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Auslands, auf deutsches Kunstgewerbe hereinzufallen, kann durch eine Kulturpolitik, die sich fanatisch unter dessen Niveau begab, nur bestärkt werden; und auch Oxford entbehrt ja nicht des Ehrendoktorats.“ (39) Die Prognose, daß Reinhardts Vertreibung zu gesteigertem Ruhm führen werde — wohl durch die Erfolge Reinhardts während der Entstehungszeit der Dritten Walpurgisnacht veranlaßt -, ist, besonders wenn man sie auf die spätere Exilzeit Reinhardts bezieht, so erschreckend wie falsch. Motiviert ist sie unter anderem durch die Kritik an einer österreichischen Presse, die Reinhardts Vertreibung zu bemänteln sucht, um den Magier-Kult fortzusetzen. Das Exil deutscher Theaterleute in Österreich wird von Kraus wiederholt unter dem Aspekt der Kritik an einer Presse wahrgenommen, die das reale Geschehen verschleiert, für die sich aber bloß ,,der atemberaubende Mist unserer Kultursorgen vermehrt“ habe und ‚‚die Prominenz hochschwillt wie noch nie.“ (39) 2. Der Kulissenschmus unter politischen Gesichtspunkten Der Kritik an der Ablenkungsfunktion des Theaterjournalismus steht die Kritik an der publizistischen Auseinandersetzung mit den Theater- und Kulturverhältnissen unter der NSHerrschaft gegenüber. Aus der Sicht von Kraus kann man strenggenommen nicht eigentlich von Gegenüberstehen sprechen, denn es ist im Grunde die gleiche Kritik an der Sprache des Journalismus, der die Wirklichkeit verfehlt oder deren Ungeheuerlichkeiten erst erzeugt. Die niemals auch nur eine Zeile aufgegebene Opposition gegen den Nationalsozialismus führt Kraus nicht automatisch zu einer Versöhnung mit einem Journalismus, der sich über das Geschehen in Hitlerdeutschland empört. Im unmittelbaren Anschluß an die Stelle, in der die Ablenkung durch den ,,Plunder“ als ,,tragisch“ bezeichnet wird, formuliert Kraus, daB ,,die Kulturschmockerei eine lohnende Nebenbeschäftigung bekommen“ habe, „indem es ihr gelang, die Sphären zu verbinden und den Kulissenschmus unter den politischen Gesichtspunkt einzuordnen.“ (114) Als Beispiel dient ihm die in Zeitungsartikeln ausgedrückte Enttäuschung über das Verhalten eines Werner Krauß, der sich von der NS-Theaterpolitik in Dienst nehmen ließ. Eine ‚‚charakterologische Betrachtung der Umstände, in denen sich die Theaterwelt befindet und die oft auch andere sein können“ scheint Karl Kraus ,,selbst dann unergiebig, wenn der existentielle Druck in Berlin nicht den Grad der Erpressung erreicht hätte“. (115) Aus der Sicht von Kraus mußte die ‚„‚knurrend ekstatische Enttäuschung“ von Journalisten über den eben noch von ihnen mit Ruhm bedeckten Werner Krauß gerade die Mechanismen von Prominenz und Kritik verschleiern. Gegen die moralische Enttäuschung setzt er die Erkenntnis, daß es sich bei der Prominenz, die sich in Hitlerdeutschland fördern und feiern läßt, wohl nicht um einen Wechsel der Gesinnung handeln kann, sondern um ein Verhalten, das stets die Gesinnung annimmt, „die seine direktoralen und journalistischen Vorgesetzten annehmen.“ Da der Journalismus bereits an sich als Übel identifiziert ist, wird auch die journalistische Klage über den durch die Nazis verursachten Niedergang der Kultur nicht angenommen: Der Journalismus wäre, selbst wenn ihm eine kühne Entschlußkraft nicht die Titelwirkung geraubt, sondern in zehnfacher Größe erlaubt hätte, keiner Katastrophe gewachsen, denn er ist jeder verwandt. Seine Reklamierung eines beschädigten Kulturbestands, die durchaus von der Hauptsache ablenkt, erfolgt aus dem Begriff einer Solidarität, in der die Menschlichkeit auf die Angehörigkeit reduziert ist. Er hält sich Instinkten verpflichtet, für die es keine Unterscheidung der Lebenswerte gibt und keine Ehrfurcht vor dem Unglück; und so kann er innerhalb des Grauens, das er der Vorstellung eröffnet, immer noch Raum für ‘pikante Details’ haben, wie etwa für den Umstand, daß ein unbegabter, aber tüchtiger, linksschaffener Literat ‘ohne Zahnbiirstchen’ davongekommen ist. (115f.) Bleibt die Klage oder Feststellung österreichischer Publizisten, daß in Hitlerdeutschland kein Journalismus und keine Kritik mehr existiere. Auf solches Urteil geht Kraus ein, als er sich ausführlich mit dem Vorwurf auseinandersetzt, er selbst gehöre zu den geistigen Ahnen Hitlers, da nunmehr sein „Wunschtraum von Hitler erfüllt“ sei, weil es in ,, Deutschland keine Journaille mehr“ gäbe ,,und alle Feinde der Fackel von Reinhardt bis Kerr“ ausgetilgt seien. (37) Dieser Zusammenhang wurde konstruiert, da sich auch die nationalsozialistische Presse des Wortes ‚‚Journaille“ bediente, um die Ausschaltung und Vertreibung jüdischer Journalisten zu legitimieren, selbstverständlich ohne die Verwendung des Begriffes in der Fackel auch nur zu erwähnen. ‚‚Journaillie“ ist übrigens ein Wort, wie an dieser Stelle der Dritten Walpurgisnacht richtiggestellt wird, das nicht von Kraus selbst stammt, sondern von Alfred von Berger, dem Burgtheaterdirektor, Professor, Feuilletonisten und — Theaterkritiker. Dieser - dem, wie Kraus formuliert, „gleichfalls die rassische Eignung mangeln würde, mit Quellenangabe zitiert zu werden“ — habe ihm ,,das Wort einst mit der Bestimmung, daß ihm Flügel wachsen, übergeben.“ Für Hitlerdeutschland konstatiert Kraus nun nicht die Abschaffung, sondern die Steigerung dessen, was er „Journaille“ nennt: Mit der „Auffassung, daß meine Wunschträume von Hitler erfüllt seien“ habe man ‚„‚schon darum Unrecht, weil es ja selbst noch in Deutschland, geschweige in Österreich eine Journaille gibt wie je und je und eine weit aktivere als in der maßvollen Ära, der das Wort entstammt.“ (37 f.) Die Unterstellung, daß sein Kampf gegen die ‚„‚Journaille“ irgendetwas mit der nationalsozialistischen ‚Enteignung der Meinungsgeschäfte und deren rassenmäßiger Erneuerung an Haupt und Gliedern zu schaffen hat“ (38), weist Kraus entschieden von sich. Es hätte dieser Zurückweisung kaum bedurft, davon zeugt das gesamte Werk von Karl Kraus und eben die Dritte Walpurgisnacht als eine der bedeutendsten Schriften gegen das NS-Regime.® Natürlich führt Kraus aber die Widerlegung des Vorwurfs wohl vor allem deshalb so ausfiihrlich aus, um deutlich zu machen, wie in der österreichischen Publizistik der gesteigerte Einsatz der deutschen Presse für die Ziele der Nationalsozialisten verkannt oder verschleiert wird. Die Vorstellung von der Mauer zwischen liberaler Presse und dem nationalsozialistischen Zeitungswesen soll als eine Irreführung entlarvt werden, mit der die österreichischen Zeitungen ihr eigenes Tun legitimieren. Dabei beginnt sich nun für Kraus der Unterschied zu verwischen, er prangert die Herrschaft der Phrase hier wie dort an, sieht, wenn überhaupt, den Unterschied primär in der Steigerung der Phrase. Ein prinzipieller Unterschied zwischen der Meinungsfreiheit der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Presselenkung wird von Kraus schon deshalb nicht anerkannt, weil erstere für ihn eben bloß ‚‚Meinungsgeschäft“ ist. Die Satire gegen das „Meinungsgeschäft“ aufzugeben, hätte für ihn nur zu billigen Kompromissen geführt, wie sie sonst dem Journalismus vielfach auch in seiner moralischen Empörung eignet. Das führt eben zur Situation, daß Kraus trotz — fast ist man versucht zu sagen: wegen — seiner besonderen Hellsichtigkeit die Differenz zwischen repu9