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Ben ar a wegen, einen Gedanken. Kein einziges Mal bedient er sich der von ihm gewürdigten Aufrührer, um sich selbst zum Rebellen zu erhöhen. Das Buch trägt ein verfängliches, für den deutschen Buchmarkt höchst ungeeignetes Wort im Titel: Österreich. Mit Wien hätten durchschnittlich gebildete und überdurchschnittlich alphabetisierte Deutsche noch etwas assoziiert, das sie vielleicht zur Lektüre verleiten würde. Das Burgtheater als unsittliche Anstalt, der Charme grantiger Kaffeehauskellner, Freud, Mozart und Frau Mutzenbacher. Daß Wien nicht zu Deutschland gehört, kann ihnen ein Wiener zur Not auch ohne Watschen ausdeutschen, Daß Österreich als ganzes aber kein teutonisches Ländchen ist, wie Sachsen, Württemberg oder Bayern, das bleibt auch kultivierten und politisch korrekten Nachbarn oft verborgen. In einem Abschnitt zu „Österreich & Deutschland GesmbH - Zum Stand des Konkursverfahrens“ reflektiert Gauß die Ignoranz der Großmacht und die kleinstaatliche Neigung zur Selbstaufgabe, das heißt Österreichs Aufgehen im Prinzip Deutschland. „Und dieses Prinzip heißt Deutschland nur aus dem Zufall der Geographie und Europa nur aus dem Zwang der Zeit. In Wahrheit heißt es Macht, Herrschaft, Stärke. Immerhin als Beutestück oder als freiwillige Opfergabe dem Starken anzugehören, ist die Sehnsucht des vermeintlich Schwachen. Und es wächst sein Appetit darauf, verschlungen zu werden.“ Erich Hackl Karl-Markus Gauß: Ins unentdeckte Österreich. Nachrufe und Attacken. Wien: Paul Zsolnay Verlag 1998. 180 S. a Ein britischer Blick aufs deutschsprachige Exil J.M. Ritchies neues Buch In der interdisziplinären Buchreihe „Exil-Studien“, erschienen im Peter Lang Verlag, liegt nun ein stattlicher Band aus der Feder von J.M. Ritchie, Emeritus Professor, Begründer des Centre for Exile Studies an der University of Aberdeen (1988) und Mit-Herausgeber der Zeitschrift German Life and Letters vor. Seit seiner Emeritierung ist Ritchie Honorary Research Fellow am Institute of Germanic Studies in London sowie Vorsitzender des Research Centre for German and Austrian Exile Studies an der University of London. Der Band versammelt fast eineinhalb Dutzend Beiträge aus den 80er und 90er Jahren in englischer Sprache, die z.T. als Vorträge, z.T. als Aufsätze in diversen einschlägigen Sammelbänden konzipiert waren. Der Begriff im Titel, „German Exiles“, umfaßt— und das sei vorweg gesagt — selbstverstindlich nicht nur ,,deutsche“, sondern auch österreichische und tschechische Emigranten. Die Themenauswahl ist 54. breit gesteckt, und die Palette spiegelt auch die besonderen Schwerpunktinteressen des Verfassers wie etwa die Literatur der Weimarer Republik und den Expressionismus wider. Es sind Einzeluntersuchungen, die eine Vielfalt von Aspekten bzw. „Perspektiven“ abdecken. „Refugees from Nazism“ (8-29) am Beginn des Bandes etwa zeichnet in knappen Zügen die Einwanderung nach Großbritannien, die Zusammensetzung der Flüchtlinge sowie die einschlägige Gesetzgebung (Stichwort: Durchgangsland). Es waren, so Ritchie, die Akademiker, Wissenschaftler, die ab 1933 die deutschen Universitäten verlassen mußten, die an den heimischen Universitäten Fuß fassen und der Wissenschaft in Großbritannien einen enommen Dienst leisten konnten. Der Aderlaß einerseits, der Gewinn andererseits läßt sich auch in Zahlen gießen. In den Büchern der Society for the Protection of Science and Learning in London fanden sich bis 1938 unter anderem die Namen von 1.400 deutschen und 400 österreichischen Wissenschaftlern. Ritchie nennt stellvertretend mehrere Namen und erfolgreiche Karrieren, Schwieriger war die Akklimatisation bei Künstlern, und nicht nur sie mußten gegen Sprach- und Kulturbarrieren und Landessitten ankämpfen. Musiker wurden, so der Verfasser, egal wie begabt, im allgemeinen ausgegrenzt. Das Land wurde auch für einige Verleger zum Zufluchtsort. Ritchie nennt z.B. Walter Neurath, der aus Wien kam und in London des Verlag Thames and Hudson gründete, sowie den Berliner Kurt Maschler. In diesem Zusammenhang wären auch noch die Wiener Paul Zsolnay, Ludwig Goldscheider und schlieBlich Bela Homvitz oder der Buchhändler Josef Suschitzky zu nennen. Auch von Kulturzeniren ia London ist die Rede, so z.B. vom FDKB, dem Freien Deutschen Kulturbund, und dem im März 1939 eröffneten, als Club organisierten Austrian Centre, das 1944 3.500 Mitglieder zählte. Dessen Ehrenpräsident war Sigmund Freud. Der Überblick informiert auch über den deutschsprachigen Dienst der BBC. Die Einwanderungspolitik Großbritanniens ab 1938 erweist sich hier natürlich als kein Rubmesblatt. (Die von Kanada, wohin ,,rassisch™ Verfolgte und Nationalsozialisten bei gleicher Behandlung verfrachtet wurden, ebenso wenig.) Ritchie bietet in diesem Kapitel einen umsichtigen Überblick. Ein weiteres Kapitel is Wilhelm Sternfeld (1888-1973) gewidmet, der, nach Zwischenstationen in Frankreich und Prag im Mai 1939 nach England emigrieren konnte, Sternfeld ist einer ganzen Generation von Exilforschern durch sein gemeinsam mit Eva Tiedemann erstelltes Werk Deutsche Exil-Literafur. 1933-1945. Eine Bio-Bibliographie (1962, 21970) bestens vertraut. Weitere Abhandlungen in diesem Kompendium von Einzelstudien befassen sich mit ,,Literary Exile in Great Britain“ und ,,Expressionism in Exile in Great Britain“. Letzeres Thema wird als gutes Beispiel für den Kulturtransfer angesehen. Nach den allgemeinen Ausführungen wendet sich Ritchie einzelnen Autoren zu, wie z.B. Karl Otten, dem ein Porträt gilt, dem Exiltheater in Großbritannien allgemein, sowie einem weniger gut dokumentierten Thema, nämlich der‘ Anti-Kriegs-Bewegung auf der Bühne, den Exildramen von Hans José Rehfisch, Werfels 1, cobowsky usw. a4 Drei der insgesamt achtzehn Abschnitte did ses Bandes sind ausdrücklich Frauen im Exil: in Großbritannien vorbehalten. Ritchie meint, daß schreibenden Frauen im;engliz | schen Exil zunächst, d.h. in den frühen Tagen der Exilforschung, weniger Aufmerksamkeit ! geschenkt wurde, weniger etwa als den Exi- | lantinnen in der Tschechoslowakei, Frank» ' reich, den Niederlanden oder Amerika. Man | befaßte sich vorwiegend mit einigen wenigen bekannteren deutschen Schriftstellerinnen, ; die kurzfristig in England Zuflucht gefunden hatten, und übersah österreichische wie auch sudetendeutsche Autorinnen. Diese Situation | hat sich seit Anfang der 80er Jahre, so Ritchie, stark - und zum besseren - verändert. Im Überblick („Women in Exile in Great | Britain“) werden Schriftstellerinnen genannt, die heute manchmal mehr, manchmal. weniger bekannt sind. Darunter befinden sich | wv.a. Evelyn Anderson (geb. Lore Seligmann), Käthe Braun-Prager, Elisabeth Casto- © nier, Bettina Ehrlich, Grete Fischer, Christa Winsloc, Henriette Hardenberg, Elisabeth | Janstcin, Mela Hartwig, Gitta Deutsch, Herr | mynia Zur Mihlen, Hilde Monte, Anna Sebastian (d.i. Fried] Benedikt) und Hilde Spiel.: Ein eigenes Porträt ist der gebürtigen Wienerin ' Anaa Gmeyner gewidmet („Anna Gmeyner | and the Scottish Connection“), die, vor allem dank des Engagements des Persona Verlags, der wölligen Vergessenheit entrissen wurde, ‘ Umer den weiteren Beiträgen wären zu nennen „langard Keuns Weimar Girls“, eine faszinie, vende biogmplische Skizze Uber den WahlOnterscicher Ernest Bomemann, der sonst als | „Sea-Quns“ sinreotypisiert wird. Die Lyriker ? worden in diesem Band schließlich auch wort stellt mit ihren „London Poems“. Wie J.M. Ritchie in seinem Schlußwort ie tiert, ist nach den eher schleppenden Anfängen | im Bereich der Erforschung des Exils in Groß- ; britannien vieles nachgeholt worden, nicht zu- 3 ketzı dank. institutioneller Rückendeckung und ? Initiativen. Der. Beitrag des Verfassers ist | exemplarisch. Bemängelt von ihm wird aller- | dings der Umstand, daß dem „Austrian element“ nicht genügend Gewicht beigemessen } worden ist und daß etwa die Rolle jener Flücht- ' linge, die nach England über die Tschechoslo: ? wakei gelangten, bislang nicht ee Be: würdigt worden ist. Die einzelnen Beiträge dieses Buches, seien sie ° als Überblick konzipiert oder einen Spezialthema gewidmet, spannen einen ebenso weiten ? Bogen wie die bibliographierte und herangezo- * gene Sekundirliteratur und bieten so etwas wie eine Einführung — gleichermaßen für „Anfänz ger“ und für „Fortgeschüttene“. q Murray G. Hall , J.M. Ritchie: German Exiles. British en i tives. New York u.a.: Peter Lang 1977, 334 S, © USD 55,95 (Exil-Studien. Ein interdisziplinäre Buchreihe. 6).