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Am nächsten Tag rief mich Frau Solderer noch einmal an und erklärte, daß sie Kramer nach seiner Rückkehr aus dem Spital nicht mehr aufnehmen wolle. Sie werde das Zimmer räumen und seine Sachen irgendwo verstauen, biete mir aber an, sie zu übernehmen. Es war Samstag, eine Verbindung zum Ministerium nicht möglich und Dr. Brix bereits auf Osterurlaub. Soerklärte ich mich zur Übernahme bereit und holte gemeinsam mit meinem Vater Kramers Habseligkeiten, von der Kleidung und Wäsche bis zu den Typoskripten und den halbverbrauchten Bleistiften reichend, ab. Am darauffolgenden Tag machte ich eine umfangreiche, vielseitige Aufstellung davon. Auf Kramers Schreibtisch aber war halbausgefüllt das Formular, mit dem die Zuweisung der Wohnung in der Gellertgasse 21, 1. Stiege, 1. Stock, Tür 6, beantragt werden sollte, gelegen. Nach dem ersten Schock, hervorgerufen durch den Abschiedsbrief Guttenbrunners, hatte er diesen zweiten nicht mehr ertragen. Am 31. März besuchte ich Kramer in Spital. Er war in einem Zweibettzimmer untergebracht, hatte die erste Nacht jedoch auf einem Notbett auf dem Spitalsgang zugebracht. Die Ärzte baten mich um Intervention, denn Kramer weigerte sich, Angaben zu seiner Person zu machen. Er erklärte mir diese Reaktion als Protest gegen die menschenunwürdige Behandlung, die er bisher von den Krankenschwestern erhalten habe: so sei unter anderem der Griff zur Notglocke bewußt außerhalb der Reichweite des Halbgelähmten angebracht worden. Schließlich erklärte er sich zu einer Kooperation bereit. Bei einem zweiten Besuch am 2. April schien sich sein Zustand gebessert zu haben. Erschütternd war der Versuch des Halbgelähmten, seinen massigen Körper im Bett aufzurichten und seinen Arm um mich zu legen. Durch Vermittlung des inzwischen verständigten Dr. Brix war eine Verlegung Kramers in die Krankenanstalt „‚Maria-Theresien-Schlössl“ geplant, da erreichte mich am Vormittag des 3. April unerwartet die Nachricht, Kramer sei an einer Thrombose am Bein nach 4 h früh gestorben. So schien sich seine Ahnung, die er im Gedicht „Vom Allein-Sein“ ausgesprochen hatte: „er ist, um vier Uhr früh, in seiner Pein, /erist, wenn ihn der Tod befällt, allein.“ erfüllt zu haben. Ich hatte die Möglichkeit, Kramers Gesicht im Totenkeller des Spitals noch einmal zu sehen: es war ergreifend jung und schön. Auf meine Anregung ließ der P.E.N.- Clubeine Totenmaske anfertigen; sie ist aus dessen Besitz verschwunden. Da im Todesjahr Kramers das jüdische Pessachfest sich unmittelbar an das christliche Osterfest anschloß, war eine Beerdigung erst am 14. April möglich. Ihr wohnten knapp 30 Menschen bei. Anmerkungen 1 Irm Sulzbacher: Der Briefwechsel zwischen den Dichtern Theodor Kramer und Michael Guttenbrunner (1951-1958). Phil. Diss. Wien 1984 2 Nachlaß: Kalender 4 und Kalender 5 3 Fritz Brassloff:,,Ein Augenzeuge berichtet über Theodor Kramers England-Periode und seine Rückkehr nach Wien“ In: MdZ Jg. 2 (1985), Nr. 2, S. 4-8. 4 Erwin Chvojka: „Es weht der Wind so scharf ums Doktorhaus.“ In: Weinviertel. Hg. von Senta Ziegler. St. Pölten 1980. 5 Nachlaß: Adreßbuch 3. Es enthält die Adressen von: BADNER, Dr. Heinz; BASIL, Otto; BRASSLOFF, Dr. Fritz; BRIX, Dr.; BRUNMAYR, Dr.; CHVOJKA, Erwin; CZERNIN, Alexandra; CZOKOR [!], Franz Theodor, DIKKINS, Jane; FELMAYER, Rudolf; FITZBAUER, Erich} FREMDENPOLIZEILICHES BÜRO; FRISCH, Dr. Bruno; FURCHE (W ieland SCHMIED): GOLDSCHMIDT, Dr. Hans; GUTTENBRUNNER, Michael; HERZOG, Wilhelm; HOFMANN, Martha; KRAMER, Inge Rosa; KRAMER, Richard; KRUNTORAD, Paul; MAGISTRATSABTEILUNG 9 (Dr. MITRINGER); MOLDOVAN, Kurt; MUSCHIK, Johann; OSTERREICHISCHE BLATTER: PALLIN, Dr. Maria; PENCLUB (Frau Dr. HANEL); PETROWSKY-MITTERER; PFADFINDERBUND; POSIV AL, Josef; RAVAG Radio Wien (Dr. RÖTTINGER, Dr. SCHONWIESE); SAGEL, Herta: SOLDERER, Pension; STEINITZ, Dr. Meta; TORBERG, Friedrich; VENJAKOB, Margarete; WERNER, Dr. Henriette; WINKLER, Dr. Wilhelm; ZENKER, Dr. Otto; Frau ZUCK MAYER. bia Ae el KRAI IPM yal del rays) ras iT ne aT XS Sab oy Sow aaron 1958 Use a en In diesem Haus begann 3908 dei Zulaniı “des Dichters Theodor Kram I Wan Die am 19. Mai 1998 am Haus Wien II., Am Tabor 20-22 enthüllte Gedenktafel für Theodor Kramer, ausgeführt von Dieter Grosz (Graz) unter Verwendung des Kramer-Porträts von Rudolf Schönwald. Die Gedenktafel befindet sich rechts neben dem Haustor. Foto: Nina Jakl Theodor Kramer Zur Stützung des Gedächtnisses Im folgenden wird das im Nachlaß unter ‚‚Memorandum Kramer“ geführte Dokument möglichst originalgetreu wiedergegeben. E.C. Kursiv = im Original maschingeschriebener Text Kramers; Normalschrift = handschriftliche Einsetzungen Kramers. Die Unterstreichungen stammen von Kramer selbst. BLATT IM 16.12.1957. Guttenbrunner hat 10 Gedichte für Abhandlung in „Österreichische Blätter“. Ich könnte sie tippen, wenn Abhandlung geschrieben wurde. Sonst könnte ich sie einreihen ins Konvolut, möchte sie deshalb zurück. eingereiht Die 3 Hefte bei GretlMoon enthalten Oh.Marie Gedichte und Oh Rosmarie Gedichte; deshalb kann ich diese Cyclen nicht komplett zusammenstellen. Ich sollte aber beginnen, aus den mit Daten versehenen Mappen, und ich will es auch. Reklamierte bei Gretl zuletzt am 12.12.57. Was bei mir liegt wurde in zwei Mappen gegeben. 18.12.57. Chvoika Hat noch Gedichte, die ich mieh_mit ihm durchgehen sollte. Penklubvorl Band_für_Dr_Suc} Rundfunkvorlesung. 17.12.1957. Vm. Hab aus den Mappen, die auf der Couchliegen, die Oh Rosmarie und die Oh Marie in Mappen gegeben, könnte aus ihnen auch alle Vom Gedichte womöglich heute herausziehen. 18.12.1957. Vm. Gab alle Vom-Gedichte, die bei mir liegen, in eine Mappe zusammen. Stelle höchst unrationell die Penklubvorlesung zusammen. 19.12.1957. Guttenbrunner kam gestern nicht. Kann weiter arbeiten an Penklubvorlesung. 24 20.12.1957. Ging mit Chvojka Gedichte durch. Er hat noch Gedichte, die ich mit ihm durchgehen sollte. Hätte noch Gedichte für die Penklubvorlesung zu tippen, hätte mit Bleistift zu notieren, wie lang das Lesen vermutlich dauern wird. Das Material ist zu umfangreich. 21.12.1957. Arbeitete mit Guttenbrunner an Konvolut II Guttenbrunner. Kann heute mit ihm dran arbeiten. Der Grazer Auswahlband soll Hälfte aus meinen Büchern enthalten (anderes [sic!] als in Otto Müller Band), Hälfte bisher unveröffentlichte Mss. Stellte Penklubvorlesung zusammen, hörte sie ab (Zeit). 22.12.1957. Früh. Erledigte mit Guttenbrunner 35