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chen die meisten Rausschmeißer bzw. Türsteher dieser Etablissements deutsch. Es waren oft Deutschstämmige aus Osteuropa, Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen usw. Einmal kam ich abends nach der Arbeit an einem „Dancing“ vorbei, und der Türsteher rief mir „Hallo Deutscher“ zu. Ich blieb stehen und frage ihn, woher er den wisse, daß ich Deutscher sei. Darauf sagte er, wer um diese Zeit mit einer Aktenmappe hier vorbeikomme, könne nur ein Deutscher sein. Eines Tages lernte ich in einem Lokal, in dem ich öfter abends ein Bier trank, direkt um die Ecke von der Druckerei, ein Mädchen kennen. Sie setzte sich zu mir und fragte, ob ich sie zu einem Bier einlade. Ich antwortete ihr, das könnte ich schon tun, aber nur, wenn sie mich ihrerseits auch zu einem Bier einlade. Sie sagte, davon habe sie doch nichts. Ich sagte, na, dann laden wir uns gegenseitig ein, das weitere wird sich finden. Auf diese Weise kamen wir ins Gespräch und sie sagte: Yo trabajo en un Dancing — „Ich arbeite in einem Dancing, besuch’ mich doch mal.“ Ich ging dann tatsächlich nicht nur einmal, sondern mehrmals in dieses Lokal, und es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen uns. Sie war sehr sympathisch, und wir verstanden uns gut. Wenn wir beide gleichzeitig frei hatten, gingen wir manchmal bummeln, waren aber nicht intim zusammen. Aus unserer Beziehung ist nichts weiter geworden, obwohl ich sie sehr gern mochte. Sie war doch schon zu sehr in diesem Milieu drin. Dadurch ging die Beziehung auf Dauer in die Brüche. Aber wie gesagt, eine Zeitlang war ich öfter im Dancing meiner kleinen Freundin. Ich habe dort auch Kontakte gehabt mit anderen Mädchen, doch ich wurde nicht als ‚‚Freier“ behandelt, nicht als einer, der viel bezahlt, sondern als Kumpel. Das war interessant und schön. Wenn wir an einem Tisch saßen und der mozo, der Ober, kam, dann sagten sie, No, no, er sollte mich nicht belästigen. Die Mädchen sollten sich ja eigentlich von den Gästen einladen lassen. Sie verlangten meistens einen copetin, einen Weinbrand, und bekamen natürlich nur gefärbtes Zuckerwasser. Das kostete einen Peso, was damals viel Geld war - als ungelernter Arbeiter auf dem Bau hatte ich z.B. nur 65 Centavos die Stunde verdient. Die copetines türmten sich dennoch zu großen Rechnungen, denn es handelte sich ja um Animierbetriebe. Die Mädchen, die dort arbeiteten, kamen in der Regel vom Lande und gingen in Buenos Aires in Stellung. Diese Frauen wurden damals meist furchtbar ausgebeutet. Sie waren in winzigen Zimmern untergebracht, hatten keinen Ausgang und wurden miserabel bezahlt. Bei Inseraten, die die Mädchen aufgaben, um eine Arbeit im Haushalt zu finden, hieß es oft: No como mucho - „Ich esse nicht viel“. Um eine Stellung zu finden, war es wichtig, daß sie nicht zu viel aßen, denn sie sollten für die Herrschaften möglichst billig sein. Und da hat sich manche, die als Hausmädchen unter diesen Bedingungen gearbeitet hatte, in die Dancings begeben, um dort ihr Geld zu verdienen. Wenn sie hübsch waren, konnten sie auch mal nein sagen und mußten nicht mit jedem mitgehen oder konnten ihre Arbeit auf bloßes Animieren reduzieren, lebten ein bißchen besser und konnten wählerischer sein. Die Mädchen hatten meist einen guten Zusammenhalt untereinander, auch herrschten bestimmte Regeln unter ihnen. Zum Beispiel gaben sich die jungen hübschen Mädchen mit keinem ab, der nicht zuerst eine Ältere eingeladen hatte. Das war gewissermaßen ein Akt der Solidarität. Getreu einer ,,Mission“, zu der ich mich mein ganzes Leben lang ständig berufen fühlte, versuchte ich auch, die Mädchen zu politisieren und traf dabei auf erstaunliche Akzeptanz. 22 Weitere berufliche Stationen Nach meiner Entlassung aus dem ‚„‚Argentinischen Tageblatt“ wurde ich durch gewerkschaftliche Solidarität kurzfristig bei „Noticias Gräficas “, einer argentinischen Abendzeitung untergebracht. Vorübergehend arbeitete ich auch als Lagerhalter bei der Firma eines jüdischen Emigranten aus Wien. Danach war ich längere Zeit in der Druckerei des „Standard“, einer britischen Zeitung. In Argentinien gab es zu dieser Zeit zwei englischsprachige Tageszeitungen, den ‚‚Buenos Aires Herald“ aus den USA und „The Standard“ aus Großbritannien. Ich habe noch ein Schreiben des damaligen Geschäftsführers des „Standard“, in dem er sagt, er freue sich, daß wir von gemeinsamen Idealen getragen, in der Anti-Hitler-Koalition gemeinschaftlich an einer guten Sache arbeiteten, natürlich er als Geschäftsführer und ich als Linotypist. Damals wurde in der Druckerei des „Standard“ die jüdische Wochenschau ‚La Semana Israelita“ gedruckt. Das war eine deutschsprachige Wochenzeitung, die von der jüdischen Emigration gelesen wurde. Zusammen mit meinem Kollegen machte ich den Satz der ,,Semana Israelita“. Da verdiente ich viel besser als bei Alemann. Aber ich verlor auch diese Arbeit, weil die Zeitung dort nicht mehr verlegt wurde und sie keinen deutschsprachigen Setzer mehr brauchten. Danach arbeitete ich eine Zeitlang in einer kleinen jüdischen Druckerei in der Avenida Corrientes, wo die argentinische Ausgabe der Zeitschrift des JOINT, einer internationalen jüdischen. Hilfsorganisation, gedruckt wurde. Diese Publikation erschien auch auf deutsch. Nach meiner Rückkehr aus Tucumän fand ich Arbeit in der Druckerei der katholischen Zeitung ‚El Pueblo“, in der neben katholischen Publikationen zeitweilig auch die wöchentliche Zeitschrift des Fußballklubs Boca Juniors gedruckt wurde. In diesem Betrieb erhielten wir eine Extra-Vergütung, weil wir sonntags arbeiten mußten: nach den Spielen wurde immer sofort gesetzt. Bei „El Pueblo“ blieb ich, bis ich Argentinien verließ. Der capataz in dieser Druckerei, also der Vorarbeiter, war Mitglied der Alianza Libertadora Nacionalista, einer nationalistischen Organisation. Später, in den siebziger Jahren, gab es in Argentinien rechte Organisationen, wie die „‚drei A’s“ (Alianza Anticomunista Argentina), die Hunderte von Linken ermordet haben. So etwas war die Alianza Libertadora Nacionalista nicht, aber es war eindeutig eine rechtsnationalistische, tendenziell faschistische Organisation. Bei capataz Buceta stand ich deshalb in hohem Ansehen, weil ich Deutscher war. Selbstverständlich habe ich aus meiner antifaschistischen Haltung nie ein Hehl gemacht. In jedem Gespräch vertrat ich meine Position, und er gestattete mir das auch. Vos sos comunista? (Bist Du Kommunist? — die Anrede ,,vos“ wird vor allem im argentinischen Spanisch benutzt) fragte er mich einmal. Ich antwortete ihm, ich sei kein Kommunist, die gäbe es überhaupt noch nicht, ich sei Sozialist. Ihm war das gleich, er schätzte mich als deutschen Kollegen. Durch ihn blieb ich dann auch dort zu einer Zeit, als große Arbeitslosigkeit herrschte. Ich mußte Spanisch setzen, auch Latein. Da war ich natürlich nicht so geübt wie im Deutschen. Aber ich wurde akzeptiert und blieb dort, wie gesagt, bis zu meiner Rückkehr nach Europa. Die Gewerkschaft der Drucker, die FATI, der ich damals angehörte, war eine sehr interessante Gewerkschaft. aus ihr ging sogar eine Partei hervor, die Partido Socialista Obrero (Sozialistische Arbeiterpartei), die nicht nur dem Namen nach, sondern auch in den Strukturen und Inhalten der SAP in Deutschland ähnelte, also