OCR
Vladimir Vertlib Tatsachen. Zitate. Reflexionen Als 1941 meine Urgroßmutter in ihrem weißrussischen Heimatort Kritschew ermordet wurde, war sie dreiundachtzig Jahre alt. Der Weg zum Exekutionsplatz am Ortsrand erwies sich für sie als zu beschwerlich. Weil sie mit dem Tempo der Marschkolonne nicht mithalten konnte und somit den zeitlich geregelten Mordablauf behinderte, wurde sie nicht erst am vorgesehenen Tatort von einer Maschinengewehrsalve niedergemäht, sondern schon zuvor am Straßenrand erschossen. Ob ihr Mörder ein Deutscher oder ein Österreicher oder vielleicht anderer Nationalität war, ob es sich um einen SS-Mann oder einen Angehörigen der deutschen Wehrmacht gehandelt hatte, weiß ich nicht. Für meine Urgroßmutter und ihre Hinterbliebenen — ihre Tochter (meine Großmutter) und ihren Enkel (meinen Vater) — war dies auch ziemlich gleichgültig. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es wohl ein SS-Mann gewesen sein, obwohl gerade in Weißrußland nachweislich auch Wehrmachtseinheiten an der Judenvernichtung beteiligt waren.’ An jenem Tag starben auch meine GroBtante und ihre gesamte Familie sowie eine Reihe weiterer Verwandter. Es war der Tag, an dem alle Juden von Kritschew ermordet wurden. Fest steht, daB die deutschen Armeen mordend und brandschatzend in Weißrußland, dem Heimatland meiner Großeltern, eingefallen waren. Für die unmittelbar Betroffenen hat es keinen Unterschied gemacht, ob auf der Militärmütze des Gewalttäters nur der Reichsadler oder auch noch der Totenkopf prangte, und wer die Funktionsweise totalitärer Regimes kennt, wird sich auch kaum der Illusion hingeben können, es habe im NS-Staat so klar abgegrenzte Kompetenzen gegeben, die einen seien für das „schmutzige“ Töten von Zivilisten, andere ausschließlich für das „saubere“ Töten an der Front verantwortlich gewesen. Dem nationalsozialistischen Deutschland wird ja gerade deshalb der Begriff „‚totalitär‘ zugeordnet, weil es, wie andere totalitäre Staaten auch, die Eigenschaft hatte, eine größtmögliche Zahl seiner Untertanen nicht nur einer totalen Kontrolle zu unterziehen, sondern sie auch zu freiwilligen und unfreiwilligen Mittätern seiner Untaten in dereinen oderanderen Form zu machen. Dieser Verstrickung zu entgehen, war nur den wenigsten möglich. Jene, die es versuchten, mußten es in vielen Fällen mit dem Leben bezahlen. Daß fast jeder Frontsoldat der Wehrmacht zur Verlängerung des Hitlerregimes beigetragen hat, kann ebenso als Binsenweisheit gelten, wie die Tatsache, daß nur eine Minderheit dies freiwillig getan hat. Zweifelsohne war für den meisten Terrordie SS verantwortlich. Das ideologisch motivierte Verbrechen war ja die eigentliche Aufgabe dieser Organisation. Daß es SS-Angehörige gegeben hat, die, vor allem in den letzten Kriegsmonaten, gegen ihren Willen zu dieser verbrecherischen Vereinigung gepreßt wurden oder an keinen Kriegsverbrechen oder Gewaltakten gegen die Zivilbevölkerung beteiligt waren, steht aber ebenso außer Zweifel wie daß zahlreiche Verbrechen der „regulären“ Streitkräfte - der Wehrmacht also — als erwiesen gelten. Die Mär von der „sauberen Wehrmacht“ habe ich immer als schmerzvoll empfunden. Wenn ältere Herren von ihren „Kriegsabenteuern“ berichteten und sich mit ihren „‚Heldentaten“ brüsteten, mußte ich an meine ermordeten Verwandten oder an die traumatischen Erlebnisse meiner Eltern denken, die als Kinder die Jahre 1941 bis 1942 im belagerten, täglich bombardierten Leningrad verbringen mußten. Dem Hungertod nahe, war ihnen dennoch bewußt, daß ein Durchbruch der Wehrmacht an der nur wenige Kilometer entfernten Front ihren sicheren Tod bedeuten würde. Würde die Zeit des Nationalsozialismus und seine Verbrechen nicht auch heute noch wie ein bleiernes Gewicht auf der Bevölkerung Deutschlands und Österreichs lasten, wäre die Aufregung um die vieldiskutierte und mehrfach kritisierte Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 (meist etwas salopp ,, Wehrmachtsausstellung™ genannt) wohl kaum verständlich”. Die Ausstellung wurde in verschiedenen Städten Deutschlands und Österreichs gezeigt und inzwischen von mehr als 450.000 Menschen besucht. Sie wendet sich gegen die Wehrmacht als Institution und zeigt sie als wesentliche Stütze und Werkzeug des Naziregimes. Weder versucht sie hingegen alle ehemaligen Soldaten pauschal als Kriegsverbrecher und Mörder hinzustellen, noch leugnet sie den Zwangscharakter der Institution Wehrmacht für die meisten ihrer Angehörigen. Vom 7. März bis 13. April 1998 wurde die Ausstellung auch in jener Stadt, in der ich zur Zeit lebe - in Salzburg — gezeigt. Wie in allen anderen österreichischen Städten war auch hier weder mit nennenswerter Unterstützung der Behörden noch mit ausreichenden öffentlichen Fördermitteln zu rechnen. Die Ausstellung wurde deshalb überwiegend durch private Spenden finanziert. Schon am 18. März 1997 hatte sich in Salzburg der Verein Erinnern! konstituiert, dessen Ziel es war, sich für eine Durchführung der Ausstellung in Salzburg einzusetzen. Zum Obmann des Vereins wurde der Historiker Dr. Albert Lichtblau, zur Obmannstellvertreterin die Historikerin Dr. Helga Embacher gewählt. Unterstützt wurde der Verein von der Bürgerliste (den Salzburger Grünen) und dem Liberalen Forum, von der SPÖ, sowie von Bildungseinrichtungen, Kulturmanagern (so zum Beispiel von Festspiel-Chef Hans Landesmann) und Wissenschaftlern. Subventionen erhielt er vor allem vom Wissenschafts-, Unterrichts- und Innenministerium sowig von der Österreichischen Hochschiilerschaft.3 Schon in den Wochen vor der Ausstellungseröffnung hatte sich eine breite Abwehrfront gegen die als provokant, polarisierend, somit störend und ganz und gar unnötig empfundene Veranstaltung gebildet. Dies stellte keine Salzburger Besonderheit dar. Die Angriffe erreichten jedoch, im Vergleich zu anderen österreichischen Ausstellungsorten, eine zusätzliche Intensität. Das abgegriffene Bild von der Provinzposse wäre diesmal wohl angebracht, wenn das Thema nicht so ernst, das Possenhafte nicht eher traurig als erheiternd wäre. Hauptakteur des Salzburger Trauerspiels: Landeshauptmann Franz Schausberger. Der ÖVP-Politiker hatte sich von Anfang an als Gegner der Ausstellung profiliert, weil sie „insgesamt polarisiert und pauschaliert“, wie erin einem Interview fiir die Zeitschrift Profil erklärte”. Er werde es nicht zulassen, „‚daßeine ganze Generation, wieauch mein heute 93-jähriger Vater, verurteilt wird.“ Schausbergers Vater, während des Krieges Soldat „im Partisaneneinsatz in Jugoslawien“, werde auch kein Vorwurf gemacht, niemand habe ihn persönlich eines Verbrechens bezichtigt, konterten die Betreiber der Ausstellung. Man solle, meinte der Landeshauptmann, das Ganze nichtüberbewerten. „Ich glaube persönlich, daß die Bevölkerung an dieser politischen Diskussion über die Wehrmachtsausstellung in breiter Masse gar nicht teilnimmt." In diesem Punkt sollte sich der Landeshauptmann allerdings irren. Schausberger setzte sich just zum selben Zeitpunkt für die Verleihung des Landeswappens an den Kameradschaftsbund, der in Salzburg immerhin 40.000 Mitglieder zählt, ein. Schließlich finden nächstes Jahr Landtagswahlen statt, und bei den Europawahlen 1996 ist die FPÖ in Stadt und Land stimmenstärkste Partei geworden. Schausberger, der einmal erklärt hat, rechts von seiner Partei dürfe es für andere keinen Platz mehr geben‘, weiß also offensichtlich, um welche Wählergruppen er sich zu bemühen hat. Dafür waren ihm sogar besonders plumpe und untergriffige Bemerkungen nicht zu schade, als er von der „angeblich nicht gewinnorientierten Vermarktung dieser Ausstellung"? schrieb. Es mag deshalb nicht überraschen, daß der Landeshauptmann der „Wehrmachtsausstellung“ jegliche öffentlichen Mittel verweigert hat. Daß ihr trotzdem 100.000 Schilling aus dem Landesbudget zugeflossen sind, ist Kulturlandesrat Othmar Raus zu verdanken. Auch der Landeshauptmann konnte nicht verhindern, daß der SPÖ-Politiker die Ausstellung durch Mittel aus seinem Ressort förderte. Schausbergers Taktik stieß in Salzburg in zunehmendem Maße auf Kritik. Das Institut für Geschichte protestierte gegen Stellungnahmen des Landeshauptmannes, bei denen dieser den für die Ausstellung Verantwortlichen Unwissenschaftlichkeit vorwarf und seine Kompetenz durch den Hinweis auf seine Dozentur für 37