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Helmut Kreuzer „Sonntag und Montag“ ist der literarhistorisch wichtigste Roman aus der ersten Lebenshälfte Hans Sochaczewers. Er gehörte zu den verbrannten Büchern des ‘Dritten Reiches’ und ist aus dem literarischen Bewußtsein verschwunden. An ihn zu erinnern, ist daher der Sinn dieses kurzen Beitrags. Hans Sochaczewer wurde am 10.8. 1892 in Berlin als Kind assimilierter jüdischer Eltern geboren. Sein Vater, ein wohlhabender Kaufmann, erlitt 1908 schwere Vermögensverluste. Der junge Sochaczewer mußte vorzeitig die Schule verlassen, um Kaufmann zu werden. Er gerietin eine psychische Kriseund wurde 1912, als bereits erste Publikationen von ihm vorlagen, für kurze Zeit in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Sein erster Roman („Die Grenze“, 1922) verarbeitet dieses Erlebnis. 1914 wurde Sochaczewer zum Militär eingezogen. 1916 kam er für zwei Jahre nach Wilna, wo er das Ostjudentum auf eine andere Weise als im Berliner Scheunenviertel kennenlernte. Nach dem Ersten Weltkrieg trat er als Kritiker und Erzähler hervor. 1923 heiratete er in erster Ehe die Pianistin Marie Zweig, eine Verwandte Amold Zweigs; die Ehe wurde 1924 geschieden. 1925 fuhr er zum ersten Mal nach Kopenhagen, das ihm in den Folgejahren zu einer zweiten Heimat wurde. Er produzierte nun, in der zweiten Hälfte der 20er Jahre, in relativ rascher Folge die Erzählwerke, mit denen er sich im literarischen Leben der Zeit einen Namen machte. Mit diesen Werken hater Anteil an zwei Hauptrichtungen der Literatur zwischen Expressionismus und ‘Drittem Reich’: am sogenannten „Magischen Realismus“ psychologisch-existentiell bzw. mythisch-religiös orientierter Autoren und dem kritisch-sozialen Realismus der ,,Neuen Sachlichkeit“ (die auch als ,,expressiver Naturalismus“ bezeichnet und damit auf die Traditionen zwischen Zola und Hauptmann, Döblin und Sternheim bezogen wurde). Daß Sochaczewer in dieser Zeit sowohl Hans Carossa wie Erich Maria Remarque freundschaftlich nahestand, zeigt unter biographischem Aspekt die erwähnte Doppelorienterung an (ebenso wie der langjährige Kontakt zu Joseph Roth, einem Autor, der gleichfalls an der einen wie an der anderen Richtung partizipierte, im Zuge einer Entwicklung, die ihn von der sozialen zur religiösen Frage geführt hat). Bei Sochaczewer steht der Künstler-Novelle über den ‘Zöllner’ Henri Rousseau (1927) im gleichen Jahr „Sonntag und Montag“ gegenüber, der soziale Roman eines Berliner Proletarierviertels (mit ostjüdischen Einwanderern); dem harmonisierenden Roman über ein Dreiecksverhältnis (‚Das Liebespaar“, 1928) folKriegsteilnehmer: „‚Menschen nach dem Kriege“ (1928) und vor allem „‚Die Untat“ (1931), 44 ein sozialkritisch-düsterer Roman, dessen ‘Held’ Josef Zöllner erst eine ‘Untat’ begehen muß, che ihm — ausgerechnet im Gefängnis — ein neuer Halt und mitmenschliche Hilfe zuteil wird. Diese Erzählwerke waren bei namhaften Verlagen (Kiepenheuer und Zsolnay) erschienen. Sie wurden von der zeitgenössischen Kritik beachtet, waren jedoch keine Verkaufserfolge. Ende 1931 verlor Sochaczewer daher die finanzielle Unterstützung seiner Verlage. Er gab den Wohnsitz in Kopenhagen auf und kehrte nach Berlin zu seiner Familie zurück. Er versuche sich nun vergeblich an einem Adelsroman. Ende 1932 lud ihn Remarque — nach seinem Welterfolg mit „Im Westen nichts Neues” nach Porto Ronco am Lago Maggiore ein. In die Zeit seines dortigen Aufenthaltes fällt die Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 und die Biicherverbrennung. die auch seine eigenen Biicher betraf. Hans Sochaczewer Foto: Edition Memoria Im Herbst 1998 wird in der von Thomas B. Schumann in Hürth bei Köln herausgegebenen Edition Memoria Sochaczewers Roman „Sonntag und Montag“ wieder erscheinen. Sochaczewer fuhr von der Schweiz nun wieder nach Kopenhagen; die Zeit der unfreiwilligen Emigration begann. Seine Mutter folgte ihm (sein Vater war bereits gestorben), zeitweise auch sein Bruder und dessen Frau. Seine Schwester lebte in England. Er schrieb nun einen Roman über das „Schicksal der Emigranten (...). Er wurde nirgends veröffentlicht, und das Manuskript verlor sich während des Kriezu einem Wilna-Roman, dessen biographischer Keim in seinen Wilnaer Jahren im Ersten Weltkrieg liegt und der schon mit dem zunächst geplanten Titel ‚Der Jude von Wilna“ die bewußte Zuwendung des Emigranten zu einem jüdischen Thema anzeigt. In seiner späten Autobiographie von 1964, ‚„‚Im Tale Josaphat‘“, beschreibt er die religiöse Wende, die damit verbunden war. Sie bereitete dem Leben und Werk Hans Sochaczewers ein Ende und brachte das Leben und Werk Jose Orabuenas hervor. Die Biographie Sochaczewers wird zu einem singulären Phänomen der Literaturgeschichte durch diese Aufspaltung in zwei Existenzen mit zwei bürgerlichen Identitäten und zwei sehr verschiedenen literarischen Oeuvres. Der Übergang von der einen in die andere Existenz vollzog sich in der Zeit des ‘Dritten Reiches’, hat aber — nach dem Zeugnis der erwähnten Autobiographie aus der Perspektive des Alters ihren Anfang im Kriesenjahr 1932. In diesem habe er zu beten begonnen, schreibt der Autor, „noch ohne recht zu wissen, an wen ich mich wandte“ ?. Er habe darüber mit niemandem ge sprochen, aber das Gebet wiederholt und schließ lich erkannt, daß er in ihm „‚mit Gott sprach. Ich hatte von mir erzählt. Ich hatte nicht mit mi geredet“ ” „So war es nun im Jahre 1934, und ich bat um viel: (...) Ich erbat, daß mir gezeigt werde was ıch schreiben solle. (...) Ich wartete. Es muß) am Ausgang des Jahres 1934 gewesen sein, als mar due Stadt Wilna vor den Augen war, als lebte ich noch ın ıhr. (...) noch wußte ich nicht, (...) ob ich vum dem Geschick meiner Stadt Wilna zu erzählen habe oder von den Juden in einer We dhe mar macht bekannt sci, ctwa der Juden im Spansen.* Er sue in cuncm Werk Fritz. Baers iibeg die Juden ın Spamen auf den Namen der Arztfa mube Orabuena ,,und deren Schicksal im Jahrg 1492", als sie aus Spanien vertrieben € „Und mir gefielder Name, undichnahmihn a denn er war nicht mehr in der Welt. Ich adoptiertg den Namen nicht minder zärtlich als ein kinderloses Paar einen Säugling oder Kind.” Der aus Deutschland Vertriebene erschuf sich die fiktive Gestalt eines David Orabuena, den er im Jahre 1912 in Wilna eintreffen läßt, „‚betagt, fas 80 Jahre alt und aus Cordoba in Andalusieg stammend und anlangend. Denn es war mir auf: gegangen, es war mir gesagt worden, daß ich deg Westen mit dem Osten verbinden solle; und eg sollte ein Segen werden; nicht Krieg noch Pogro me würden ihre Schaudern gebietenden Häuptef! erheben; denn Güte, Anmut, Weisheit und Mut sollten die Stunden, die Tage, die Monate reini gen, während derer die Erzählung vor sich ging. Schon die Sprache dieser Zitate zeigt an, daB sich, ihr Autor weit von den Tendenzen und Formea der „‚Neuen Sachlichkeit‘“ entfernt hat und daß; er von den realen Pogromen seiner eigenen Zei und Umwelt sich schreibend abkehrt in eine imaginäre dichterische Welt. 1938 verließ Sochaczewer Dänemark, wo ersich! von der allzunahen Macht des ‘Dritten Reiches’ bedroht fühlte, und ging nach England. Don überstand er - in Manchester — den Zweiten Weltkrieg; nach dessen Ende erhielt er die britische Staatsbürgerschaft und nahm den bürgerlichen Namen José Orabuena an. 1951 veröffentlichte er bei S. Fischer unter seinem neuen Na