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Konstantin Kaiser Schweiz, Österreich, Literatur Dieser Aufsatz erschien zuerst als eine Diskussion mit Peter von Matts Essayband über die Schweizer Literatur (,,Der Zwiespalt der Wortmächtigen. Essays zur Literatur“, Zürich 1992) in. der Wiener Tageszeitung ‚Die Presse“, 2. Mai 1992, also vor mehr als sechs Jahren. Der von mir vorgesehene Titel ‚Der Zwiespalt der Schweiz im Zwiespalt der Wortmächtigen“ war leider nicht gut genug; die Redaktion erfand den Titel ,,In den Winkeln der Provinz“, ein Titel, der der Tendenz meines Aufsatzes diametral entgegengesetzt war und die Lektüre sicher nicht erleichterte. gibt mir die Gelegenheit, meinen nicht ganz glücklich ans Licht gekommenen Aufsatz neu durchzusehen und ein wenig auf den aktuellen Stand zu bringen. K.K. Peter von Matt, Professor der Germanistik in Zürich und leider auch einst Juror des unseligen Bachmann-Wettlesens, ist ein vernünftiger Mann, den man für manche Sätze küssen möchte. So verglich er vor Jahren Theodor Kramers gereimte Strophen mit einem bequemen Schuhwerk, das man auf langen W anderungen eben braucht. Das Langwellige, Epische hat es ihm auch in der Geschichtsschreibung der Literatur angetan. Allem kriegerischen Marktgeschrei von deren ,,rasendem Tempo“ zum Trotz behauptet er die Einsicht, daß die Perioden der Literatur nicht mit den Frühjahrs- und Herbstprogrammen wechseln, sondern eine Dauer von Jahrzehnten haben, eine ausgedehnte Gegenwart, die sich an relativ gleichbleibenden Grundproblemen abarbeiten muß. Die Literatur ist langsam, aber sie kommt doch allmählich voran, sodaß sie ihrer Zeit am Ende voraus ist, während die Raserei des Wechsels vermutlich auf der Stelle tritt. Peter von Matts Essays und Reden aus den Jahren 1982-91 breiten ruhig und überlegt ein großes Wissen aus, das nicht so sehr ins Detail, als auf die ‘Dinge selbst’ geht. Matt weiß mit Gottfried Keller, daß zur „Demokratie das Gelächter gehört“ , daß der Putsch, den man gewöhnlich nur versucht, aus der Zürcher Umgangssprache kommt, daß die ,,Erschaffung der Kunstfigur mit porträtähnlichen Zügen, die als Erzähler, Berichter, Verfasser dem realhistorischen Schreiber vorgeschaltet wird“ , Robert Walsers ,,entscheidender dichterisch-erfindender Akt“ ist. Ob es nun um Friedrich Diirrenmatts dramaturgisch perfekte ,, Domestizierung“ des bedrängenden Bildes oder um Gerhard Meiers Aufbau einer Literatursprache ‘von unten’ zu tun ist, Peter von Matt weiß Erhellendes zu sagen. Bei ihm sind Wahrheiten nicht „nützliche Lügen“, die österreichische Feuilletonschreiber, mit Friedrich Nietzsche kokettierend und Jörg Haider detestierend, mitunter chick finden. „Die Wahrheit will sich immer mit dem Wort verbinden, und das Wort mit der Tat und die Tat mit der Gewalt.“ Der prekären Stellung des Wortes zwischen der Wahrheit und der Tat, die die Gefahr der Komplizenschaft mit der Macht in sich birgt, kann sich der Schreibende nicht durch die Fiktion der eigenen Ohnmacht oder der allgemeinen Lüge entziehen, und schon gar nicht durch die Fiktion, die im Begriff der Fiktion selbst liegt. Er kann den Zwiespalt nicht vermeiden, er müßte denn die Wahrheit preisgeben. Mit der Preisgabe der Wahrheit wäre nur ein labiles, von der Macht jederzeit widerrufbares Arrangement erreicht. Der Schreibende kann seine Verantwortung nur wahrnehmen, wenn er sich auf ein konkretes Gemeinwesen mit seinen 4 schönen Ungereimtheiten und häßlichen Übereinstimmungen, seinen Glücksverheißungen und Leidensforderungen bezieht. Aber damit ist der ,, Wortmichtige“ verwiesen auf die Teilhabe an einer bestimmten Kultur, auf die Auseinandersetzung mit deren Ideologemen und Überlieferungen, spezifischen Verwerfungen und Rückschlägen. Gerade diese Teilhabe, so selbstverständlich sie in der Schweiz scheint, ist ein altes Problem der österreichischen Literatur. Ich erinnere mich an einen vor etlichen Jahren erschienenen Aufsatz der Salzburger Germanistin Sigrid Schmid-Bortenschlager, ,,A — CH: Literatur(en) in Osterreich und in der Schweiz. (K)ein Vergleich“. Der Aufsatz erklart trotz des angestrengten Titels recht gut, warum wir sofort hellhérig werden und zu vergleichen beginnen, sobald von der deutschsprachigen Literatur der Schweiz die Rede ist. Den Schweizern macht die Abgrenzung von der deutschen Literatur schon deshalb weniger Sorge, weil bei ihnen das „‚Verantwortungsbewußtsein“ für das Gemeinwesen vor der für Österreich typischere ,,Sprachthematisierung“ steht. (Ob Sprachfetischismus oder Sprachkritik — nicht nur die Abneigung gegen ‚‚die Phrase, die Macht und das Geld“ hieß den österreichischen Schreiber, die Sprache als heikles Gut zu achten, sondern ebenso die fragwürdige Mission, dem slawischen Osten die deutsche Kultur zu präsentieren. Und dies ist noch höflich gesagt.) Bejahten die Schweizer grundsätzlich die eigene politische Ordnung, so sei den Osterreichern die ,, Ablehnung des Staates immer Selbstverständlichkeit“. Die Subalternität österreichischer literarischer Figuren sei ‚‚das exakte Gegenteil des oppositionellen, verantwortlichen und selbst entscheidenden Bürgers der Schweizer Literatur“. Hier allerdings erhebt Peter von Matt Einspruch. Die Schweizer ,,Ursituation“, meint er, „ist die des Davongekommenen, des aus Verschlagenheit, Gutmütigkeit und einigen altertümlichen Instinkten just noch Entlaufenen“. Die Ich-Stärke, die Schmid-Bortenschlager bei den Schweizern beobachtete, hat offenbar in den letzten zehn Jahren Schaden gelitten. Eine feindliche Macht ist hinter ihr her, und Archaisches wird ihr wieder notwendig. Die Epoche des „kritischen Patriotismus‘“ der Schweizer Literatur mit der Zentralgestalt Max Frisch neigt sich dem Ende. Kritischer und emotionaler Patriotismus Matt, der sich selbst als naiven Patrioten bezeichnet, mit einem „urtümlichen Bedürfnis ..., das Land zu lieben, in dem man geboren ist“, unterscheidet zwischen einem emotionalen und einem kritischen Patriotismus. Der emotionale Patriotismus moderner Prägung sei in der Zeit des Zweiten Weltkriegs als Ausdruck des Selbstbehauptungswillens der vom Faschismus unmittelbar bedrohten Schweiz entstanden. Erfüllt von ,,vaterländischen Idolen und Idealen recht einfacher Art“ habe er das Bild der „guten Schweiz“, das ‚kleine saubere Schweizerhaus auf der umbrandeten Insel im Weltmeer“ gezeichnet, ,,von einer liebenswürdigen Familie bewohnt, die konfliktfrei zusammenlebt“. Dem trat der kritische Patriotismus der Schweizer Literatur mit der Absicht entgegen, ‚die falschen Metaphern und Vorstellungen von der Schweiz zu zerstören“. Er entwarf das Gegenbild einer „bösen Schweiz“, deren Bocksnatur nicht irgendwo von draußen kam, sondern in den Lämmchen der „guten Schweiz“ selbst steckte. Die Geburtsstunde des kritischen Patriotismus, markiert durch das Erscheinen von Max Frischs „Stiller“ (1954) schlug, ‚als die Kriegs- und Hitlerzeit endgültig der Vergangenheit angehörte“. Stillers „Ich bin nicht Stiller“ bedeutete in einem: „Die Schweiz ist nicht die Schweiz.‘ Ihre Identität ist zu klären.