men ,,Kindheit in Cordoba“, denersten Teil der
fiktiven Biographie seines Helden David Ora¬
buena, den er, wie schon erwähnt, in seinem
Wilna-Roman aus Cordoba „anlangen“ läßt
und dessen fiktive Lebenserinnerungen er in
zwei weiteren Bänden fortgesetzt hat.
1949 wurde Orabuena nach Holland eingela¬
den, 1950 in die Schweiz. 1951 gab er seinen
Wohnsitz in Manchester auf und übersiedelte —
von seinem Bruder finanziell unterstützt- nach
Ascona. Im gleichen Herbst lernte er seine
zweite Frau Cordula kennen, die Schwester
des Romanciers Louis de Wohl. Orabuena
wandte sich mehr und mehr dem Katholizismus
zu und empfing 1952, an seinem 60. Geburts¬
tag, im Kloster Einsiedeln die Taufe und Fir¬
mung. Er fand in der Schweiz in Prof. Walter
Nigg einen Freund, der ihm half, die „jüdischen
Romane“, die er in Dänemark und England
geschrieben hatte, in schweizerischen bzw.
deutschen Verlagen (Thomas / Zürich, Schö¬
ningh / Paderborn, Herder / Freiburg) unterzu¬
bringen. 1959 erschien der Wilna-Roman unter
dem Titel ‚Groß ist deine Treue“, 1962 „‚Spie¬
gelbild — Ebenbild“, der Schlußteil der Cordo¬
ba-Geschichte mit den fiktiven Lebenserinne¬
rungen David Orabuenas. 1964 erschien die
oben zitierte Autobiographie, die u. a. Walter
Nigg zugeeignet ist. 1978 starb Orabuena in
einem Altersheim in Ascona. Bis zu seinem
eigenen Tod hat Walter Nigg sich um Neuaus¬
gaben von Werken und um Veröffentlichungen
aus dem (bis heute großenteils unveröffentlich¬
ten) Nachlaß seines Freundes gekümmert.
Doch hielt er sich an die Urteilsperspektive
Orabuenas. Seine Fiirsorge galt unter allen
Werken Hans Sochaczewers nur der Henri
Rousseau-Novelle, die auch Orabuena noch
hatte gelten lassen und die Nigg mit dem Au¬
tornamen Orabuenas neu herausgab. Die so¬
zialkritisch-realistischen Werke, die Orabuena
im Rückblick verworfen hatte, durch die er aber
zu einem historisch relevanten Autor der Neuen
Sachlichkeit geworden ist, sind daher noch neu
zu entdecken.
Orabuena hat in Andreas Heinecke, einem aka¬
demischen Schiiler Ekkehard Blattmanns in
Bochum, einen germanistischen Leser gefun¬
den, der in seiner Dissertation von 1990 der
Literaturwissenschaft das religiöse Werk der
zweiten Lebenshälfte erschloß, mit Schwer¬
punkt auf der Darstellung des Ostjudentums im
Wilna-Roman’ Sochaczewer dagegen ist noch
nicht durch eine fachliche Publikation in die
Literaturgeschichte integriert. Dorothea Sboui¬
Wagener (Siegen) hat als erste eine Magister¬
arbeit über „Sonntag und Montag“ geschrie¬
ben; sie blieb jedoch unveröffentlicht.° Ihr Ziel
ist, den Roman zu interpretieren und in die
literarische Welt der ‘Neuen Sachlichkeit’ und
in die soziale Welt der 20er Jahre einzuordnen.
Diese “Welten’ liegen historisch schon relativ
weit zurück; aber die Bedrohung durch Arbeits¬
losigkeit und der Anblick von Einwanderer¬
vierteln in deutschen Großstädten sind zwei
Realitätsmomente, die nicht nur Sochaczewer
und dem Leser der ‘Neuen Sachlichkeit’ von
1927, sondern auch dem Leser von 1998 be¬
kannt sind.
1 Vergleiche José Orabuena: Im Tale Josa¬
phat. Eine Lebensgeschichte. Nachdruck der
Ausgabe von 1964, Ostfildern bei Stuttgart
1984, 207.
Ebd. 209.
Ebd.
Ebd. 210f.
Ebd. 212.
Ebd. 212f.
7 Andreas Heinecke: Das Ostjudentum im
Werk von José Orabuena (Mit einer umfang¬
reichen Bibliographie, S. 246-274.). Frankfurt
am Main 1990.
8 Dorothea Wagener: Studien zum Frühwerk
Hans Sochaczewers - „Sonntag und Montag“
als sozialer Roman der Weimarer Republik.
Magisterarbeit. Siegen 1988. 104 S.
Ehrung und Ablehnung in
einem: Hermann Sinsheimer in
triiber Gesellschaft
Am 25. Oktober dieses Jahres jahrt sich der 125.
Geburtstag des jüdischen pfälzischen Autors
Hermann Sinsheimer, dessen Wirken vor sei¬
ner Flucht nach England noch wenig erforscht,
dessen Exil-Dasein weitgehend im Dunkeln
liegt. Was man über den Romanautor, Theater¬
kritiker, Feuilletonchef des Berliner Tageblatt
aus seinem Alltag weiß, geht hauptsächlich auf
seine autobiographische Darstellung ,,Gelebt
im Paradies“ zurück sowie weitere Veröffent¬
lichungen nach seinem Tode 1950 in London,
wobei manches das „Mitwirken“ seiner Wit¬
we, der Schottin Christobal May Fowler, erken¬
nen läßt. Daraus ergeben sich Probleme, auf die
der Literaturwissenschaftler Bruno Hain im
Herbst 1997 auf einer öffentlichen Veranstal¬
tung in Sinsheimers Geburtsdorf Freinsheim
verschärft hinwies: Obwohl der pfälzische
Winzerort, in dem heute keine jüdischen Bür¬
ger mehr leben, sich den Namen Hermann
Sinsheimer für einen jedes zweite Jahr ausge¬
lobten Literaturpreis reserviert hält, geschähe
auf dem Gebiet der Werkforschung so gut wie
nichts. Noch nicht einmal werde versucht, das
gedruckte Gesamtwerk in der Gemeindebiblio¬
thek zusammenzutragen und öffentlich verfüg¬
bar zu halten, wenngleich dort von einem Sins¬
heimer-Archiv in der Hand einer Einzelperson
die Rede ist.
Erst dieses Frühjahr (1998) hat wieder der erste
Preisträger Dr. Wolfgang Schwarz, einen ,,Ge¬
denkabend“ veranstaltet, wobei der heute über
80jährige ehemalige Wehrmachts-Offizier, der
nach seiner Kriegsgefangenschaft von einem
russischen Militärgericht zum Tode verurteilt,
dann aufgrund seiner Jugend begnadigt und
nach dem damaligen Moskau-Besuch Dr. Kon¬
rad Adenauers mit SSlern als ,,Geschenk“ der
Sowjets nach Deutschland zurückgebracht
wurde, diesesmal seine Frau als Programmge¬
stalterin einschaltete. Wenn man Dr. Schwarz
auch längst vergab, daß er in schamvoll einge¬
standener ,,nietzscheanischer Verblendung“
1934 die Monographie ,,Kamaradschaft Her¬
bert Norkus - Das Bekenntnis eines Hitlerjun¬
gen zur unsterblichen Gefolgschaft der HJ“
publizierte, knüpfen sich an diesen Umstand
doch einige ungewöhnliche, höchst aktuelle
Tatsachen. Der Bürgermeister der jetzigen
Stadt Freinsheim schickte 1997 an den 1. Vor¬
sitzenden der Gesellschaft für Christlich-Jüdi¬
sche Zusammenarbeit in Hamburg (ein betag¬
ter Verwandter von Hermann Sinsheimer), ei¬
nen ungemein rüden Brief, begleitet von dem
Sitzungsprotokoll des Stadtrates mit dem ein¬
stimmigen (!) Beschluß: „Das Anbringen der
Erinnerungstafeln am Rathaus oder der ehem.
Synagoge wird abgelehnt.“ Dazu muß man
wissen, daß an dem Geburtshaus Sinsheimers
ein Schild existiert, auf dem die sonnige Jugend
des Autors gepriesen ist, die er hier verbrachte.
Das trifft zusammen mit einem „Boykott“ (!)¬
Aufruf (so die Tageszeitung Die Rheinpfalz) zu
einer Veranstaltung, deren Referent der Schrei¬
ber dieser Zeilen war. Für „‚den Juden Sinshei¬
mer“ sei genug geschehen. Man verbäte sich
„Mitregieren von außen“. Fünfzig Freinshei¬
mer Bürger ignorierten dieses Affront, wieman
es bereits vor 1933 auch in NSDAP-Zeitungen
hätte lesen können.
Alle diese ahistorischen Krähwinkel-Haltun¬
gen mißverstehen, daß der mit 67 Jahren ver¬
storbene Autor mehr verdient als indirekt für
Weinfest-Werbung herzuhalten. Auch kann es
nicht angehen, daß er für die Hakenkreuz-Ge¬
sinnung einiger Alteingesessener das Alibi zu
liefern hat. Zwar verweist man sichtlich erleich¬
tert darauf, es sei in dem Weinort zu keinen
Ausschreitungen gegen die Juden gekommen,
da die Familie Sinsheimer schon friih als, , letzte
Nichtarier“ verzogen sei. Indessen sind laut
Volkszählung 1939 Frau Mina Ermst-Rosen¬
zweig und Willy Tron in Freinsheim als ,,voll¬
Jüdisch“ registriert gewesen — tiber deren Ver¬
bleib ,,wei8 man nichts“.
Es wäre normal, mit der Ehrung des Namens
auch der Erforschung der Handschriften, der
Korrespondenz, der Kritikerleistung Sinshei¬
mers Aufmerksamkeit entgegenzubringen.
Auch könnten Vergleiche zwischen Hand¬
schriften und Drucken das Ausmaß redaktio¬
neller Eingriffe offenlegen. Der Vorschlag, ein¬
mal den Preis wie bisher zu verleihen (denn
etwas anderes als ihn hat Freinsheim als Beitrag
zur Geistesgeschichte Deutschlands schwer¬
lich aufzuweisen), zum anderen Mal die Sum¬
me Literaturhistorikern zur Unterstützung ihrer
Recherchen zuzuführen, stieß bei den ‚‚Juro¬
ren“ bislang auf taubes Gehör.
Anders verhält sich die Stadt Ludwigshafen am
Rhein. Dort arbeitete der junge Sinsheimer als
Rechtsanwalt bis zum Ausbruch des Ersten
Weltkrieges. An dem Neubau, der anstelle des
alten Kanzleigebäudes in der Hauptstraße steht,
wird zum 125. Geburtstag des Autors eine Ge¬
denktafel angebracht. Der ursprüngliche Plan
wollte sie dem Bürgersteig als Platte eingefügt
sehen. Der private Hausbesitzer stimmte aber
zu, die Plakette an der Hauswand anzubringen.
Damit sie nicht beschmutzt werde...