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Sugihara, dem Portugiesen Aristides de Sousa Mendes, um nur einige zu nennen, respektvoll einen Ehrenplatz unter den Rettern jüdischen Lebens einräumen. Denn, wie es im Talmud heißt, „‚wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt!“ Mit besten Grüßen unbekannter Weise Ihre Dora Müller, Brünn, Neujahr 1998 ... Es freut einen, wenn man aufmerksame Leser findet, die einem nach vielen Jahren noch die eine oder andere Verbesserung mitteilen. Dora Millers soi-disant Offener Brief an mich kam als angenehme Überraschung! [...] Ihr Interesse an der Serie Austrian Culture ... In Druck ist eine von mir herausgegebene Sammlung von Schriften Walter Sorells in deutscher und englischer Sprache, die als Vermächtnis dieses so vielseiigen Menschen gelten darf. Es wird Sie vielleicht interessieren, daß ich derzeit Hermann Langbeins Buch Menschen in Auschwitz für einen amerikanischen Universitätsverlag übersetze. Eine furchtbare aber notwendige Aufgabe! Harry Zohn, West Newton (Massachusetts), 22. Mai 1998 Das Dilemma der Rückkehr Österreichische Erörterungen im Londoner Spiro-Institut, 18. Mai 1998 Wenn zu etwa 120 Wienern (mit einigen Berlinern dazwischen) der österreichische Regierungsvertreter auf Englisch reden muß, weil die versammelten Herrschaften ebenfalls nur Englisch miteinander reden so gut es geht, zeigt das nicht eine Anomalie der Zeitgeschichte? Ort des Geschehens war ein britischer Hochschulsaal, als Veranstalter zeichneten das Spiro-Institut und das österreichische Kulturinstitut in London. Man fragt sich, haben es die Nationalsozialisten tatsächlich geschafft, daß keiner mehr spricht, wie er mit Vaterund Mutter geredet hat? Noch viel weiter haben sie es gebracht. Über 50 Jahre nach ihrer militärischen Entmachtung gab es ihretwegen immer noch Ursache, ein Symposium mit dem Thema ,,Das Dilemma der Rückkehr“ einzuberufen. Somit reicht ein halbes Jahrhundert nicht, um die böse Verwirrung europäischer Geschichtstatsachen klar zu stellen. Noch in der zweiten Generation flackert immer wieder unter den aus Österreich und Deutschland vertriebenen Juden die Frage auf: Bleib ich, geh ich, wohin geh ich, wenn ich nicht bleib? Am Podiumstisch saßen fünf fürs Antworten Zuständige, und das war keine leichte Aufgabe. Wie immer bei solchen Gelegenheiten kommt es zu Allgemeinplätzen, wird weniger gefragt als der eigene Standpunkt aus dem Publikumsschoß erklärt und Emotionales geäußert, auf das man wenig erwidern kann. Auf alle Fälle hatte man für letzteres einen promovierten Psychologen dazu genommen, einen in Südafrika gebürtiger Sohn vertriebener Litauer. Der Direktor des Kulturinstituts, 1956 auf die Welt gekommen, was sollte, konnte und durfte er schon anderes tun als die Politik seiner Nation gegenüber den Ausgewiesenen reumütig zu erläutern? Er hatte nicht besonders hervorgehoben, der einzige Nichtjude in der Runde zu sein. Er erklärte das mit ,,was soll das Pallaver?“, was ein bisserl danebengegriffen klang, aber höflich überhört wurde. Durfte er doch leiblich einen jungen Mann vorstellen, der wie manch anderer junger Wehrpflichtling mit Absegnung des österreichischen Innenministeriums den Dienst als Ziviler an einer (ausländischen) HolocaustGedenkstätte ableistet, in diesem Fall am Londoner Spiro-Institut. Milder Beifall. Daneben saß die Bild-Dokumentaristin mit Verdiensten um Österreichs Schandtaten-Gedächtnis, Sabra und mit viel Israeli-CommonSense. Von ihr war die Meinung zu hören, daß die Exilierten Deutschland weniger hassen als Österreich, weil Deutschland mehr gezahlt hat. Und daß die Kinder die Eltern sowieso nie verstehen, ob in Europa oder in Israel. In 25 Jahren Aufenthalt an der Donau habe sie keine „Bevölkerung“ getroffen, sondern im menschenmöglichen Radius nur Leute, die nichts Antisemitisches äußerten und mit denen deshalb auszukommen ist. Der Redakteur einer Londoner Emigrantenzeitung auf dem Stuhl nebenan nannte es für sich unmöglich, nach Wien zurückzukehren. Die Leute von „Jung-Österreich“ hätten ihm damals irregeführt, als sie das Donauland ein ‘von den Nazis besetztes Gebiet’ mit viel Widerstand nannten. Als erab 1945 sah, wie es damit bestellt war, habe ihn Lust und Glaube verlassen. Er streifte die nicht mehr opportunen marxistischen Analysen, laut deren Judenhaß stets ökonomische und politische Gründe, dazu noch psychologische habe, ohne die religiösen dazu zu nehmen. Massen-Manie sei indessen nirgendwo auszuschließen, weshalb er einerseits durchaus für eine Rückkehr, andererseits aber doch ohne ihn sei. Das war auch nichts Zufriedenstellendes. Der Psychologe rückte den Problemen schärfer auf den Leib, indem er darauf verwies, daß in Österreich wie in Wilna und ganz Polen man auf die Rückkehrer scheele Blicke richte, da sie das ihnen gestohlene Familieneigentum wieder haben wollten, was in die lokale Besitzverhältnis-Behaglichkeit eingreife. Auch habe er auf einer Psychologen-Zusammenkunft eine junge deutsche Frau entdeckt, die sich der Mutterschaft verweigere, um kein Kind in die Welt zu setzen, das den nazistisch verbohrten Großeltern nacheifern könnte — ein amüsanter Einfall, eine Art retrovertierter Morgenthau-Plan. Ganz rechts außen (keineswegs in der liberalen Gesinnung ihrer Zeitung) saß die per Kindertransport England „‚geschenkte“ brillante Auslandskorrespondentin. Sie fand nüchterne Einschätzungen von Menschen wie Kreisky, Vranitzky und Haider, deren Namen auch von den RednerInnen aus dem Publikum vorgebracht wurden. Doch in geschichtlich Genaues zu gehen, das mußte von der Versammlungsleiterin immer wieder charmant abgewehrt werden, weil die Uhr schon spät zeigte und auch ein Quänterl Zeit fürs Plaudern miteinander gefunden werden mußte. In Anbetracht all dessen stand die Endfeststellung wie goldene Worte im Raum: Einmal schon sind wir gewaltsam herausgerissen worden, warum sollen wir uns jetzt noch einmal freiwillig selbst ausreißen? Niemand schlug mit der Hand auf den Tisch und sagte: Wir sind die Opfer ungesühnter Verbrechen, deren Ausführende in der europäischen Nachkriegspolitik von militärischen Gruppierungen unterstützt wurden, die an unserer Ethik vorbeigingen. Keine Rechnungslegung erfolgte. Innerhalb dieses Schlamassels hatten wir unser Leben in den Griff zu bekommen und den Kindern einigermaßen den Glauben zu erhalten, einmal werde Gerechtigkeit konfliktfreieres Existieren bringen. Der gezeigte ORF-Film (über Österreicher und ihre mutige Hilfe hauptsächlich für verfolgte Mischlinge) spielte als Hintergrundmelodie das Warschauer Ghettolied (das noch vor dem Aufstand von einem Litvak geschrieben wurde). Darin kommen die Worte vor: „... mit die Gunnes in die Hind.“ Und damit: Wir sind stolz, da zu sein. Diesmal kam dies nicht recht zum Vorschein — und wie auch, mit Achtzigjährigen und den einigermaßen im Leben eingerichteten Jungen? Noch immer krümmt sich einem die Seele und offenbar kann nur das fortgesetzte Gespräch über alle hier wieder nicht gelösten Fragen das Bewußtsein erhellen und den Schmerz etwas verscheuchen. Arno Reinfrank Die Diskutantenrunde: Dr. Emil Brix, Austrian Cultural Institute; Alisa Douer, Dokumentationsfotografin und -filmerin; Richard Gruenberger, Redakteur ,,AJR-Information"; Dr. Schapobersky, Psychologie-Dozent; Hella Pick, Publizistin. - Wolfgang G. Fischer mußte die Teilnahme absagen. Leider im Abverkauf Die Universität Osnabrück veranstaltete 1983 eine Ringvorlesung zum Thema die Künste und Wissenschaften im Exil. Die Texte der 25 Vorlesungen erschienen 1992 in Buchform und sind ein bis heute aktueller und lesenswerter Materialienband, der zeigt, wie vieles es auf diesem Gebiet immer noch aufzuarbeiten gilt. Als’Beispiele seien nur die Porträts über Karin Michaelis, Heinrich Vogeler und den Maler Felix Nußbaum sowie über Theologen, Philosophen (wobei jüdische Religionsphilosophen nuram Rand erwähnt werden), Juristen, Mathematiker und Ökonomen im Exil erwähnt. Namen, die man nur aus ihren Primärwerken oder Korrespondenzen kennt — wie zum Beispiel Arthur Rundt und Jan Meyerowitz — und in der sonstigen wissenschaftlichen Aufarbeitung überhaupt nicht findet, werden hier in einigen Beiträgen zumindest erwähnt. — Das Buch wird jetzt abverkauft. Edith Böhne/Wolfgang Motzkau-Valeton (Ag.): Die Künste und die Wissenschaften im Exil 1933-1945. Gerlingen: Verlag Lambert Schneider 1992. 671 $. Ursprünglich DM 78,- (ungefähröS 550,-),jetztumöS 70,- gesehen bei: Buch am Stein, 1090, Wahringer Str.2-4. 47