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Evelyn Adunka Über das Arbeiten mit Büchern Ich bin eine leidenschaftliche Leserin, obwohl nur in Ausnahmefällen von Belletristik. Aus zeitökonomischen Gründen wähle ich aber sehr sorgfältig aus, welche Bücher ich wann und immer mit einem Bleistift in der Hand lese. Auch bei der Auswahl von Rezensionen gibt es für mich verschiedene Kategorien von Büchern. Erstens solche, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit meiner jeweiligen Arbeit stehen und die ich deswegen rezensieren muß, da sie nach ihrem Erscheinen nicht gleich in den Bibliotheken greifbar sind. Zweitens Bücher, die in einem mittelbaren Zusammenhang mit zukünftigen Arbeitsplänen stehen und die.ich deswegen mit vielleicht noch größerem Interesse lese. Ein Beispiel ist Gershom Scholem, über den ich mehrfach schrieb. Drittens Bücher, mit deren Autoren mich eine besondere, meist persönliche Beziehung verbindet. Oft handelt es sich dabei um Autobiographien, die für mich eine faszinierende Literaturgattung sind, da mich persönliche Entwicklungen und Biographien immer besonders interessieren. Gerade bei dieser Gattung wird die oft sehr unterschiedliche und nicht immer leicht formulierbare Qualität der Texte sehr deutlich. Was muß eine gute Kritik leisten? Eine Kritik muß, wie das Wort bereits sagt, unterscheiden zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen und für den Leser die Schwächen und Stärken eines Buches aufzeigen. Sie muß versuchen zu zeigen, warum ein potentiell Interessierter gerade dieses Buch unbedingt auch lesen muß. Idealerweise sollte der Rezensent daher von dem Buch, das er bespricht, innerlich positiv überzeugt sein oder eine bereits vorher bestehende Beziehung entweder zum Autor oder zum Thema haben. In Ausnahmefällen, aber nur in ganz besonderen Situationen, ist auch eine negative Beziehung und daher Kritik zulässig. Sie setzt, wenn sie einseitig negativ und nicht differenzierend ist, aber eine doppelt negative Beziehung, sowohl zum Autor als auch zum Thema des Buches, voraus und ist genau zu erwägen und nur in den seltensten Fällen zu rechtfertigen. Aus diesen Gründen können Klappen- oder Werbetexte niemals eine Rezension, sei sie auch noch so kurz, ersetzen, was heute leider auch in renommierten Publikationen nicht gesehen wird. Aufgrund meiner Auswahlpraxis sind es meist die Stärken der Bücher, auf die es hinzuweisen gilt. Die Schwächen sind heute leider sehr oft auf Fehler des Verlages oder des Lektorats zurückzuführen. Übersetzungsfehler, falsch geschriebene Eigennamen und das Fehlen kundiger Nachworte oder Kommentare sind immer wieder festzustellen. Manchmal täuschen aber auch der erste Eindruck und das Inhaltsverzeichnis. Wenn die Schwächen dann zu offensichtlich sind, verzichte ich gerne auf eine Kritik oder schreibe nur ein paar Zeilen. Dann kann es Fälle geben, wo es andere Gründe dafür gibt, keine Rezension zu schreiben. Ein Beispiel ist die zweibändige Autobiographie von Elie Wiesel, die ich aus inneren Gründen sofort nach ihrer Veröffentlichung lesen mußte und die mich — der zweite Band noch mehr als der erste — in vielem sehr enttäuscht hat. Wiesel ist aber eine heroische Gestalt; er wurde zum Mythos, zu dem Symbol des jüdischen Überlebenden der Shoah, und erlangte eine besondere moralische Autorität. Ihn im deutschen Sprachraum zu demontieren und zu hinterfragen ist daher besonders problematisch. Eine Kritik müßte aufgrund dieser besonderen Konstellation in einem größeren Kontext stehen und sein gesamtes wichtiges und verdienstvolles literarisches Werk miteinbeziehen. Da es aber bereits genügend Sekundärliteratur zu Wiesel gibt, auch in deutscher Sprache, und ich unbekanntere Themen vorziehe, werde ich wahrscheinlich darauf verzichten. Oft kam es auch vor, daß ich Bücher, die zuerst im Ausland erschienen sind und die mir thematisch sehr nahe sind, las — lange bevor sie in der deutschen Übersetzung herauskamen. Der Vorteil dabei ist, daß die Bücher in den angelsächsischen Ländern billiger, oft bis zu 50 Prozent, sind, obwohl ich es dann in manchen Fällen auch bedauerte, nicht über sie schreiben zu können. Andererseits ist der deutsche Buchmarkt mittlerweile auch bereits so weit, daß in manchen Fällen hebräische Bücher aus Israel eher in deutscher als in englischer Übersetzung erscheinen... 100. Geburtstag des Komponisten Viktor Ullmann „Wir Künstler hören soviel von jüdischer Kultur, daß wir erwartet haben, daß die im Ghetto geschaffenen Werke ihrer Bestimmung zugeführt werden. Ich lebe seit 9 Monaten im Ghetto und habe hier geschrieben ...“ (Aus einem Brief Viktor Ullmanns aus dem KZ Theresienstadt, 1. Juni 1943.) Fünf Opern und zahlreiche Musikstücke hat Viktor Ullmann komponiert, nur drei Opern sind erhalten geblieben, keine einzige wurde zu seinen Lebzeiten aufgeführt. Ullmann (1898 Teschen/Böhmen — Oktober 1944 Auschwitz, ermordet) besuchte das Gymnasium in Wien. Nach zweijährigem Kriegseinsatz studierte er u.a. Komposition bei Arnold Schönberg. 1920 Chorleiter, später Kapellmeister am Neuen Deutschen Theater in Prag. Zusammenarbeit mit Alexander Zemlinsky und mit Heinrich Jalowetz. 1927 musikalischer Direktor am Opernhaus in Aussig und 1929 — 1931 Engagement am Züricher Stadttheater. Nach Hitlers Machtantritt kehrte er nach Prag zurück, wo er sich verstärkt dem Komponieren widmete, daneben Kritiker für „Bohemia“ und das „Prager Tagblatt“ sowie Lehrer an der Masaryk-Volkshochschule. 1936 ausgezeichnet mit dem Hertzka-Preis für seine Oper „Der Sturz des Antichristen“. Am 8. September 1942 wurde Viktor Ullmann nach Theresienstadt deportiert. Unter widrigsten Lebensbedingungen organisierte er Konzerte (Studio Neuer Musik), gab Unterricht und komponierte in 24 Monaten 22 Musikwerke. Am 16. Oktober 1944 wurde er gemeinsam mit dem jungen Maler und Poeten Petr Kien (Librettist der Theresienstädter Oper ,,Der Kaiser von Atlantis“) auf Transport nach Auschwitz geschickt, dort zwei Tage später ermordet. Seine Kompositionen hatte er Mithäftlingen übergeben. Ein Teil des Notenmaterials kam zu H. G. Adler, ein anderer Teil nach Dornach (Schweiz). Mit einer internationalen Aufführungsserie ehrt „ARBOS - Gesellschaft für Musik und Theater“ den Musiker, Komponisten und Musikkritiker Viktor Ullmann. 1995 inszenierte Herbert Gantschacher die Oper „Der Kaiser von Atlantis“ (österreichische Erstaufführung in Klagenfurt), ein Werk um den Tod, der sich verweigert, um nicht als Legitimation für den Tyrannen dienen zu müssen. Im Rahmen des Prager Festivals „MusicaJudaica“ (26. Oktober — 20. November 1998) werden die im KZ Theresienstadt entstandenen Werke ,,Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ in der Theresienstädter Orginalfassung für Klavier, „Der zerbrocher Krug“ nach Heinrich Kleist und „Der Kaiser von Atlantis oder Die Todverweigerung“ (Text von Petr Kien) aufgeführt. Weitere Aufführungen sind in Washington D.C. (Holocaust Memorial Museum), Los Angeles (Los Angeles Museum of Modern Art), Chicago (North Shore Centre for The Performing Arts) sowie in Ottawa und in Montreal geplant. S. B. 15