OCR
vee Der geographische Raum und die Zeit, in die man hineingeboren wird, haben immer schon ein Davor, das man bewuBt oder unbewuBt aufnimmt und das von einem Besitz ergreift. Berthold Viertel spricht von einer Topographie der Heimat: Orte der Vergangenheit und der Suche nach dem bestimmbaren Ursprung, nach der Herkunft, der beschwörenden Suche nach Einheit. Ein schizophrener Seelenzustand: „Heimat ist, wo er zuerst — schon als Kind — gelogen hat. Heimat ist, wo ihm die Lüge- oder sagen wir nochmals: die Illusion — mit der Muttermilch eingeflößt wurde.“ (Berthold Viertel: Kindheit eines Cherub. Wien 1991, S.269). Im Begriff der Heimat wird die Treue beschworen, während der Faden des äußeren und inneren Zusammenhanges verloren scheint. Jeder liebgewonnen Platz, jedes erinnerbare Glücksgefühl wird beim Vertriebenen von einer ebenso starken negativen Erfahrung besetzt. Dieser Heimatbegriff geht über den kulturgeschichtlichen Heimatbegriff hinaus, der einmal als Lebensverhängnis, Rückständigkeit und Enge erscheint, ein andermal als kleine, heile Welt, in der das Leben noch überschaubar ist im Unterschied zu einem abstrakten, großen Getriebe. Remigration ist keine profession — sondern Ausdruck der Spannung von Flucht und Riickkehr. Eine Spannung, die zur Existentiale, zu einem Lebensgrund wird und den Rest des Lebens begleitet. Folgen wir Harry Kuhner, als er noch nicht 30jährig 1963 nach Österreich zurückkehrte: „Als ich in New York lebte, kam ich mir entwurzelt vor. Wieder in Wien, wußte ich erst, daß ich wirklich entwurzelt war. (Der Ausschluß. Wien 1988, S.5) . Die Riickkehr stellt die Frage nach der Identität: allerdings, wer ohnehin eine hat, will davon nichts wissen. Für den Remigranten zerfällt die Identitätsfrage in eine Außen- und eine Innenperspektive und das Leben kristallisiert sich um den Rest von dem was bleibt. Kuhner spricht von einem Stepptanz mit einem amerikanischen Schuh und einem Schuh aus der Alten Welt. Eine liebevolle Verbundenheit mit der Sprache und Kultur (der Kindheit) - wenn auch oder gerade weil die literarische Sprache das Englische ist. Produktiv geworden in der Übersetzertätigkeit und in der Herausgeberschaft von zweisprachigen Anthologien (Wortweben/Webs of Words. Österreichische P.E.N.Lyriker/Austrian P.E.N. Poets. Wien: Verlag der Apfel 1991. 247 S.; Waren die Wände zwischen uns aus Glas/If the Walls Between Us Were Made of Glass. Jüdische Lyrik aus Österreich/Austrian Jewish Poetry. Wien: Verlag der Apfel 1992. 217 S.: Fallen nun die Sterne/Will the Stars Fall. Lyrik/Poetry. Krems: Österreichisches Literaturforum 1995. 86 S.) Souverän in der Auswahl der SchriftstellerInnen, mutig und voll Entdeckerfreude, hat Herbert Kuhner österreichische Lyrik zusammengestellt, mit Beiträgen von: Else Keren, Doron Rabinovici, Willy Verkauf-Verlon, Stella Rotenberg, Tamar Radzyner, Meir M. Faerber, Wolfgang Georg Fischer, Robert Schindel u.v.a Rücksichtslos setzt er sich über den üblichen literarischen Kanon des Landes hinweg und versammelt Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die zu sozialen und jüdischen Fragen Stellung nehmen, unabhängig davon, ob sie heute schreiben oder zu jenen gehören, die ihrer Lebenszeit und Wirkungsmöglichkeit beraubt wurden. Dem geistigen Klima in Österreich und den Kulturschaffenden hat die Auseinandersetzung mit jenen, die ganz oder teilweise aus dem Exil zurückgekehrt sind, oft viele Jahre erst nach 1945, wie Erich Fried, Herbert Kuhner, Fred Wander, Willy Verkauf, Elisabeth Freundlich u.a. sehr geholfen. Allerdings wurde die Frage von den mit Vertreibung und Exil befaßten Forschern und Forscherinnen zunächst anders gestellt: , Warum bist du nicht zurlickgekommen?“ Die Fragestellung zeigt, daß man nichts von Vertreibung, nichts von der Geschichte des Exils verstanden hat. Vielleicht hatte man nicht einmal die gesetzlichen Grundlagen der II. Republik zur Kenntnis genommen: Unverständnis gegenüber den „‚äußerlichen“ Bestimmungen der „Nicht-Wiedergutmachung“, der Nicht-Anerkennung als politisch und rassisch verfolgter Mensch, die nun einmal sehr entscheidend sind. Fünf Prozent der etwa 130.000 bis 150.000 Flüchtlinge sind nach 1945 zurückgekehrt. Die Probleme der Exilierung sind bis heute nicht zu einem Ende gekommmen; für die große Mehrheit galt es den IntegrationsprozeB in den Gastländern weiterzuführen. Jene aber, wie Herbert Kuhner, die zurück kehrten, waren vor die Alternative der bedingungslosen Anpassung gestellt oder mußten sich die Frage gefallen lassen: Warum bist Du zurückgekehrt? Kritik an faschistischen Kontinuitäten außerhalb des abgezirkelten rechten politischen Lagers sind zu unterlassen, um nicht als Ewiggestriger zu gelten. Die Aufgeklärtheit im modernen Österreich hat ein Verständnis für die Emotionen entwickelt, die der Faschismus in den Menschen hervorrufen kann und so verhält man sich nicht zimperlich, um einen Weg zur Bändigung der Gewalt zu finden. Dagegen scheint Kuhners Gegenwartsbilanz brüskierend, aus Verletzungen herrührend, die mit dieser Gegenwart nichts gemein haben. In jedem Zurückkehrten wuchert zunächst der Glaube an die schlichte Anständigkeit, die über die Gleichgültigkeit obsiegt als menschliche Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft. Zweifel daran, wie sie Broch schon 1946 formulierte, waren jedoch angebracht: ,... kaum einer ist wahrhaft erschrocken; die Inhumanität war ihnen kein Schreck [...], erst die Lebensmittelkarten, die Kohlennot, die Besatzung wurde ihnen einer.“ (Hermann Broch in einem Brief an Volkmar Zühlsdorff, 24.12 1946. Zitiert nach: Eine schwierige Heimkehr. Österreichische Literatur im Exil 1938-1945. Hg. von Johann Holzner, Sigurd Paul Schleichl, Wolfgang Wiesmiiller. Innsbruck 1991, 70S.) Willy Verkauf, 1933 im Alter von 16 Jähren mit dem Bruder und den Eltern nach Palästina emigriert und 1946 nach Wien zurückgekehrt, Siglinde Bolbecher. Foto: N. Jakl, 1998. Im Jüdischen Museum (Wien) wurde am 21. April 1998, in einer gemeinsamen Veranstaltung der Theodor Kramer Gesellschaft und des Österreichischen P.E.N.-Clubs Herbert Kuhners Prosaband ‚‚Minki die Nazi Katze und die. menschliche Seite“ vorgestellt. Zu exemplarischen Problemen eines literarischen Remigranten sprachen Wolfgang G. Fischer und Siglinde Bolbecher. Lesung von Ottwald John und Herbert Kuhner. Das Buch, mit einem Nachwort von Konstantin Kaiser, ist im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft erschienen und kann über die Redaktion der MdZ bestellt werden. Ebenfalls neu erschienen ist: Herbert Kuhner: Liebe zu Österreich / Love of Austria. Lyrik/Poetry. (Englisch/Deutsch) Herausgeber/Editor: K. Kaiser. Wien: Verlag Der Apfel 1998. hieltes nurein paar Jahre in Wien, verließ er das Land, kehrte abermals zurück und mußte wieder feststellen, daß sich wenig geändert hat: Verständnis den „Ehemaligen“ gegenüber, Etikettierung von österreichfeindlichen Deutschnationalen als ‚nationale Kreise“; Gründung von sogenannten „Befriedungsausschüssen“ mit ehemals prominenten Naziführern (initiiert von Bundeskanzler Alfons Gorbach in der Steiermark). Beim Anhören von Ausspriichen ,,wie iiberlebende Juden, Kommunisten, Sozialisten sind dem Hitler von der Schaufel gesprungen“ oder „Hitler hat den Fehler gemacht, daß er gegen die Juden war, als ob alles andere in Ordnung gewesen wäre“ hatte er das Bedürfnis wegzuhören, des Nicht-wahrhaben-Wollens. „Dies belastete mich lange wie ein Versäumnis, eine Unterlassung, sogar Feigheit um der Ruhe willen.“ (Willy Verkauf-Veron: Heimkehreiprobleme in Palästina und Israel. 31