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Vereine, z.B. der Turn- und Sportverein ‚Villa Ballester“ , gelegentlich auch die Räumlichkeiten argentinischer Organisationen. Im Durchschnitt hatten wir einen Auftritt im Monat. Meistens traten wir vor deutschem Emigrantenpublikum auf. Manchmal wurden wir aber auch eingeladen, vor argentinischem Publikum zu spielen. Üblicherweise haben wir in Deutsch gespielt, vor Argentiniern haben wir Spanisch gesprochen bzw. die deutschen Dialoge vorher auf Spanisch erklärt. Wir haben Szenen und Dialoge von Brecht und Tucholsky dargestellt, aber auch eigene Kreationen, die wir selbst gemeinsam bei den Proben entwickelten. Wir hatten dafür folgende Methode erdacht: Wir sollten eine bestimmte Situation darstellen; Meffert sagte dann zu demjenigen oder derjenigen, die das darstellen sollte: „Fang einfach mal an zu reden.“ Es war noch kein Text da, und die entsprechende Person begann die Situation darzustellen. Meffert und die anderen griffen dann ein, gaben ihre Kommentare und Kritik ab und machten Änderungsvorschläge. So entstand das ,,Drehbuch“ während der Proben. Es kamen immer neue Gedanken und Ideen, bis schließlich das gesamte Stück stand. Einmal sollte ich in einem Programm Hitler darstellen. Ich stand bei der Probe auf einer Kiste und brüllte rassistische Parolen und schrie, ‚‚Blut ist dicker als Wasser und noch dicker als Tinte“ und „Die Weiber sollen dem Führer Kinder schenken“ und ähnlichen Unsinn. Während wir das einstudierten, kam Meffert auf die Idee, daß während meiner Rede zwei andere aus der Truppe als aufgeregte Wärter eines Irrenhauses durch den Saal eilen und rufen sollten: ,,Da isser ja, da isser ja“, und es stellt sich heraus, daß Hitler ein Entsprungener aus dem Irrenhaus ist. Meffert kamen die Ideen spontan während der Proben. Er selbst spielte nicht mit, er führte Regie und gestaltete die Szenerie. Die Texte und Dialoge, die bei den Proben entstanden, schrieben wir später nieder. Trotzdem wurde bei den Aufführungen viel improvisiert. Es war nicht so exakt wie in einem Theaterstück, in dem jeder genau seine Rolle lernen muß. Wir hatten kein Korsett, in dem wir gingen, sondern es herrschte große Freiheit. Wir kamen damit beim Publikum immer sehr gut an. Bei den Aufführungen der „Truppe 38“ verlangten wir Eintritt, normalerweise einen Peso. Alle Eintrittsgelder wurden an das Hilfskomitee für die in Frankreich internierten Spanienkämpfer überwiesen und auch an deutsche Antifaschisten weitergeleitet, soweit das möglich war. Geld wurde auch an die Kinder im KZ Gurs in Frankreich geschickt. Als das Stück, in dem ich den wahnsinnigen Hitler darstellte, aufgeführt wurde, sagten Leute aus dem Publikum, es wundere sie, daß die Nazis den Pieter Siemsen herausgelassen hätten, wo er doch Hitler - wenn der mal krank würde phantastisch vertreten könnte. Wer hätte gedacht, daß ich tatsächlich noch einmal von meiner Kommißzeit in der deutschen Wehrmacht profitieren würde, wenn auch nicht im beabsichtigten Sinne: In der Zeit nämlich hatte ich den entsprechenden Jargon gelernt. Auszüge aus dem unveröffentlichten Typoskript ‚Erinnerungen eines Anderen Deutschen. Stationen eines politischen Lebens: Weimarer Republik, NS-Deutschland, Argentinien, DDR und BRD“. 26