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Erinnerung an Guido Glück Lieber Harry Zohn irgendwo in den USA! Sind es zehn, sind es fünfzehn Jahre her, seit ich Ihrem Namen das erste Mal begegnete? Ich weiß es nicht. Jedenfalls war es noch zur Zeit der kommunistischen Gewaltherrschaft bei uns. Ich nutzte damals schwer erkämpfte, für Verwandtenbesuche ins westliche Ausland ausgegebene Ausreisegenehmigungen, um in Münchner Lesehallen, Bibliotheken und Archiven möglichst viel von dem zuerfahren, was mir durch den Eisernen Vorhang verwehrt wurde. So blätterte ich auch einmal im Katalog der Bayrischen Staatsbibliothek, ohne irgend etwas Bestimmtes zu suchen. Ganz zufällig stieß ich auf Ihren Namen. An den genauen Titel der Publikation entsinne ich mich nicht mehr. Gewiß befindet er sich unter meinen vielen diesbezüglichen Notizen. Ihn in meinem sogenannten „Archiv“ herauszusuchen, will ich wegen der mit Sicherheit anzunehmenden Erfolgslosigkeit erst gar nicht versuchen. Ihre Arbeit befaßte sich meines Erinnerns mit dem Beitrag böhmischer Juden zur deutschen Literatur. Ich bestellte sofort das Buch. Zunächst erlebte ich eine Enttäuschung, da ich nicht von rechts nach links lesen kann. Das merkte die freundliche Bibliothekarin. Nach einer kleinen Korrektur am Bestellschein lag dann Ihr Buch in deutscher Sprache vor mir. Ich möchte hier nur auf einen einzigen von Ihnen angeführten Literaten zurückkommen: den mir wohlbekannten Guido Glück (1882 1954). Er war Altphilologe, Germanist. Mittelschulprofessor, Dramaturg am Brünner deutschen Theater, Erzähler und Dramatiker. Ein aufrechter Demokrat und Humanist, der das deutsche Kulturleben der Stadt Brünn in den ersten vier Jahrzehnten unseres Jahrhunderts maßgeblich prägte. Dieser segensreichen Tätigkeit bereitete das Schicksalsjahr 1939, der Einmarsch deutscher Truppen in die RestTschechoslowakei und die Schaffung des sogenannten Reichsprotektorats, ein jähes Ende. Nicht aus „rassischen“ Gründen -umes gleich vorwegzunehmen, Glück war kein Jude —, sondern wegen seiner den Nationalsozialismus ablehnenden Weltanschauung zog sich Glück in die innere Emigration zurück. Erlebte voneiner bescheidenen Rente, schrieb nach wie vor fleißig, ohne Aussicht auf Veröffentlichungen, und traf sich regelmäßig mit einem kleinen Kreis von Freunden, zu denen auch meine Eltern zählten. Während der schlechten Jahreszeit besuchte man sich in den jeweiligen Wohnungen. Wir wohnten alle nicht weit voneinander. Im Sommer traf man sich in den Spielberganlagen, später auf dem Getreidemarkt, da für Glück wegen eines Herzleidens der Weg auf den Spielberg zu beschwerlich wurde. Man wählte vorsichtshalber alleinstehende, weithin sichtbare Bänke, um nicht von Spitzeln belauscht zu werden. Das änderte sich auch nach der von allen ersehnten Niederlage Hitlers nicht. Da war es obendrein noch riskant, sich der deutschen Sprache zu bedienen. So hatte 46. man sich die „Befreiung“ nicht vorgestellt. Als Antifaschist konnte Glück zwar mit seiner langjährigen Lebensgefährtin, Frau Emmy Schwarz, in der Heimat, in der Wohnung, verbleiben. Aber die Rente, die einzige Einkommensquelle, wurde für lange Zeit eingestellt. Man brachte sich kümmerlich durch Nachhilfestunden, nach denen keine große Nachfrage war, und durch Verkauf verschiedener ‚„‚Reichtümer“ , z.B. eines Teppichs, durch. Nach Glücks Tod löste Frau Emmy die gemeinsame Wohnung auf und zog zu ihrer jüngeren Schwester, Frau Marie Kubin, in ein Einfamilienhäuschen in den Schwarzen Feldern. Dort besuchte ich sie öfters. Marie wohnte unten, Emmy im ersten Stock. Morgens begrüßten sich die Schwestern stets durch das Haussehe» fon. Eines Tages ging Frau Kubin nach etme solchen freundlichen Morgengruß einkaufen. Nach ihrer Heimkehr wunderte sie sich, daß Emmy noch nicht unten war. Sie ging nachschauen und fand die über Achtzigjährige fnodlich schlafend im Bett. Sie war tot. Als ich wieder einmal zu Marie kam, standen beim Eingang vier große vollgestopfie Kanoffelsäcke zum Abtransport in die Altpapiersammlung bereit. Ich war gerade noch rechtzeitig gekommen, um die zum Teil zerknüllen Papiere, Glücks literarischen Nachlaß, zu retten: Bücher, Zeitungsausschnitte, Korrespondenz, Fotos und ... Dokumente. Darunter das Doktordiplom und der Ahnenpaß! Er liegt vor mir. Ein Dokument aus einer ungeheuerlichen Zeit, das oft tiber Leben und Tod entschied. Auf der ersten Seite eine von Adolf Hitler unterzeichnete Einleitung, worin u.a. die rassenmäßigen Grundlagen als „Sicherung der Vorbedingungen für spätere kulturelle Weiterentwicklung“ hervorgehoben wurden. Doch lassen wir die bösartigen Hirngespinste einer verbrecherischen Ära beiseite und blättern wir lieber in Glücks eigenhändigen Eintragungen: Nummer 1 besagt, daß Guido Glück am 7.1. 1882 in Barco (Italien) geboren wurde, als Sohn des dortigen Gutsverwalters Johann Glück und dessen Frau Anna Maria, geb. Rohä£ek. Diese beiden waren jedoch beileibe keine Südländer, sonder waschechte Brünner, die im Alter wiederin die Heimat zurückkehrten und, wie ebenfalls aus dem Ahnenpaß ersichtlich, 1929 und 1927 in Brünn starben. Die Glücks stammten durchwegs aus der vorwiegend von Gärtnem besiedelten Brünner Vorstadt Grillowitz. Als Berufe sind angeführt Halblähner, Hauer, oder bei dem 1752 geborenen Glück Johann „Inwohner“. Auch alle übrigen Ahnen, die vielfach tschechische Namen trugen, wie Zednidek, Srnetz, Pelikän, Ku£era, PospiSil, Nedv&d, stammten aus Brünn und seiner näheren Umgebung. Die 1778 in Güillowitz geborene Urgroßmutter Anna Maria, Gattin eines Johann Glück, war die Tochter eines Freudensprung Michael. Dieser für Brünn recht ungewöhnliche Familienname erweckt in mir die Vermutung, ob es sich vielleicht um in Brünn verbliebene Nachkommen der Wiedertäufer handeln könne. $ämtliche im Ahnenpaß angeführten Personen wurden nach röm.kath. Ritus getauft, getraut und begraben. Und diese Angaben waren in einer fürchterlichen Zeit die wichtigsten des ganzen Passes, da sie den untrüglichen Beweis der „arischen“ Abstammung lieferten. Für deciundsechzig Vorfahren ist die vor mir kengeace gedruckte Ahnentafel reserviert. Aber Glück drang in manchen Linien seiner Vorfah- ® ven bis zu Nummer 66 vor. Ganz gewiß intereswant für den Familienforscher, aber gleichzeitig cam Iumumehschneiender Unsinn im Sinne des wom Oe ger Graf von Schwerin bezweckten dentxctebdimagen — Abwtammungsnachweises. | Chien qaline on „am Falke Gluck” doch zu etwas pt wand eons, viren te cin „Glückafall” Also btwn Sie, ueber Harry Zohn! Als ich Ihre | den erwähnte Publikation seinerzeit in Mün- | chem emdeckte, war Guido Glück längst tot. | Aber ich erzählte Frau Emmy von dem Buch. Sie lichelte. Es entsprann sich ein längeres, für mich recht überraschendes Gespräch, dessen Inkat ich abschließend kurz wiedergeben möchte. „Nein, Jude war mein Guido nicht“, begann: Emmy, „es gab aber auch Juden dieses Fami- 4 liennamens. Das diirfte Herrn Zohn veranlaBt haben, Guido in seinem Buch zu nennen. — Wir führten ein sehr geselliges Leben. Verkehrten in deutschen, tschechischen sowie jüdischen Krei- ' sen, Guido erfreute sich großer Beliebtheit. Es ’ bedrückte ihn schwer, als zur Hitlerzeit unsere jüdischen Freunde großen Verfolgungen ausgesetzt waren. Er war bemüht zu helfen, wo es nur ging. Und er tat dies auf eine ganz spezielle Art. Er übernahm... Vaterschaften...“ „Noch heute erscheint es mir wie ein Wunder“, meinte Emmy weiter, ,,daB die sonst so übergenauen deutschen Behörden, den vielen von Guido geleisteten Meineiden Glauben schenkten.“ Aber das Wunder ist tatsächlich geschehen. Einige der so Geretteten habe ich selbst noch gekannt. Und so kinnen wir Prof. Dr. Guido Gliick, neben dem Zwittauer Oskar Schindler, dem Schweizer Paul Griiniger, dem Japaner Chiune