„Nur Ewigkeit ist kein Exil“
Ingrid Wiltmanns Buch enthält 29 Gespräche
mit namhaften Israelis, die zwischen 1925
und 1990 nach Palästina-Israel einwander¬
ten. Die Interviews wurden hauptsächlich mit
Einwanderern aus dem deutschsprachigen
Raum geführt, aber nicht nur mit ihnen. Zu
Wort kommen auch Aharon Megged und
Zygmunt Frankel aus Polen, Karen Alkalay¬
Gut aus den USA, Manfred Winkler aus der
Bukowina, Sami Michael aus Bagdad,
Efraim Bauch und Marina Borshcher aus
Rußland. 29 Stimmen, 29 Schicksale, bewe¬
gende Schicksale. Auch wenn der Leidens¬
weg der meisten Interviewten im Europa der
Hitlerzeit, ihre Schwierigkeiten der Einge¬
wohnung im neuen Land mit der Akkultur¬
ation einen gemeinsamen Nenner haben, so
ist doch jedes Schicksal ein Einzelschicksal.
Bemerkenswert ist der Lebensweg von Lea
Fleischmann, die sehr bekannt ist durch ihr
erstes Buch Dies ist nicht mein Land, und von
Jakob Hessing, Professor fiir deutsche Lite¬
ratur an der Uni Jerusalem, Schriftsteller,
Journalist und Ubersetzer. Beide sind in
Deutschland geboren und aufgewachsen, L.
Fleischmann 1947, J. Hessing 1944. Sie
wählten Israel als Heimat.
Die Schriftsteller unter den Interviewten
wurden gefragt, in welcher Sprache sie
schrieben: Schalom Ben Chorin, Benno
Fruchtmann, Alice Schwarz-Gardos, die
auch Chefredakteurin der deutschsprachigen
Tageszeitung Israel Nachrichten ist, und Lea
Fleischmann schreiben nach jahrzehntelan¬
gem Leben in Israel deutsch. Wie sagte Ben
Chorin: Aus einem Land kann man auswan¬
dern, aber nicht aus einer Muttersprache.
Aharon Megged, Jehuda Amichai und David
Schütz, die als Kinder ins Land kamen, sind
mühelos zur hebräischen Sprache übergegan¬
gen. Tuvia Rübner, Manfred Winkler, der
Celan-Übersetzer, und Efraim Bauch schrei¬
ben in zwei Sprachen. Diese Vielfalt der
Sprachen in der israelischen Literatur — in
Israel gibt es elf fremdsprachige Schriftstel¬
lerverbände, deren Vorsitzender Efraim
Bauch ist — beleuchten die multikulturelle
Vielschichtigkeit des Landes.
Der rote Faden, der durch alle diese Inter¬
views geht, ist die Frage nach dem Exil. Was
versteht jeder der Befragten unter Exil? Uri
Avneri definierte das Wort Exil treffend:
„Exil bedeutet, daß man irgendwo hingehört,
von diesem Ort verbannt wird und dahin zu¬
rückkehren will. Exil, lateinisch exilium, ba¬
nishment, exul, in der Fremde weilend, ver¬
bannt.“ Jeder, jede Einzelne der Befragten
erklärte, daß Israel Heimat sei, auf keinen
Fall Exil.
Ingrid Wiltmann ist Schriftstellerin, Übersetze¬
rin und in Literaturkursen für Erwachsene täti 8
lebt in Mainz. Sie hat mit diesem Buch in ein¬
fühlsamen Interviews eine wichtige Dokumen¬
tation geleistet, die einen lebendigen und au¬
thentischen Einblick in die Lebensgeschichten
von namhaften Persönlichkeiten in Israel gibt,
über ihre Vergangenheit, ihre Einwanderung
nach Palästina-Israel, ihre Einstellung zum
Land, die bei allen positiv ist und den Friedens¬
prozeß unterstützt.
Das Buch enthält außerdem eine informative
Zeittafel zur jüdischen Geschichte, die vom
10. Jahrhundert v.d. Zeitrechnung bis ins 20.
Jahrhundert, bis zum 29. 5. 1996 führt, dem
Wahlsieg des Likudblocks mit Ministerpräsi¬
dent Benjamin Netanjahu. Ein weiterer wert¬
voller Beitrag ist die Erklärungstafel der vor¬
kommenden jüdischen und israelischen Be¬
griffe.
Dieses Buch wird in Zukunft für Bibliotheken
und Forschungen ein wichtiges und aufschlu¬
ßreiches Zeitdokument darstellen.
Hanna Blitzer
Ingrid Wiltmann: Nur Ewigkeit ist kein Exil.
Mohlin, Villingen: Rauhreif Verlag 1997,
Zwar hatte man gelegentlich von diesem Natio¬
nalsozialisten mit dem slawischen Namen ge¬
hört, ihn aber nicht als führenden Vertreter,
sondern mehr als Randfigur betrachtet. Sieg¬
fried J. Pucher ist nun dem Leben und den
Verbrechen dieses Mannes nachgegangen, den
die Geschichtsforschung bislang eher vernach¬
lässigt hatte.
Odilo Globo£nik wurde 1904 in Triest als Sohn
eines Postbeamten slowenischer Herkunft ge¬
boren, der sich jedoch als Deutscher fühlte.
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs übersiedelte
die Familie nach Klagenfurt. Im Dunstkreis des
„Kärntner Abwehrkampfes“ bildete sich der
„Heimatschutz“, deren Kadergruppen von der
NSDAP übernommen wurden. Bereits vor sei¬
ner Matura war Globo£nik in der NSDAP tätig.
„Er war vor Begeisterung in Ekstase über die
NS-Idee und vollkommen unkritisch gegen¬
über diesen Ideen und auch antisemitisch.“
Globo£nik mauserte sich zum Organisator und
Parteifunktionär mit dem Ziel des „‚Anschlus¬
ses“ Österreichs an das Deutsche Reich und
intrigierte, um seine Machtposition zu stärken.
Für dieses Ziel setzte Globo£nik seinen ganzen
Ehrgeiz ein. Ehrgeiz soll sein auffälligster Cha¬
rakterzug gewesen sein, urteilt Pucher.
Jedoch wurde seine führende Rolle von den
neuen Machthabern nicht entsprechend gewür¬
digt. Er fühlte sich enttäuscht und übergangen,
weshalb er nach neuen Verbündeten und För¬
derern suchte. In Heinrich Himmler und der SS
fand Globo£nik die geeigneten Partner.
Am 22. Mai 1938 wurde Globo£nik im Großen
Wappensaal des Klagenfurter Landhauses zum
Gauleiter von Wien vereidigt.
Zur „Judenfrage“ sagte Globo£nik in seiner
Antrittsrede: „‚An der Lösung dieser Frage wird
intensiv gearbeitet, dennoch kann diese nicht
binnen weniger Wochen erfolgen, weil hier im
besonderen Maße auf das Interesse der Wirt¬
schaft Rücksicht genommen werden muß. So¬
weit es das Interesse unserer Volksgenossen
erfordert, werden wir auch vor radikalen Ein¬
griffen zurLösung der Judenfrage nicht zurück¬
schrecken. Wir werden aber noch viel radikaler
gegen jene eigenen Volksgenossen vorgehen,
die es auch heute noch nicht unter ihrer Würde
finden, bei Juden zu kaufen und mit ihnen Ge¬
schäfte zu machen.“ (Völkischer Beobachter,
12. Juni 1938)
Im Zuge der Arisierungen flossen enorme
Geldbeträge in die Kasse der Wiener Gaulei¬
tung, die Globoönik jedoch nach eigener
Machtwillkür verteilte, zudem rechnete er Bei¬
träge von Parteimitgliedern nicht ab, sondern
behielt sie für seine Zwecke. Als Folge davon
schlitterte der Gau Wien in die totale Pleite, was
schließlich zur Absetzung Globo£niks führte.
Dennoch gelang Globo£nik mit Hilfe Himmlers
die Fortsetzung seiner Karriere. Am 9. Novem¬
ber 1939 wurde Globotnik zum SS-Brigade¬
führer des Distrikts Lubin ernannt. Nach den
Plänen der SS nahm der Distrikt Lubin für die
rassische Neuordnung Europas eine Schlüssel¬
position ein. Hier wurde ein Mann wie Globoée
nik benötigt, der sich einerseits nicht um Vor¬
schriften scherte und vor unkonventionellen
Lösungen nicht zurückschreckte, andererseits
aber dem Reichsführer SS unbedingt ergeben
war.
In Polen wurde Globo£nik zum unerbittlichen
Vollstrecker des nationalsozialistischen Ras¬
senwahns. Bevor die Juden ermordet wurden,
sollte ihre Arbeitskraft restlos ausgebeutet wer¬
den. Und Globo£nik erwies sich darin als einer
der radikalsten Diener seines Herren.
1943 in die Operationszone ,,Adriatisches Kii¬
stenland“ verlegt, als Italien sich den Alliierten
zugewandt hatte, setzte Globo£nik die Depor¬
tationen und Ermordung der Juden fort.
Nach Kriegsende wurde Globo£nik auf einer
Alm an der Ostseite des Kärntner Weißensees
von einer britischen Patrouille gemeinsam mit
anderen SS-Größen verhaftet. Einem gerichtli¬
chen Urteil entzoger sich durch Einnahme einer
Zyankalikapsel. Als Globoénik auf seiner
Flucht im Mai 1945 bei einem früheren Be¬
kannten am Wöhrtersee aufgetaucht war, hatte er
zu diesem gesagt: „Zwei Millionen ham ma
erledigt. Wahrscheinlich werd’ ich jetzt zahlen
müssen dafür.“
Siegfried J. Puchers Studie über Odilo Globo&e
nik, den Kämpfer für den „Anschluß“ und
Vollstrecker des Holocaust, zeigt die Eckdaten
eines Mannes, der fanatisch an eine Idee glaub¬
te und ihr konsequent folgte, wobei Pucher
nicht interpretiert oder möglichen psychologi¬
schen Hintergründen nachspürt, wodurch der
Fall eine exemplarische Dimension erhält. Odi¬
lo Globo£nik steht für jene Basis, auf die sich
ihn ermöglichte.
Manfred Chobot
Siegfried J, Pucher: ,,...in der Bewegung fiih¬
rend tatig“. Odilo Globoénik — Kimpfer fiir den
„Anschluß“, Vollstrecker des Holocaust. Mit
einem Vorwort von Karl Stuhlpfarrer. Klagen¬
furt/Celovec: Drava Verlag 1997. 176 S. OS
248,-.