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Päpste und Kaiser, Präsidenten und Generale der Weißen, Veziere, Scheinkaiser, gekaufte Paschas, dicke und dünne — achtet sie nicht! Doch stolzer als sie, Wachsen euere Zungen nicht bis ins Ohr der Feinde. Eigene Dichter, Lehrer den Kleinen, und Denker im Großen, Eigene Zeichner und Maler und Musiker, Wahrheitfinder und Künstler, Eigene Schulen und gesprochene Bücher werden euch sichern In allen Stunden der kleinen und großen Gefahr, Sie werden euch über die blitzende Ohnmacht der Zerstörung heben, Euch versammeln mit weißen und gelben und braunen und roten Negern — Den Gleichen, Geschwistern, Genossen, Genossinnen, ihren Ländern, Und ein unermeßlicher Kreis von Geistern wird blühen! [uJ Durchströmet die Landesgebäude der weißen Herren — Der weißen Herren der schwarzen Maschinen und Foltern und Schiffe: Mit euerer Kraft und euerem Geiste durchströmt ihre Formen! Ziehet andere Linien, ziehet euere Linien in die spielende Welt! Sprechet den Anfang, saget die Rätsel, singet das Wissen! [...] Nicht wie Europas und Amerikas weiße Gefahr: Es dient bis zu reißender Obrigkeit das gefährliche Gottwort der Weißen; Ihr dienen die Predigten, Sprüche, Gesetze — Auch der Spruch zum umrauchten, mißbrauchten Heiland der Weißen. War er nicht ein armer, ein weißer, ein guter Neger Und lebte er nicht überall und hundertmillionenmal? Nicht wie die gedankenverbergende Sprache der Weißen Darf das Gebet der Schwarzen ans sinkende Licht, an das Dunkel Ohne das große Wachstum der Erde glauben. Licht schafft Schwarze, schwarze Leiber — Dunkelheit schafft Weiße, weiße Leiber! Der Schwarzen redlicher Geist darf nicht suchen im Werden Nach dem ersten Tag der Schöpfung dieser sterngleichen Erde; Er muß suchen die Ewigkeit: die da heißt Ohne Anfang, ohne Ende! Er muß suchen, zu schauen dieses Ohne-A nfang und Ohne-Ende! Alles ist offenbar! Es hebt sich aus Kleinem das Große, Das Wunder wird immer sich bauen und bahnen, vom Fluge des Kleinsten zu Welten, Jubelnd dem Bauwerk, das wächst wie der Grashalm, der Baum. Wir bauen Figuren, Figuren baut so auch die große Hand aller Welten Aus winzigen kleinen Gewächsen, aus Samen und Wirbelbewegung, Aus der Mitte, aus kräftigen Äuglein, befehlend den Tanz um sich. [...] Gott und Geist sind da, wo Du bist, schwarzer Bruder, Schwarze Schwester und schwarzer Bruder von Gott! Was die Weißen nicht wissen, weißt du: Die Erde wird nicht älter — sie wird jünger mit jedem Tag Und neuer und freier und naht sich dem Ganzen des Jüngsten! [a=] Die Rothosen, Gelbhosen, Griinhosen, Schwarzhosen, Die Weißmäntel, Blaumäntel, Goldmäntel, Braunmäntel, Die Kapuzen, die Uniformen und Kutten — Soldaten, Missionare, Politiker, Pensionäre, Sultane, Kaufherren, Karawanser, Elfenbeinschnüffler, Schnapshändler, Die Schatzdiebe, Jäger, Kolonisten, Sackfüller, Richter, Befehler, Heilige und Teufel -: Alle von drüben, von wo es nur kalt kommt, sind Beutegeier In Afrika, dem Raubland der Zeiten, dem Garten der Erde! [...] 28° faschistischen Antifaschisten und der gegenüber Juden und Antisemiten gleichermaßen „Toleranten“, die Gesellschaft der ‚‚Jein“-sager, wo ein | klares „‚Ja“ oder ein klares ,, Nein“ vonnöten wären — diese Gesellschaft war nicht die seine. Hätte die Menschheit doch mehr idealistische „Weltverbesserer‘‘ und weniger egoistische Weltvernutzer! 1 Max Blaeulich benennt Geists Streben mit den Worten, ,,die Welt mu8 sublimiert werden, aufgehoben und verleichtert im Gleichnis“. Aber Geist wollte die Welt keineswegs zum Gleichnis sublimieren, sondern konkret verändern, aus dem großen Irrenhaus (Krieg, Folter, Verbrechen, Hunger und Prasserei) einen menschenwürdigen Lebensraum für alle machen, bzw. zu dessen Gestaltung einen Beitrag leisten — als Denker und als Schriftsteller, der er war und nicht bloß, wie Blaeulich süffisant formuliert, „sein wollte‘. (Bäckergehilfe, wie Maxim Gorki oder Alexander Granach, war er übrigens nur sehr kurze Zeit, bevor er Schriftsteller wurde.) Dem Ziel einer Neugestaltung des Lebens war alles verpflichtet, was Rudolf Geist schrieb. Ob man die gerechtere Welt, die er erstrebte, „Urkommunismus“ nennt oder anders, ist zweitrangig. Auch heutzutage, da der Kapitalismus angeblich endgültig seine Überlegenheit erwiesen hat, wäre eine Weltund Wirtschaftsordnung, die Elemente des Urkommunismus übernimmt, zu wünschen: für das Überleben der Milliarde Hungernder und Verhungernder und für den Fortbestand des gefährdeten Globus, der geschändeten Natur. Als Anwalt der Entrechteten und Sprachlosen, als Anbeter des Lebens, | der Natur wie Walt Whitman war Rudolf Geist durchaus auf der Höhe seiner Zeit oder ihr sogar voraus: Sein Blick auf die Eingeborenen der Neuen Welt (‚Friedhof der Schmetterlinge“), sein Aufruf an die Schwarzen (,, Wandert Ihr Völker der Neger!“ ) waren inden 1920er und 1930er Jahren keine Selbstverständlichkeit. Der Afrika-Hymnus, nach Otto Basil und anderen „eine Dichtung von europäischem Format“, ist ® vom heiligen Pathos der Liebe zu wahrem Menschsein durchglüht und nimmt den Aufbruch der Völker der Dritten Welt aus nicht selbstverschuldeter Unmündigkeit und aus durch die Weißen aufgezwungenem Elend vorweg. Daß Geist, wie Max Blaeulich schreibt, „literarisch keine neuen Wege“ | ging, ist vielleicht nur dann richtig, wenn man das Neue in der Literatur mit formalen Innovationen gleichsetzt. Gibt es für Dichter eine KritikerVorschrift, daß sie nur möglichst wenige und möglichst ungereimte Gedichte schreiben sollen? Blaeulich schreibt über Geists Band ‚‚AlphaWort“ (1946): „377 Seiten gereimte Gedichte aus zwanzig Jahren ... waren angesichts der Tristesse des Wiederaufbaus schwer zu meistern.“ Nun, trotz aller Diirftigkeit war die Zeit des Wiederaufbaus für viele, gerade aber für Rudolf Geist, von Optimismus und Aufbruchstimmung erfüllt (ein Beleg dafür sind Geists ,,Schriften fiir die Idee der Menschheit im Sinne der UNO“). Immerhin war Geist nur knapp der Hinrichtungsmaschinerie der Nazis entronnen, und das Ende der Hölle auf Erden - die Befreiung Wiens durch die Rote Armee — wurde von der Mehrheit der Menschen als Erlösung empfunden. Gewiß war Rudolf Geist einer, der viel schrieb, aber nicht im Sinne einer berechnenden Oberflichlichkeit. Die Gedanken und Gefiihle eines „vom Weltsinn Trunkenen, eines Besessenen“ (O. Basil) drängten aus ihm heraus, zum dichterischen Ausdruck, zum lesenden Gegenüber. Gewiß ist die Mehrzahl seiner Gedichte nicht „erste Wahl“. Rudolf Geist feilte nicht monatelang an einem Gedicht, schrieb nicht dutzende Male um. Aber in diesem Meer von Versen finden sich Perlen. Mein Vater war nur im profanen Leben bescheiden (einmal lehnte er sogar ein Millionenerbe ab); in seiner Kunst war er es nicht: Er glaubte an seine Sendung, seine herausragende Stellung, seine außerordentliche Begabung. Mag er darin einer Selbstüberschätzung erlegen sein, ist sein Stolz auf seine Fähigkeiten dennoch mehr als berechtigt gewesen: Trotz mangelhafter Schulbildung war er überaus gebildet, fand Zugang zu den Wissenschaften und bewies wiederholt seinen politischen Weitblick. Was er wußte und konnte, hatte er sich unter ungünstigen äußeren Voraussetzungen selbst erarbeit, als Autodidakt. Ich glaube, Rudolf Geist verdient nicht nur als „Person ... unseren Respekt“ (Blaeulich), sondern auch mit seinem Werk. Ihm war die dichterische Aussage wichtiger als der finanzielle Erfolg.