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blikanischer und nationalsozialistischer Presse zu gering veranschlagt. Die Problematik verschärft sich, wenn es um die Vertreibung geht und Kraus — nun wieder auf den Theaterbereich bezogen — aus der Sicht des Satirikers bedauert, daß ihm durch die ,,Entmachtung der Faktoren ,von Reinhardt bis Kerr‘“ die Objekte verloren gingen. Sein Verlust sei größer ,,als der, den die Kulturwelt erleidet.“ (38f.) Dadurch wird aber doch ein Unterschied festgehalten, denn der medial gefeierte ,,Kulissenzauberer“ hat sich noch zur exemplarischen Entlarvung geeignet, während Kraus nunmehr die „Erschaffung einer Geisteswelt, zu der mir nichts mehr einfällt“ konstatiert. Das Mitgefühl des Autors gilt vor allem den anonymen Opfern während der ersten Monate nationalsozialistischer Herrschaft, wenn er über sie schreibt, verläßt er die Satire. Der verfolgten Kulturprominenz hält er diese Namenlosen entgegen, vor allem zeigt er sich in Sorge, daß die von ihm bekämpften A utoren oder Theaterleute durch die Bücherverbrennung, die Entlassungen und Verfolgungen um so leichter in der österreichischen Presse die Prominenz von Kulturträgern erlangen könnten. 3. Kontinuität der Phrase Herrschaft der Phrase hier wie dort? Kraus gibt ein Beispiel der Anpassung eines prominenten Theaterkritikers der Weimarer Republik an die NS-Presse. Es handelt sich um Bernhard Diebold, den Kraus in Anspielung an die Goethesche Zueignung zum Faust als ,,eine Gestalt“ charakterisiert, „die mir erst lange nach dem Weltkrieg genaht ist, eine der schwankendsten, die sich im Vordergrund deutschen Kulturlebens tummeln durften und vermöge ihrer Wendigkeit noch tummeln dürfen.“ (42 f.) Das Schwankende des Theaterpublizisten, der sich stets als Verkünder neuer Richtungen einen Namen machte, wird also hier als Voraussetzung von Diebolds weiterer Schreibexistenz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten angegeben. Ähnlich wie bei der Beurteilung des Schauspielers Werner Krauß kann es keine charakterologische Beurteilung und damit auch keine Enttäuschung geben, da ja das Schwanken als journalistische Eigenschaft identifiziert wird. Kraus nimmt sich, ausführlich zitierend und kommentierend, Diebolds Artikel in der Frankfurter Zeitung vor, in der dieser von einer „‚Zersplitterung der sittlichen Auffassung“ während der letzten Jahre schreibt. Das Beispiel Diebold ist insofern interessant, als dieser keineswegs als lauter Propagandist auftritt, sondern durchaus weiterhin die Haltung des unabhängigen, ja kritischen Journalisten vorführt, sich sogar Sorgen um „die Kultur“ macht, dabei aber in Apologetik den neuen Machthabern gegenüber verfällt. Diebold wagt sogar einen melancholischen Rückblick auf Max Reinhardt, was von Kraus natürlich eigens negativ vermerkt wird, schiebt die Erinnerung an den Regisseur aber beiseite, um, wie die Zitate von Kraus belegen, sein Verständnis für die NS-Kulturpropaganda zu formulieren. Verständnis äußert Diebold beispielsweise für den ,,Reichskommissar“ Hans Hinkel, der „jüdische Karikaturisten und Marxisten“ der Verhöhnung ,,deutsche(r) Größen wie Schiller, Goethe und Kant“ beschuldigt. „‚[S]o müssen wir uns kritisch fragen“, heißt es bei Diebold, ‚‚ob die Berechtigung zu einer solchen schweren Anschuldigung (unter die aber gewiß nicht nur Juden fallen) sich ohne weiteres abstreiten ließe.“ (46) Das Einkehrhalten Diebolds und dessen „kritisches Fragen“ mündet in Angriffe auf Schriftsteller und 10° folgt dabei den Intentionen des Dritten Reiches: ‚‚Oppositionsliteraten wie Karl Kraus und Tucholsky, die immer nur ein ‚Nein’ gegen andere und nie ein zukunftsträchtiges ‚Ja’ aussprachen; Kulturzerstörer wie der undeutliche Dramatiker Brecht konnten weiteste Kreise der Gebildeten verwirren.“ (49) Über Hanns Johst schreibt Diebold, dieser hätte eine „geistige Art, den künstlerischen Nationalismus aufzufassen.“ (50) In der Montage von Zitaten und ihrer Kommentierung durch Kraus nimmt der Journalist, der der NS-Kulturpolitik Vorschläge unterbreitet, bereits die Farbe der Machthaber an: „„Diebold erwartet von Goebbels, dem er nachrühmt, was er selbst hat, einen ‚vor seiner Partei bemerkenswerten Mut’, daß nicht bloß niedergerissen, sondern auch aufgebaut und ‚eigenkräftige Leistungen gefördert werden‘“. (50) Im Sinne von Kraus steht das Beispiel Diebold für eine Kontinuität. Die kultur- und theaterpublizistischen Phrasen Diebolds, ihr ,,schwankender“ Ausdruck, lassen sich mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik versöhnen, stützen diese auch dort, wo der Eindruck von Eigenständigkeit erhalten bleibt, oder lassen sich direkt denunziatorisch gegen demokratische Schriftsteller verwenden. Die Machtergreifung der Nazis, so Kraus, hatte die „‚ersetzbare Gesinnung“ des Journalismus mehr entlarvt als er, Kraus, es vermocht habe. (44) Schon einmal hatte Karl Kraus diese Denkfigur angewandt, am Beginn des Ersten Weltkriegs nämlich, als aus seiner Sicht die Phrase vor der Katastrophe bereitstand und diese Wirklichkeit werden ließ. Kraus schrieb damals von ‚‚dieser großen Zeit, die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war“.’ Die Phrase ist das Signum für Kontinuität, der anerkannte Theaterkritiker Diebold wirkt für Kraus als eines der gräßlichsten Beispiele. Gegen ihn sei sogar der so verachtete Alfred Kerr ‚ein Ehrenmann“ - also gibt es im Konkreten doch Unterschiede, wenn auch mehr des ironischen Vergleichs wegen -, Diebold sei von „‚der Sorte, die sich dem Teufel verschrieb, damit es ihm nicht an Dreck fehle!“ ® Im Falle Diebolds sah die Zukunft allerdings anders aus, der Kotau sollte ihm nichts nützen. Diebold, für den es als Juden im Dritten Reich keine Arbeitsmöglichkeiten mehr gab, mußte 1935 in seine Geburtsstadt Zürich zurückkehren. Das Jahr 1933 ist in der Dritten Walpurgisnacht nicht bloß durch die Kontinuität der ‚‚ersetzbaren Gesinnung“ gezeichnet, es ist das Jahr des Triumphes der Phrase, die Nazis sind bei Kraus die Erben aller Phrasen des Journalismus und sämtlicher mit diesem verwandter Literatur. Als der wichtigste Erbe tritt in der Dritten Walpurgisnacht Joseph Goebbels auf. Nahezu eine Seite lang ist der Satz, mit dem Kraus die Sprache von Goebbels zu charakterisieren beginnt, und er hätte mit diesem Satz auch einen Kulturfeuilletonisten karikieren können: Goebbels ist ein Kenner aller einschlägigen Terminologie, deren Verwendung dem Asphaltschrifttum nicht mehr möglich ist. Er hat die Einstellung wie die Einfühlung, er kennt den Antrieb wie den Auftrieb, die Auswertung wie die Auswirkung, die szenische Aufmachung, den filmischen Aufriß wie die Auflokkerung und was sonst zum Aufbruch gehört, er hat das Erlebnis und den Aspekt, und zwar sowohl für die Realität wie für die Vision, er hat Lebensgefühl und Weltanschauung, er will das Ethos, das Pathos, jedoch auch den Mythos, er besorgt die Einordnung wie die Gliederung in den Lebensraum und den Arbeitsraum der Nation, er umfaßt den Gefühlskreis der Gemeinschaft und die Vitalität der Persönlichkeit, er bejaht das Volksmäßige wie das Übernationale und bevorzugt die Synthese, er verleiht Impulse und gibt Andeutungen im Peripherischen, ehe er