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und durch zwei seiner Ansicht nach exemplarische Besprechungen im Rezensionsteil), Gerhard Scheit, Evelyn Adunka und Vladimir Vertlib haben zu antworten versucht. Peter Roesslers und Gerhard Scheits Versuche über Karl Kraus und Thomas Bernhard stehen in demselben Kontext. Wie gerufen kam uns Fritz Beers „Brief an eine Freundin“ , in dem er erklärt, warum er bestimmte Bücher nicht lesen und schon gar nicht besprechen kann. Die Frage, wie Bücher über die nationalsozialistische Konzentrationslager überhaupt geschrieben werden können, setzt sich hier in der Frage fort, unter welchen Voraussetzungen sie überhaupt gelesen und aufgenommen werden können. Die Frage wird leider nur von der einen Seite gestellt, von der Seite eines selbst V ertriebenen, eines Betroffenen, dessen Eltern und Brüder in der NS-Zeit ermordet worden sind. Wie aber stellt sich diese Frage für einen (oder eine), für den diese Betroffenheit nicht der Ausgangspunkt ist, sondern möglicherweise erst der Endpunkt? Zu wünschen wäre eine Untersuchung, wie Exil- und Widerstandsliteratur in österreichischen Medien besprochen wird und wurde. Aus eigener Erfahrung wissen wir, daß der Umgang mit ihr hauptsächlich immer noch darauf beruht, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wo sie aber zur Kenntnis genommen wird, pendelt die Rezeption meist zwischen betulichen Gesten der Wiedergutmachung und einer befremdenden Faszination durch das ‘unnennbare Grauen’, auf das Erinnerungen von Überlebenden der Shoah verweisen. Das Wort Kritik rührt bekanntlich von dem griechischen Krisis her, der Entscheidungsphase des Prozesses, die dem Urteilsspruch vorausgeht; in unserem heutigen Sprachgebrauch steht Krise für eine Entscheidungssituation, deren Ausgang offen ist, sich nicht absehen läßt: es ist ein Moment des Gärenden, Unidentischen, Unbestimmten in den festgefügten Formen, Verrichtungen und Vorsorgen, die den Alltag regeln. (Wirtschaftskrise hingegen ist ein Wort, das Chaos, Vergeudung von Ressourcen, Ungleichmäßigkeiten der Entwicklung, Wirtschaftskriege und Fehlspekulationen mehr zu- als aufdeckt und so auch in Kreisen, die das Wort Krise gern aus dem Sprachschatz eliminiert sähen, hohes Ansehen genießt.) Unkritisch wäre demnach eine Auffassung von Literatur zu nennen, die allem Krisenhaften mit dem immer gleichen Vertrauen in dessen letztlich harmonische Selbstauflösung begegnet. Diese Auffassung ist leicht mit Güte oder Freundlichkeit zu verwechseln. ‚Es wird sich schon auswachsen, es wird schon ins Lot kommen“, gibt sie den Menschen und Büchern zu verstehen. Das Vertrauen auf die letztlich harmonische Selbstauflösung allen Krisenhaften beruht auf dem Glauben, daß die festgefügten Formen am Ende doch die Macht besitzen, einem gemauerten Flußbett gleich alle Wirbel und Strömungen in sich aufzunehmen und fortzuleiten. Eine kritische und nicht humorvoll begütigende oder idyllisierende Literatur engagiert sich nicht als intellektueller Stoßtrupp eines wie immer gearteten Krisenmanagements, sondern greift die neuen Möglichkeiten, die offenen Horizonte, die im Verlauf einer Krise aufblitzen, ebenso auf wie das Stockende, Nicht-weiter-Könnende: das Leid. Die Exilliteratur ist für uns in dieser Hinsicht geradezu das Modell einer kritischen Literatur. Da aber in unserer Zeit die geschichtlichen Alternativen offenbar nicht so bei der Hand sind, um dem Triumph des Festgefügten, der im Ausgang der Krise droht, auch nur eine trügerische Zwischenschicht, einen Wunschtraum, eine Projektion entgegenzusetzen, erscheint das Festgefügte als der über das in der Krise widerspruchvoll Lebendige verhängte Tod, als drohende Erstarrung, retour 4 la normale, Restauration. Die Restaurationen folgen zwanghaft den Renaissancen. Tucholskys ,,Wir kehren langsam wieder zur Natur zurück“ ist allgegenwärtig. Und für die Schreibenden stellt sich immer von neuem die Frage, wie sie mit dem Tod des von ihnen Zusammengeführten und zu Leben Erweckten umgehen, wie sie dem offenen Horizont (die Utopie?) und dem Leid, die ihre Lust aneinander haben, lebendige Gestalt geben, ohne sie zu zerstören. Der Literaturkritik jedenfalls fiele, bei ihrem Namen genommen, die Aufgabe zu, den kritischen Gehalt der Literatur aufzuspüren und zu analysieren, am konkreten Werk das Gelungene, aber ebenso das noch Verhinderte und Weiterzutreibende sichtbar zu machen. Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser VERLAG DER THEODOR KRAMER GESELLSCHAFT Peter Heller: Der junge Kanitz und andere Geschichten. Mit einem Nachwort von Beatrix Müller-Kampel. 119 S., öS 180,-/DM 26,-/SFr 24,Herbert Kuhner: Minki die Nazi Katze und die menschliche Seite. Prosa. Mit einem Nachwort von Konstantin Kaiser. 138 S., 6S 200,-/DM 29,-/SFr 27,Anna Krommer: Staub von Städten: Ausgewählte Gedichte. Hg. und eingeleitet von Sabine Prem. Nachwort von Walter Grünzweig. Mit Zeichnungen von Peter A. W. Kubincan. 85 S., 6S 140,-DM 20,-/SFr 18,Erwin Chvojka/Konstantin Kaiser: Vielleicht hab ich es leicht, weil schwer, gehabt. Theodor Kramer 1897 - 1958. Eine Lebenschronik. Mit 40 Abbildungen und Faksimiles. 118 S., 6S 180,DM 26,-/SFr 24,Ein Verlag für Exilliteratur A-1020 Wien, Engerthstr. 204/14 Tel.(+43 1) 729 80 12, Fax 729 75 04 SCHÖNE, BÖSE BÜCHER AUS DEM EXIL