle an Kroatien ausgeliefert und dort vor Gericht gestellt werden. Mit | Recht sagte der bekannte argentinische Journalist Jorge Lanta, daß er dort viel eher eine Medaille als eine Strafe erhalten würde. Sakic selber weiß sehr gut, warum auch er den Wunsch äußerte „in seinem Vaterland vor Gericht gestellt zu werden“. Im Fernsehen erzählte Sakie, daß er immer in der kroatischen Botschaft aus- und eingegangen sei. Als Präsident Franjo Tudjman zu einem offiziellen Staatsbesuch in Argentinien weilte, unterhielt er sich vor aller Augen freundschaftlich mit Sakié. Warum aber war Tudjman hier? Nun, um Waffen fiir seinen Krieg gegen Serbien zu erlangen. Er bekam sie auch, obwohl Waffenlieferungen ins ehemalige Jugoslawien international sanktioniert waren. Die argentinische Regierung leugnete die Waffenlieferungen steif und fest. Nur Blumen habe Tudjman in Argentinien gekauft. Blumen! Es konnten jedoch schlüssige Beweise erbracht werden, daß es sich um Waffen handelte. Verteidigungsminister Oscar Camiliön, schwer kompromittiert, mußte zurücktreten. Die kroatische Botschafterin in Buenos Aires, Frau Neda Rosandié Sarié, versicherte, nicht zu wissen, wo Sakié sich augenblicklich befinde. Daß sie seinen Aufenthaltsort kannte, bevor der Skandal aufflog, leugnet sie keineswegs. Was sollte Saki€ unter solchen Umständen in Kroatien zu fürchten haben? W urde nicht unter Tudjman in Zagreb der Platz der Opfer des Faschismus unbenannt? Haben nicht die Straßen, welche die Namen von Nazi-Opfern und Widerstandskämpfern trugen, jetzt die von Ustascha-Häuptlingen erhalten? Sakid darf jedenfalls nur vor ein internationales Gericht gestellt werden, das völlige Garantie für Unparteilichkeit bietet! Alfredo Bauer, geboren 1924 in Wien, seit 1939 in Buenos Aires, Arzt, Übersetzer, Schriftsteller; von ihm erschienen in deutscher Sprache zuletzt die Bücher ,, Hexenprozef in Tucumdn und andere Chroniken aus der Neuen Welt“ (herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Erich Hackl, Wien: Döcker Verlag 1996) und ,,Geliebteste Tochter. Marie Louise von Habsburg. Tochter Kaiser Franz I., Gattin Napoleons, Regentin von Parma und Piacenza. Ein Lebensroman“ (Wien: Edition Atelier 1997). Alfredo Bauer arbeitet derzeit an einem Benito Mussolini-Roman. — Zu Franjo Tudjman vergleiche den Kasten auf der folgenden Seite. Dinko Sakié soll dieser Tage von Argentinien an Kroatien ausgeliefert werden.