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zur zentralen Erfassung gelangt, um das Latente zu verankern und das Problematische im Zerebralen herauszustellen, er weiß Bescheid um Epigonisches und um Werdendes, wertet das Wollen, erkennt das Gewollte, wie das Kunst ein Gekonntes ist, würdigt das Gelöste, das Aufgeschlossene, das Geformte, und kann zwischen einem Gestuften und einem Geballten unterscheiden [...]. (54) Drei Motive aus der Dritten Walpurgisnacht sollten hier herausgearbeitet werden, die sich auf Schreibweisen der Theater- und Kulturpublizistik beziehen: Ablenkung, Unfähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung und Übergleiten der freien Publizistik in die Apologetik des Nationalsozialismus. Es sind Motive im literarischen Sinne, aus ihnen Thesen zu machen, wäre verfehlt, denn sie sind bei Kraus in vielfache Bezüge gestellt und durch seine satirische Methode geprägt, die sich nicht nur gegen eine Person oder Sache richtet, sondern immer ein ganzes Spektrum von Angriffen umfaßt. Zugleich redet der Autor über sich, er war es, teilt er dem Leser mit, der einst Diebolds Doppelrolle als Kulturkritiker und Reisejournalist beschrieben hatte, damit die eine Rolle durch die andere entlarvend’, er ist es, der durch Diebolds der Konjunktur des Tages folgenden Abqualifizierungen des Komponisten Jacques Offenbach getroffen werden soll. (45ff.) Bereits die Wiedergabe der drei Motive ist also - trotz ausführlichen Zitierens, in das ein Schreiben über Karl Kraus so oft mündet — nur als vom konkreten satirischen Duktus abstrahierende Konstruktion möglich. Auch geht es nicht darum, aus ihnen ein Modell historisch übergreifender Beurteilung von Theaterpublizistik zu machen. Die drei Motive sind im Gegenteil aus ihrem historischen und schreib-biographischen Zusammenhang heraus zu verstehen, sie sind zu Beginn der NS-Herrschaft entwickelt, die Art manchen Angriffs ist hieraus begründbar. Kraus sucht im ersten Jahr der NS-Herrschaft die Eigentümlichkeit von Theaterpublizistik nochmals zu entlarven, fiir inn wird gerade an diesem Punkt das Elend des Genres fast wie von selbst deutlich. Die Ersetzbarkeit von Meinungen, das Schwankende dieses Geschäfts sind die Voraussetzungen für das totale Versagen auch in diesem geschichtlichen Moment. Mehr noch, die Phrase ist gebildet, sie muß nur vom ehemaligen Journalisten und nunmehrigen Propagandaminister verwendet werden. Die Diebold-Passage in der Dritten Walpurgisnacht geht nicht zufällig in die Auseinandersetzung mit der Sprache von Goebbels über. Kraus betrachtet natürlich die Theaterkritik immer im Rahmen des Journalismus und beurteilt sie mit seinem — wie er selbst formuliert — „‚antijournalistischen Denken“ (37). Sie wird bei ihm aber nicht bloß als Teil des allgemeinen Journalismus gewertet, sondern nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Der ‚‚Theaterzauber‘‘ war stets ein Thema, an dem Kraus mit Haß das Niveau der Zeit anprangerte, hier hatte er die bevorzugten Objekte seiner Satire wie Reinhardt oder Piscator, hier war die Entfernung von der Wahrheit, für die die Dichtung stand, deutlich zu zeigen. Da spielte die Entlarvung einer Theaterkritik, die den ,,Theaterzauber“ wortreich ornamentierte eine beträchtliche Rolle. Sie konnte bei Kraus sogar die Hauptrolle spielen, denn auch auf dem Felde des Theaters galt ihm die Zeitungsphrase als das Primäre und das Ereignis als aus ihr Erzeugtes. Der Utopie eines vernünftigen Schreibens über Theater im Rahmen von Zeitungen konnte Kraus nicht huldigen, sowenig wie der Utopie einer vernünftigen Zeitung. Walter Benjamin hat in seinem großen Karl Kraus-Artikel von 1931 solche Utopie als Hirngespinst aufs Korn genommen. Niemand, und Kraus am wenigsten, kann der Utopie einer ‘sachlichen’ Zeitung, dem Hirngespinst einer ‘unparteiischen Nachrichtenübermittlung’ sich überlassen. Die Zeitung ist ein Instrument der Macht. Sie kann ihren Wert nur von dem Charakter der Macht haben, die sie bedient; nicht nur in dem, was sie vertritt, auch in dem, wie sie es tut, ist sie ihr Ausdruck. Wenn aber der Hochkapitalismus nicht nur ihre Zwecke, sondern auch ihre Mittel entwürdigt, so ist eine neue Blüte paradiesischer Allmenschlichkeit von einer ihm obsiegenden Macht so wenig zu gewärtigen, wie eine Nachblüte goethescher oder claudiusscher Sprache.'" Die Illusion von einem liberalen Journalismus, der unermüdlich auf Seiten der Wahrheit steht oder eines Tages stehen wird, ist hier desavouiert. Bei aller Differenziertheit erfolgt das bei Benjamin an dieser Stelle allerdings um den Preis eines gewissen ‚Ökonomismus’, der sämtliche Zeitungsartikel als Ausdruck von Macht, die hier ,, Hochkapitalismus “ genannt wird, fixiert. Bei Kraus kann man Züge eines anders gefaßten ‚Ökonomismus’ finden, wenn er generalisierend vom ,,Meinungsgeschäft“ spricht, dessen Knebelung er nicht oder nur als verlorenen Schreibanlaß THEODOR KRAMER GESELLSCHAFT Die Theodor Kramer Gesellschaft, gegründet 1984 in Wien, versteht sich als kulturelle Vereinigung von Menschen, die die Ignoranz und das Unverstandnis für die Literatur und Kultur des Exils durch geduldige Arbeit zu überwinden suchen. Sie veranstaltet daher Lesungen, Ausstellungen, Symposien und ist auch verlegerisch tätig. Sie ist benannt nach Theodor Kramer (1897 — 1958), dem wohl am meisten zu Unrecht vergessenen österreichischen Lyriker des Exils. Die Gesellschaft legt besonderen Wert auf das Werk der Unbekannten und Verschollenen des Exils. Sie tritt gegen jede Form der Verdrängung des Vergangenen und der Unterdrükkung des Geschehenen ein. Die Gesellschaft gibt die Zeitschrift Mit der Ziehharmonika heraus, die den lebendigen Dialog mit den Exilierten und zwischen Literaturwissenschafterlnnen, Schriftstellerinnen, an der Zeitgeschichte Interessierten sucht. Seit 1990 erscheint auch das Jahrbuch Zwischenwelt: mit Bänden über Theodor Kramer, Jura Soyfer, Literatur in der Peripherie, Exil in Großbritannien, Berthold Viertel, Literatur der ’Inneren Emigration’ aus Österreich. Jahresmitgliedsbeitrag 6S 350,-/DM 50,-/SFr 45,-/USD 30,-, fir Schilerinnen und Studenten 6S 250,-/DM 37,SFr 32,-. (SchlieBt den Bezug des Jahrbuches und der Zeitschrift mit ein). Bitte fragen Sie bei uns an! Eine Gesellschaft für Exilliteratur A-1020 Wien, Engerthsir. 204/14 Tel. (+43 1) 729 80 12, Fax 729 75 04 E-mail: TKG@Compuserve.com THEODOR KRAMER GESELLSCHAFT 11