OCR
1948 stellte „Das Andere Deutschland“ sein Erscheinen ein, weil die Zahl der Mitarbeiter und Leser zurückging. Im Grunde genommen hatte die Zeitschrift ihre ursprüngliche Funktion verloren, denn sie war als antifaschistisches Organ gegründet worden. Der Faschismus war besiegt, und die Würfel für die Neuordnung und Teilung Deutschlands waren gefallen. Darüber hinaus gab es die erwähnten politischen Gegensätze, so daß die Einstellung der Zeitung und die Auflösung der Organisation nur logisch waren. Heute und Morgen Schon in meinem ersten Jahr in Argentinien sprach mich Kurt Steinfeld, ein jüdischer Emigrant und Trotzkist, an und fragte, ob wir nicht zusammen eine Zeitung für die Jugend machen sollten. Ich stimmte begeistert zu und schlug den Namen ‚Heute und Morgen“ vor. 1940 erschien dann die erste Ausgabe mit diesem Namen und dem Untertitel ,,Zeitung fiir die Freie deutsche Jugend“. Thematisch war „Heute und Morgen“ breit gefächert. Wir wollten mit der Zeitung die jugendlichen Emigranten ansprechen und sie für den antifaschistischen Kampf bzw. den Kampf für den Sozialismus gewinnen. Deshalb veröffentlichten wir Berichte über kulturelle, sportliche und politische Aktivitäten der Emigration, Artikel über den antifaschistischen Kampf, über die Sowjetunion, Kritiken zu Theaterstücken, Filmen und Büchern und auch eine regelmäßige Sparte mit politischen Witzen. Lene, meine spätere Frau, schrieb oft über Frauensachen. Ich schrieb regelmäßig Beiträge zu Gedenktagen, mit denen ich anläßlich ihrer Geburts- oder Todestage an Menschen wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, W.I. Lenin, G.E. Lessing, Thomas Müntzer erinnerte oder an historische Ereignisse, wie die Französische Revolu1934. W ir erhielten Zuschriften und Beiträge aus lateinamerikanischen Ländern, den USA und sogar aus England. Es gab viele Mitarbeiter, aber die Redaktion habe ich faktisch allein gemacht, auch das meiste geschrieben, allerdings unter verschiedenen Namen. Zu erwähnen sind als Mitarbeiter Robert Schopflocher und Wolfgang Hirsch-Weber, der später in der Bundesrepublik an verschiedenen Universitäten lehrte. Ich tippte alle Artikel auf Wachsmatrizen. Dann hektographierten wir sie und hefteten sie zusammen. „Heute und Morgen“ erschien im Querformat, die Auflage lag bei 200 bis 300 Exemplaren. Außer den Texten hatten wir in jeder Ausgabe historische Kostbarkeiten: Originaldrucke von Clément Moreau, die von seinen Linolschnitten abgenommen wurden. So entstanden uns praktisch nur die Kosten fiir das Papier. Wir arbeiteten ehrenamtlich, kein Mensch bekam auch nur einen Pfennig. Im Gegenteil, wenn wir umherzogen, um die Zeitungen zu vertreiben, muBten wir das Fahrgeld selbst bezahlen. 1940/41 erschienen etwa zwolf Ausgaben von ,,Heute und Morgen“. 1942 stellten wir die Zeitung als eigenständige Publikation ein. Sie wurde dann zeitweilig als Beilage in „Das Andere Deutschland“ übernommen. V on den hektographierten Exemplaren existiert leider keines mehr. Die ‚Truppe 38“ Gegen Ende des Jahres 1938 sprach uns — einige junge Emigranten und Emigrantinnen — der Maler und Grafiker Carl Meffert/Clément Moreau an und machte den Vorschlag, eine kleine Theater-Propaganda-Gruppe ins Leben zu rufen. Er hatte aus „Wer sich mir entgegenstellt, den zerschmettere ich!“ — Hitler-Karikatur von Clement Moreau im „Argentinischen Tageblatt“, 1938. Alle Abbildungen entnommen aus: Clement Moreau/ Carl Meffert: Grafik für den Mitmenschen. Deutschland. Schweiz. Argentinien. Berlin: Neue Gesellschaft für bildende Kunst und Kunstamt Kreuzberg 1978. Moreau, eigentlich Carl Josef Meffert, wurde 1903 in Koblenz geboren, stand der KPD nahe, war mit Käthe Kollwitz und Heinrich Vogeler, Ignazio Silone befreundet. Lebte 1933-35 illegal in der Schweiz; 1935 wegen politischer Aktivitäten aus der Schweiz ausgewiesen, arbeitete er 1935-43 für das „Argentinische Tageblatt“ und viele andere Zeitungen und Zeitschriften, war 1935-37 Zeichenlehrer an der neugegründeten antifaschistischen Pestalozzi-Schule und 1937 ein Mitbegründer von ‚Das Andere Deutschland“. 1961 kehrte er in die Schweiz zurück, lebte in Zürich und St. Gallen. Deutschland Erfahrung mit dem Agitprop-Theater. Wir nahmen die Idee begeistert auf und begannen mit der Arbeit. Unser Ensemble bestand aus ungefähr acht bis zehn Leuten. Wir hatten einen hervorragenden Pianisten, Walter Rosenberg, und wir hatten eine Tänzerin, Renate Schottelius. Ich selbst fungierte als Sprecher, Akteur und Texter. Wir hatten — was damals keineswegs selbstverständlich war — ein Auto, das mein Freund Walter Lenk zur Verfügung stellte. In seinem alten Ford sind wir mit bis zu acht Personen und entsprechenden Utensilien durch die Gegend gefahren. Bei unseren Aufführungen trugen wir alle immer die gleichen dunklen Monteuranzüge. Unsere Spielorte waren vor allem der Saal des deutschen Arbeitervereins ‚Vorwärts “, einige andere linke deutsche 25