In einem Empfehlungsschreiben an die Eh¬
renzeichen-Kanzlei der Gemeinde Wien für
einen aus Wien vertriebenen Schauspieler
und Regisseur, derin den USA in Film, Fem¬
sehen und als Produzent berühmt wurde, hei¬
Bt es: „Das besondere an seiner Person ist,
daß er, obwohl aus politischen Gründen 1938
endgültig aus Österreich emigriert, seine in¬
nige Verbundenheit zu seineralten Heimat in
keinerPhase seines Lebens und Wirkens ver¬
leugnet oder aufgegeben hat ...“ Zum Ab¬
schluß der Empfehlung wird die ungeheure
Promotion-Tätigkeit für österreichisches
Theater und Kultur in den USA hervorgeho¬
ben, die ,,aus dem ungebrochenen Zugehö¬
rigkeitsgefühl zu Wien, dem er so viel ver¬
dankt und für das er immer eingetreten ist“,
schöpft. „Mit der Auszeichnung würde sich
damit auch sicher eine uneingestandene
Wunde schließen, die dadurch entstanden ist,
daß politische Kräfte ihn von seiner Wir¬
kungsstätte so oft vertrieben haben.“
Der Verfasser, Direktor eines Wiener Thea¬
ters und selbst Exilant in den USA während
der Nazizeit, kennt die Sprachregelung nur
zu gut: Warum soll ein Schauspieler, der seit
44 Jahren seinen Lebensmittelpunkt in den
USA gefunden hat und dort seiner Karriere
nachgegangen ist, überhaupt eine Auszeich¬
nung der Stadt Wien erhalten? Denn immer¬
hin handelt es sich nicht um irgendeine Per¬
sönlichkeit von intemationalem Ansehen mit
Wien-Verbundenheit, sondem um einen
Emigranten, der nur sproradisch, wenn es
sich durch ein Engagement ergab, nach Wien
zurückkehrt. Außerdem ist ein aus politi¬
schen Gründen Emignierter wohl eher ein
Fall füreine Ehrung durch eine Widerstands¬
vereinigung. Der Hinweis auf die innige Ver¬
bundenheit mit der Heimat soll alle Befürch¬
tungen zerstreuen, daß es sich etwa um einen
unangenehmen Österreich-Kritiker handeln
könnte - nein, vielmehr sei derzu ‚„‚Ehrende“
von Dankbarkeit gegenüber seiner Heimat¬
stadt erfüllt. Der Schreiber kann von keiner
sozialen, politischen und kulturellen Ver¬
pflichtung im Falle des Exils ausgehen. Ver¬
treibung, Aberkennung des Heimatrechtes,
Antisemitismus werden dem „Einverständ¬
nisdruck“ gemäß anonymen politischen
Kräften zugeordnet. Ein gutes Argument fin¬
det sich hingegen im nachhaltigen Einsatz für
Wiener Kunst und Kultur — ein Auslands¬
österreicher als Aktivposten.
Seinem Prosaband „‚Minki die Nazi Katze und
die menschliche Seite“ stellt Herbert Kuhner
als Kompaß ein erweitertes chinesisches
Sprichwort voran, Orientierungsmaßstab für
die Zusammenstöße in einem ,,verdrehten
Herbert Kuhner
Foto: Nina Jakl, 1998.
Herbert Kuhner kann sich ärgern; das Ärgern
ist eine in Österreich gepflegte psychische Nor¬
malerscheinung. Neben dem vertrauensvollen
Umgang mit dem Tod gehören Grant, Mißmut
und repressive Toleranzgebärden zu allgemein
gepflegten Umgangsformen. Der Einheimi¬
schen Ärger nährt sich oft aus haarsträubenden
Vergleichen und paart sich mit dem Gefühl der
persönlichen Zurückgesetzheit. Neid auf dies
und das, dahinter nur zu oft ein gekränkter
Narziß. Wir kennen auch den großen Öster¬
reich-Ärger: eine oft mehr emphatisch-morali¬
sche als sachlich-konkrete Österreich-Kritik.
Ganz anders verhält es sich mit dem Ärger von
Harry Kuhner, der aus der Empörung wächst:
Was er erlebt, sieht und aufzeichnet, sind natio¬
nalsozialistische Kontinuitäten, auch in Berei¬
chen, wo der gewohnheitsmäßige und gelernte
Bewohner dieses Landes kein Sensorium ent¬
wickelt hat. Er trifft auf Schurken und Mafiosi,
mit den entsprechenden Methoden, stößt ver¬
stört auf einen Bekenntniszwang, der Dazuge¬
hörige von Unzugehörigen (entweder Österrei¬
cher oder Amerikaner; englisch oder deutsch;
Jude oder Katholik) scheidet. Und es ist nahe¬
liegend, daß Herbert Kuhner immer wieder auf
die Scheidung in Opfer und Täter zu sprechen
kommt, die das historische Geschehen polaw
risiert und vom Resultat herfaßt. Die Akteum
sind schon längst vom Tatort abgezogen, ih
Geschichte vereinnahmt und im „Bekennt
nis“ bewältigt. Wer sich mit der Vergangens
heit nicht abfindet, ja sogar die Gegenwart al
Schliissel zu dieser Vergangenheit anal
siert, gerät zwischen die Linien. So erzählt
Herbert Kuhner uns ,,die Geschichte von eis
nem der auszog Unrecht zu haben“ (Kon
stantin Kaiser) und wie es dazu gekommen
ist. „Raufbold wollte ich nie sein. Als Opfeg!
eines Raufbolds war es mir lieber, aktiv a ;
passiv zu handeln. Man ist vielleicht härteg
geschlagen worden, aber man konnte wenig
stens den Peiniger gut treffen.“ Eine Buben«
erfahrung, an die sich derRemigrant erinnern:
„Ich habe immerdie Emigrantenrolle gehaßt.
Ich haßte es Opfer zu sein. Ich haßte erzwun¬
gene Flucht, den Raub von Eigentum und den
Mord an Mitgliedem meiner Familie, ohne ©
etwas dagegen tun zu können.“
Was als falsch und unehrlich erfahren wird, tritt
als Ärger, aber auch als Zorn im Moment der
Machtlosigkeit auf. Weder Recht noch Genug¬
tuung stehen in Aussicht. Allein Ironie und
Komik im Umgang mit den eigenen Gefühlen |
lassen die reale Kluft und die jeweiligen Ver¬
deckungen entschlüsseln und der Verbitterung
Einhalt gebieten.
Mit den Erfahrungen in der Kindheit fängt es
an: 1938 öffnet der Dreijährige die Eingangs¬
tür der Wohnung seiner Großmutter in der
Rueppgasse, Leopoldstadt, wird weggeris¬
sen, in Sicherheit gebracht, während SA¬
Männer erfolgreich die Wohnung durchsu¬
chen und das Haushaltsgeld der 83jährigen
Großmutter in der Küchenkredenz finden.
Mit vier Jahren Flucht mit den Eltern nach
GroBbniannien. Mitte 1940 mit einem Affi¬
davit von Felix Frankfurter (Richter am Su¬
preme Court, Washington D.C.) Weiteremi¬
gration der Familie nach New York, ab 1941
nach Princeton (New Jersey), wo er seine
ersten Schuljahre im englischsprachigen
Umfeld verbringt. Die neue Sprache arbeitet |
sich durch den Geschmack der Speisen, die |
von der Mutter auf „Österreichisch“ zuberei¬
tet werden, und assoziiert zu den Photos aus
Wien englische Worte. 1945 zieht die Fami¬
lie nach Locust Valley (Long Island), dann
nach Trenton (New Jersey). Herbert Kuhner, |
katholisch aufgewachsen, erfährt mit zwölf
Jahren von seinem Judentum. Vielleicht eine
grundlegende Erfahrung der falschen Alter¬
nativen, worin der Not und dem Zweck ent¬
sprochen wurde. 1954 zerbricht die Lebens¬
gemeinschaft der Eltem, nicht ohne „Verbit¬
terung der Gefühle“. Die Flucht, Scheidung
der Eltem („Blaue Kringel“) sind der per¬
sönliche Hintergrund, der die Intimität der
Privatsphäre zugleich auch sprengt. {
Von 1954 bis 1958 studierte Herbert Kuhneran |
der Columbia University (New York) Literatu¬
re and Languages (Deutsch und Französisch)
und arbeitete bis 1962 als Angestellter der
Atombehörde der Vereinten Nationen in Wien
und in New York. Beginnt mit der Arbeit an
dem Roman ,,Nixe“.